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Frühjahrsgutachten 2012 der Wirtschaftsforschungsinstitute

Im Frühjahr 2012 befindet sich die deutsche Konjunktur im Aufwind, doch die europäische Schuldenkrise schwelt weiter. Die Institute erwarten, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,9 Prozent und im kommenden um 2,0 Prozent zunimmt. Die Zahl der Arbeitslosen wird in 2012 auf 2,8 Millionen zurückgehen und die Defizitquote des Staates voraussichtlich auf 0,6 Prozent sinken.

Auf einer kleinen Kreidetafel mit Holzrahmen steht das Wort Forschung.

Frühjahrsgutachten 2012 der Wirtschaftsforschungsinstitute
München, 19.04.2012 (ifo) - Die deutsche Wirtschaft befindet sich nach einem schwachen Winterhalbjahr im Aufwind. Die Institute prognostizieren eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts um 0,9 Prozent für das Jahr 2012 und um 2,0 Prozent für das Jahr 2013. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich dabei weiter verbessern und die Zahl der Arbeitslosen auf 2,8 Millionen in 2012 zurückgehen. Die Defizitquote des Staates wird voraussichtlich auf 0,6 Prozent sinken. Da die Verschuldungsquote mit über 80 Prozent noch sehr hoch ist, bewerten die Institute das derzeit zu beobachtende Erlahmen der Konsolidierungsanstrengungen kritisch. Die Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum schwelt weiter. Projektionen der Schuldenquoten Italiens, Irlands und Spaniens ergaben, dass in diesen Ländern eine Stabilisierung der Lage nur erreichbar ist, wenn die geplanten Reformen auch tatsächlich greifen und es zu keinem erneuten Vertrauensverlust an den Kapitalmärkten kommt.



Im Frühjahr 2012 sind die akuten Risiken für die Weltkonjunktur gegenüber dem vergangenen Herbst deutlich gesunken. Die Stimmung bei Unternehmen und Verbrauchern, die sich im zweiten Halbjahr 2011 stark verschlechtert hatte, hat sich seit der Jahreswende in den meisten Regionen aufgehellt. Auch die Weltproduktion stieg zuletzt wieder etwas schneller, nachdem sie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres spürbar an Schwung verloren hatte. Gleichwohl bleibt der Ausblick für die internationale Konjunktur verhalten. Denn die europäische Schuldenkrise ist nach wie vor nicht gelöst und stellt ein großes Risiko für die Weltwirtschaft dar. Außerdem sind zuletzt weitere belastende Faktoren hinzugekommen. So ist der Ölpreis in den vergangenen Wochen kräftig gestiegen. Zudem hat sich das Tempo der wirtschaftlichen Expansion in China sowie in anderen Schwellenländern abgeschwächt.

Ein kräftiger Aufschwung der Weltwirtschaft im Prognosezeitraum ist nach Einschätzung der Institute trotz aktuell aufwärts gerichteter Vertrauensindikatoren nicht zu erwarten, da eine Reihe von Belastungsfaktoren weiterhin besteht. So wird die Finanzpolitik in wichtigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere in einigen Ländern des Euroraums, dämpfend wirken. Zudem sind die privaten Haushalte und Unternehmen in vielen Volkswirtschaften nach wie vor bemüht, ihre Schulden zu verringern. Allerdings dürften die retardierenden Effekte des privaten Schuldenabbaus im Prognosezeitraum allmählich an Stärke verlieren, und zwar vor allem dort, wo sich die Lage am Arbeitsmarkt und daher die Einkommensperspektiven sichtbar aufhellen wie in den USA. Unter diesen Voraussetzungen wird das Bruttoinlandsprodukt in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften nur verhalten expandieren. Im Jahr 2012 dürfte es lediglich um 1,3 Prozent zunehmen, im Jahr 2013 dürfte sich der Produktionsanstieg auf 1,8 Prozent beschleunigen.

Die wirtschaftliche Aktivität in den Schwellenländern dürfte im Prognosezeitraum weiterhin durch die schwache Expansion in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften gehemmt werden. Erst nach und nach werden sich die binnenwirtschaftlichen Auftriebskräfte wieder verstärken. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in den Jahren 2012 und 2013 langsamer zunehmen als in den beiden Jahren zuvor. Der Zuwachs der Weltproduktion insgesamt dürfte sich im Jahr 2012 auf 2,5 Prozent abschwächen, im kommenden Jahr dürfte er mit 3,0 Prozent wieder ähnlich hoch sein wie im vergangenen Jahr. Der Welthandel wird sich im Verlauf des Prognosezeitraums allmählich beleben. Für den Jahresdurchschnitt ergibt sich für 2012 ein Anstieg von 4,4 Prozent. Für 2013 erscheint ein Zuwachs von 6,6 Prozent wahrscheinlich.

Entwicklung in Deutschland
Die Konjunktur inDeutschland nimmt im Frühjahr 2012 nach einer mehrmonatigen Schwächephase wieder Fahrt auf. Im zurückliegenden Winterhalbjahr ist die gesamtwirtschaftliche Produktion unter dem Eindruck der Zuspitzung der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum und einer zyklischen Schwäche der Weltkonjunktur praktisch nicht gestiegen. Mittlerweile hat sich allerdings das weltwirtschaftliche Umfeld aufgehellt, und die Maßnahmen, die zur Milderung der Turbulenzen im Euroraum ergriffen wurden, haben dazu beigetragen, die Lage an den Finanzmärkten zu stabilisieren und die wirtschaftliche Unsicherheit zu verringern. Dies ist unter anderem an den Stimmungsindikatoren ablesbar. So sind die Geschäftserwartungen der deutschen Unternehmen seit Dezember vergangenen Jahres aufwärts gerichtet. Das Konsumklima hat sich ebenfalls wieder verbessert. Allerdings zeigen die jüngsten Anstiege der Risikoaufschläge für spanische und italienische Staatsanleihen, dass die Schulden- und Vertrauenskrise weiter schwelt.



Für den Prognosezeitraum erwarten die Institute, dass die konjunkturellen Auftriebskräfte in Deutschland die Oberhand gewinnen. Zwar bleibt die Konjunktur im übrigen Euroraum sehr schwach. Doch wird das Zinsniveau durch die am gesamten Euroraum ausgerichtete Zinspolitik der EZB sowie durch die Attraktivität Deutschlands als „sicherer Hafen“ gedrückt, was die Investitionen beflügelt. Zudem ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, vor allem wegen der niedrigen Bewertung des Euro an den Devisenmärkten, derzeit höher als zu irgendeinem Zeitpunkt der vergangenen 30 Jahre. Der Export ist deshalb trotz der Rezession im wichtigsten Absatzgebiet deutscher Hersteller, dem Euroraum, und des sich nur langsam verbessernden weltwirtschaftlichen Umfelds aufwärts gerichtet. Schließlich ist der Arbeitsmarkt, auch wegen der zurückliegenden Arbeitsmarktreformen in sehr guter Verfassung; der weitere Rückgang der strukturellen Arbeitslosenquote stimuliert Einkommen, Einkommenserwartungen und privaten Konsum.

Vor diesem Hintergrund wird der Produktionsanstieg ab dem Frühjahr deutlich an Schwung gewinnen; die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung dürfte im gesamten Prognosezeitraum merklich zunehmen. Die maßgeblichen Impulse werden wie in den vergangenen Jahren von der Binnennachfrage kommen, vor allem von den Investitionen und den privaten Konsumausgaben. Der Export belebt sich hingegen aufgrund der schwachen Konjunktur im übrigen Euroraum nur zögerlich; auch deshalb wird der Außenhandel in beiden Jahren keinen positiven Beitrag zum Anstieg des Bruttoinlandsprodukts liefern. Alles in allem wird das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2012 voraussichtlich um 0,9 Prozent zulegen. Das 68-Prozent-Prognoseintervall reicht von 0,2 Prozent bis 1,6 Prozent. Im Jahr 2013 dürfte das Bruttoinlandsprodukt um 2,0 Prozent zunehmen (Prognoseintervall 0,5 % bis 3,5 %).

Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte im Jahr 2012 um 470 000 und im Jahr 2013 um 325 000 zunehmen, die Arbeitslosigkeit aber nur unterproportional sinken, weil das Erwerbspersonenpotenzial, auch wegen verstärkter Zuwanderung von Arbeitskräften, steigt. Gleichwohl nimmt die Arbeitslosenquote in beiden Jahren um rund einen halben Prozentpunkt ab und wird gegen Ende des Prognosezeitraums voraussichtlich bei 6,2 Prozent liegen.

Vor dem Hintergrund der steigenden Kapazitätsauslastung und der zunehmenden Verknappung von Arbeitskräften dürfte sich der Lohn- und Preisauftrieb im Prognosezeitraum spürbar verstärken. Die Effektivlöhne werden wohl in den beiden Jahren um mehr als 3 Prozent zunehmen. Der Anstieg der Verbraucherpreise wird dieses und nächstes Jahr mit 2,3 bzw. 2,2 Prozent über der Marke von 2 Prozent liegen.

Das Budgetdefizit des Staates dürfte in diesem Jahr wegen der Konsolidierungspolitik auf 0,6 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt sinken. Für das Jahr 2013 rechnen die Institute aufgrund der günstigen Konjunktur mit einem weiteren Rückgang auf 0,2 Prozent. Strukturell dürfte die Defizitquote in diesem Jahr – bei näherungsweise normal ausgelasteten Produktionskapazitäten – bei 0,6 Prozent liegen; im nächsten Jahr dürfte sie auf 0,4 Prozent sinken.

Das größte Abwärtsrisiko für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland geht nach wie vor von der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum aus, die im Kern noch nicht gelöst ist. Zwar haben die außerordentlichen liquiditätspolitischen Maßnahmen der EZB den Stress im Bankensystem verringert, aber hierdurch wird letztlich nur Zeit gewonnen. Verlieren – etwa weil die notwendigen finanzpolitischen Reformen nicht angegangen werden – Länder des Euroraums auf den Kapitalmärkten erneut an Vertrauen, dürfte dies auch die deutsche Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Es besteht aber auch die Möglichkeit einer kräftigeren Expansion als hier prognostiziert. So sind die Zinsen in zahlreichen Ländern auf einem historisch niedrigen Niveau. Dies gilt in besonderem Maße für Deutschland, wo die monetären Rahmenbedingungen zurzeit besonders günstig sind.
 

Entwicklung in Europa - Die Eurokrise
Die Wirtschaftspolitik stand in den vergangenen Monaten nach wie vor im Zeichen der Eurokrise. Die Institute schlagen abermals vor, einen Insolvenzmechanismus für Staaten zu schaffen. Zudem sollte die Regulierung und Aufsicht des europaweit verflochtenen Banken- und Finanzsystems in einer zentralen Institution wie der Europäischen Bankaufsichtsbehörde gebündelt werden, die mit hinreichenden Durchgriffsrechten und finanziellen Mitteln ausgestattet ist, um notleidende systemrelevante Banken zu rekapitalisieren und gegebenenfalls systemschonend abzuwickeln. Am Fiskalpakt ist unbedingt festzuhalten, um zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen beizutragen. Der ESM sollte nur in Ausnahmefällen, also bei akuten Liquiditätsproblemen, eingesetzt werden, auch um das Problem des „Moral Hazard“ gering zu halten. Unklar ist derzeit noch, wie im Falle einer Zuspitzung der Probleme im Finanzsektor zu verfahren ist.



Bislang haben sich die Beteiligten offenbar darauf verlassen, dass die EZB im Notfall einspringt. Um einen Kollaps angeschlagener Finanzinstitute zu verhindern, vergibt sie unbegrenzte Liquidität, mittlerweile sogar mit einer Laufzeit von drei Jahren und mit reduzierten Sicherheitenanforderungen. Dies hat zu massiven Verwerfungen und damit volkswirtschaftlichen Kosten an anderer Stelle geführt, die anhand der Target2-Salden sichtbar werden. Zudem ist ohne geeignete Mechanismen zur Lösung der Schuldenkrise zu befürchten, dass die EZB ihre Maßnahmen erst dann normalisiert, wenn auch vom letzten nationalen Bankensystem im Euroraum keine Gefahr mehr ausgeht. Dies liefe aber darauf hinaus, die Geldpolitik am schwächsten Mitgliedsland auszurichten statt am Euroraum insgesamt. Die EZB könnte dann bei der Inflationsbekämpfung nicht mehr angemessen agieren – mit negativen Folgen für die Preisstabilität.

Darüber, wie die EZB aus ihrem Dilemma befreit werden kann, gibt es unterschiedliche Vorstellungen. IWH und RWI erachten einen „Buyer of Last Resort“ für notwendig, der insbesondere sicherstellt, dass die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte eines Landes nicht nur aufgrund eines Zinsanstieges verloren geht. IfW und ifo halten dies nicht für zielführend, weil das deutsche Haftungsvolumen deutlich ausgeweitet und der von den Kapitalmärkten ausgehende Druck auf die Krisenländer erheblich reduziert würde, so dass der Reformeifer dort nachließe.

Der Bundestag ist mit der Zustimmung zu den Rettungspaketen erhebliche Risiken für Deutschland eingegangen. Um – auch angesichts dieser Risiken – die Handlungsfähigkeit des Staates in Zukunft zu gewährleisten, sollte die Haushaltskonsolidierung in Deutschland zügig vorangetrieben werden. Noch liegt die Verschuldungsquote mit über 80 % des Bruttoinlands-produkts weit über der vereinbarten Obergrenze von 60 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist das derzeit zu beobachtende Erlahmen der Konsolidierungsanstrengungen kritisch zu bewerten. Konjunkturbedingte Mehreinnahmen und Minderausgaben sind kein Ersatz für strukturelle Anpassungen. Die von der Bundesregierung mit dem Zukunftspaket angekündigten Haushaltsentlastungen sollten daher umgesetzt werden; wo die angestrebten Ziele nicht erreichbar scheinen, sollten andere Maßnahmen verabschiedet werden. Lastenverschiebungen vom Bundeshaushalt auf die Sozialversicherung – wie von der Bundesregierung geplant – stellen dafür kein probates Mittel dar, denn sie verändern das gesamtstaatliche Defizit nicht. Mit Blick auf die Schuldenbremse steht aber nicht nur die Bundesregierung in der Pflicht. Auch viele Landesregierungen müssen noch erhebliche Anstrengungen unternehmen, um ab dem Jahr 2020 strukturell ausgeglichene Haushalte zu erzielen.

Die Schuldentragfähigkeit der Krisenländer
Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien haben die Institute mit Projektionen der Schuldenquoten untersucht. In einer Basisprojektion, in der unterstellt wird, dass die bisher eingeleiteten Reformmaßnahmen in den Krisenländern allmählich greifen und die Zinsen nicht wieder auf Rekordhöhen steigen, ist für Irland, Italien und Spanien eine Stabilisierung der Lage und mittelfristig eine Reduktion der Schuldenquoten erreichbar. Nachlassender Reformwille und/oder spürbar höhere Zinsen auf die bereits bestehenden Staatsschulden würden aber dazu führen, dass die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung nicht mehr gegeben wäre. In Griechenland und Portugal ist die Lage deutlich schwieriger. Hier ist allenfalls eine Stabilisierung des Schuldenstandes auf sehr hohem Niveau zu erwarten.   

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Eckdaten Frühjahrsgutachten 2012 für Deutschland [PDF, 1 Seiten - 25 KB]
http://www.cesifo-group.de/link/GD-20120419-KEY.pdf

Eckdaten - Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung [PDF, 1 Seiten - 26 KB]
http://www.cesifo-group.de/link/GD-20120419-SNA.pdf

Kurzfassung Frühjahrsgutachten 2012 [PDF, 5 Seiten - 260 KB]
http://www.cesifo-group.de/link/GD-20120419-PRESS.pdf

Langfassung Frühjahrsgutachten 2012 [PDF, 82 Seiten - 3 MB]
http://www.cesifo-group.de/link/GD-20120419-lang.pdf