Soeben habe ich mir den ganzen Thread durchgelesen und muss auch mal meinen Senf dazugeben. Zu meinem Hintergrund: Ich habe vor ca. 15 Jahren Wirtschaftsmathe an einer Uni in Bayern studiert und mit 1,3 abgeschlossen. Das Fach gefällt mir bis heute und auch privat beschäftige ich mich noch damit und lese Bücher, sofern ich Zeit habe.
Während des Studiums habe ich auch ein paar Praktika gemacht, fand diese aber überflüssig, da ich kaum etwas lernen konnte, von den (zu beschäftigten) Kollegen nicht eingearbeitet wurde und kaum Aufgaben bekam. Freizeit hatte ich im Studium nur während der Semesterferien. Ansonsten war das Studium harte Arbeit und es gab einige Momente, in denen ich gerne hingeschmissen hätte, aber mich wieder aufgerafft hatte. Würde ein Azubi das Arbeitspensum eines Mathestudenten leisten müsste, hätte dieser wahrscheinlich schon längst die Berufsgenossenschaft eingeschaltet - abgesehen davon, dass dieser sogar für seine Ausbildung bezahlt wird. Nicht selten saß ich bis tief in die Nacht über Vorlesungsskripte; am Wochenende kamen dann die Übungszettel dran.
Die Jobsuche gestaltete sich dann alles andere als einfach, da das Mathestudium eben für keinen Job direkt qualifiziert. Wahrscheinlich findet man in den großen Metropolen deutlich einfacher Jobs (bei Versicherungen, Banken und großen Beratungen), aber im Rest der Republik sieht es ziemlich mau aus. Als Mathematiker bekommt man auch nicht einfach so einen IGM-Job mit 35h-Woche, schließlich will da jeder hin und derjenige mit den richtigen Bekanntschaften kommt oft zum Zug.
Ich habe mich im Studium auch für Praktika bei ein paar Versicherungen beworben, aber keine Chance. Die wenigen Versicherungen nehmen bevorzugt Studenten, die von den Unis speziell darauf vorbereitet wurden, schließlich kann man an einigen Unis schon Scheine für das Aktuariat machen. Hinzu kommt, dass man für Versicherungen so gut wie immer in die teuren Metropolen umziehen muss, da relativiert sich das ggf. höhere Einstiegsgehalt schnell wieder. Ebenso schreckt mich die zusätzliche Aktuarsausbildung ab, als ob das Mathestudium nicht teuer genug gewesen wäre. Und nicht zuletzt konkurriert man auch bei vielen Versicherungen mit BWLern und Versicherungskaufleuten. Wahrscheinlich würde ich den (eher langweiligen) Job auch nicht machen wollen, ist eben doch zu viel Excel ohne mathematischen Anspruch - wie man oft hört.
Gegen Ende meines Studiums habe ich auch Jobs im Bereich Statistik gesucht und bin in einer Scoring-Abteilung gelandet. Speziell im Statistikbereich konkurriert man stark mit BWLern um die wenigen Statistikjobs, die zwar die Hintergründe der Verfahren weniger verstehen, dafür aber deutlich praxisnaher ausgebildet wurden, was ein großer Vorteil ist. Das Praktikum dort war jedenfalls ein Reinfall, die Teamleiter aus dem Vorstellungsgespräch (mit BWL-Studium) haben in meiner Praktikumszeit noch gekündigt ...
Da ich Informatik als Nebenfach hatte, habe ich mich bevorzugt für IT-Jobs beworben, oft auch bei Firmen, für die ich heute nicht mehr arbeiten würde. Das Problem bei IT-Jobs aus Mathematikersicht ist jedoch, dass diese extrem durchlässig sind, heißt ein Fachinformatiker, der sich gut verkaufen kann, kommt nicht selten weiter als viele Mathematiker, die eher introvertiert sind - nicht zuletzt nach ihrer schweren Ausbildung.
Hinzu kommt, dass die IT-Branche immer prekärer wird, nur noch Dienstleister und Bodyleasing, da kaum eine Firma mehr ITler an sich binden will. Klar, da zählt nur noch schnell und billig, warum sollte man da Mathematiker wertschätzen? Letztendlich möchten die meisten IT-Firmen nur billige Berufsanfänger verheizen und diese teuer (> 1k pro Tag) an Konzerne verkaufen.
Und bitte, hört doch mit euren Jobs bei FAANG auf! Wir reden hier von Matheabsolventen generell und nicht von den absoluten Ausnahmetalenten, die zwar deutlich höhere Chancen, aber selbst dann keine Garantie darauf haben. Können wir unsere Diskussion dann bitte auf normale Mathestudenten beschränken und nicht auf die wenigen Freaks? Wer Mathe erfolgreich studiert hat, musste einige Hürden meistern und hat euren Spott nicht verdient. Seid froh, dass es noch Schüler gibt, die sich für so ein Studium interessieren! Leider lohnt sich Leistung in diesem Land schon lange nicht mehr (hohe Steuern, hohe Mieten, Gängelung, usw.). Die Jobs für Hochqualifizierte werden leider auch immer rarer und verschwinden ins Ausland.
Letztendlich bin ich bei einem SAP-Dienstleister gelandet, dafür hätte ich nicht studieren müssen. Das Gehalt ist OK, aber die 100k werde ich sicher nicht mehr schaffen. Dazu müsste ich mindestens auf Projektleitung umsatteln und auf die ständigen Streitereien (Dienstleister = Arbeitnehmer 2. Klasse) habe ich keine Lust, nicht zuletzt auch, weil ich gerne fachlich arbeite. So stehen bei mir neben ABAP-Entwicklung auch Konzepterstellung, Beratung, Schulung, Inbetriebnahme und Support an der Tagesordnung - man ist eben Mädchen für alles und hat obendrein schlechtere Konditionen als die "Internen".
Klar würde ich einiges gerne verbessern, aber wenn man nach dem Studium schon nichts Besseres findet (Stichwort Finanzkrise), wird es immer schwieriger - schließlich möchte ich nicht wieder für ein Einstiegsgehalt woanders anfangen. Gerade der MINT-Bereich ist extrem spezialisiert, da fällt der Wechsel oft besonders schwer.
Für die meisten lohnt sich ein Mathestudium - zumindest aus finanzieller Sicht - dann doch nicht. Mittlerweile bin ich sogar der Meinung, dass man zu diesem Zweck wohl nur dann studieren sollte, wenn das hart erarbeitete Wissen später auch im Beruf eingesetzt werden kann, wie etwa bei Medizin, Jura oder ggf. Lehramt (Verbeamtung!). Ansonsten wird man das Gelernte wieder vergessen (wenn kein Interesse am Fach vorhanden), muss hohe Gehaltsausfälle hinnehmen, verzichtet auf mehrere Rentenpunkte und ist dann oft kaum weiter als jemand, der eine einfache Ausbildung gemacht hat.
Ja, ich kenne die Statistiken und ja, im Durchschnitt verdient man über die Lebenszeit gesehen (trotz der Gehaltsausfälle im Studium) dann doch mehr. Aber wer den Unterschied zwischen Durchschnitt und Median nicht versteht, soll mir mit solchen Statistiken nicht kommen und akzeptieren, dass einige wenige den Schnitt nach oben ziehen und sich für den großen Rest der Aufwand eben kaum lohnt. Letztendlich geht es den Mathematikern dann doch noch gut im Vergleich zu den Germanisten, den Kunsthistorikern oder den Sozialpädagogen, die froh sein dürfen, überhaupt etwas zu finden.
Was hat mir das Studium nun gebracht? Was würde ich heute anders machen?
Durch das Studium habe ich ein Hobby gewonnen, was mich sicher noch lange Zeit begleiten wird. Ich habe gelernt mich durchzubeißen und nicht sofort die Flinte ins Korn zu werfen. Dennoch möchte ich mir mit zunehmenden Alter vieles nicht mehr antun. Ich habe gelernt, dass mein Engagement im Beruf selten mir zugute kommt, sondern fast immer nur den Firmeninhabern. Auch wird man bei guter Leistung oft nur noch mehr ausgenutzt, ohne auf der Karriereleiter voranzukommen - hierfür benötigt man leider anderen "Qualitäten". Vielleicht wäre eine freiberufliche Tätigkeit etwas für mich, aber das ist noch Zukunftsmusik.
Auch habe ich durch das entbehrungsreiche Studium Bescheidenheit und Demut gelernt, etwas was viele Azubis, die nach der Ausbildung sofort ein dickes Autos kaufen, nie lernen mussten. Als Mathematiker schult man seinen Geist und sucht seine Erfüllung weniger im Konsum, zumindest ich empfinde das so. Letztendlich werden die wenigsten abhängig Beschäftigten wirklich reich, egal ob man 50k oder 100k verdient.
In diesem Land kann man auf Dauer leider nur im Beamtentum gut und entspannt leben, entweder beim Staat oder im Industriekonzern. Bekommt man dann auch keinen vermeintlichen "Top-Job" wie der Threaderstellter muss man eben das Beste aus seiner Situation machen und diese akzeptieren.
Ich plane ggf. in nicht allzu ferner Zukunft meine Arbeitszeit zu reduzieren oder gar nicht mehr zu arbeiten. Dafür habe ich bislang hart gearbeitet und lange gespart. Das vielleicht noch nutzlos wirkende Mathestudium wird mir vielleicht dann helfen, meine Zeit sinnvoll zu füllen.
Ich kann dem Threadersteller und anderen in derselben Situation nur raten, einfach anzufangen und Geld zu verdienen. Das müssen auch solche in den vermeintlichen "Top-Jobs", geschenkt bekommt man nirgends etwas - ex nihilo nihil fit - außer vielleicht im Beamtentum und auch da bin ich mir nicht sicher. Letztendlich bekommt man durch einen Job nur Geld überwiesen, die besten Dinge im Leben sind oft umsonst - Familie, Freunde, Hobbys, Gesundheit sind wichtiger.
Natürlich erwarte ich von niemandem, dass er meine Ansichten teilt. Auf den in Foren häufig anzutreffenden "Gegenwind" werde ich daher auch nicht eingehen. Jeder hat andere Erfahrungen gesammelt und vielleicht hilft der Beitrag dem ein oder anderem Absolventen etwas weiter.
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