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Anlage, Aktien & VermögenFinanzberatung

Finanzberatung ist nicht bedarfsgerecht

Untersuchungsergebnisse der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zeigen, dass die Qualität der Finanzberatung durch Finanzdienstleister erhebliche Mängel auf weisen. In 88 Prozent der Fälle haben Verbraucher Verträge, die allenfalls zum Teil oder überhaupt nicht ihrem Bedarf entsprechen.

Das Bild zeigt einen Wolkenkratzern in dem sich die Sonne spiegelt.

Finanzberatung ist nicht bedarfsgerecht
Stuttgart, 19.05.2011 (vz bawue) - Die Qualität der Finanzberatung durch Finanzdienstleister weist nach Untersuchungsergebnisse aus der Beratungspraxis der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg erhebliche Mängel auf. Die zwischen Oktober 2010 und April 2011 durch die Verbraucherzentrale ausgewerteten Verträge sprechen eine deutliche Sprache: In 176 der 200 analysierten Fälle wurden Verbrauchern Verträge verkauft, die nicht ihrem Bedarf entsprechen. In 88 Prozent der Fälle haben Verbraucher demnach Verträge zur Prüfung vorgelegt, die allenfalls zum Teil oder überhaupt nicht ihrem Bedarf entsprechen. "Weiterhin werden in erster Linie teure, oftmals zu riskante und viel zu oft auch zu unflexible Verträge verkauft. Der Bedarf scheint kaum eine Rolle zu spielen", fasst Niels Nauhauser, Referent der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg die Erkenntnisse zusammen.

Gerade mit Blick auf die private Altersvorsorge, die als häufigstes Motiv für eine Geldanlage genannt wird, ist dies ein unhaltbarer Zustand: "Der Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge verpflichtet zur Durchsetzung von fairen Marktregeln", fordert Nauhauser. Verbraucher sind auf eine verlässliche Finanzberatung angewiesen, die sich ausschließlich an ihrem Bedarf orientiert. "Die bisherigen Anlegerschutzgesetze packen die Probleme nicht an ihrer Wurzel. Falschberatung darf kein lohnendes Geschäftsmodell sein. Es fehlen klare Regeln, die dem Verbraucher zu seinem Recht auf unabhängige Informationen verhelfen", so Nauhauser weiter. Die Verbraucherzentrale fordert daher vor allem eine strikte Trennung von Finanzberatung und Vertrieb, klare Qualifikationsvoraussetzungen sowie eine einheitliche Aufsicht durch die BaFin.

Die Untersuchung
Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat zwischen Oktober 2010 und April 2011 200 Fälle aus der persönlichen Beratung zur Geldanlage und Altersvorsorge ausgewertet. In 176 Fällen weisen die von Verbrauchern zur Einschätzung bzw. Optimierung vorgelegten Verträge Mängel auf. Finanzberater und Vermittler von Finanzprodukten haben in 88 Prozent der Fälle Produkte empfohlen, die nicht dem Bedarf der Verbraucher entsprechen.



Um die Bedarfsgerechtheit der vorgelegten Verträge festzustellen, wurden alle dafür notwendigen Angaben erhoben (u.a. finanzielle Situation, Risikobereitschaft, Anliegen etc.). Diese Angaben wurden mit den Eigenschaften der vorgelegten Verträge verglichen. Verträge sind dann bedarfsgerecht, wenn sie hinsichtlich ihres Risikos und ihrer Flexibilität zur individuellen Situation des Verbrauchers passen. Außerdem sind bedarfsgerechte Verträge kostengünstig und transparent.

Das Risiko von Finanzprodukten drückt sich in den möglichen Verlusten für den Anleger aus. Es ergibt sich direkt aus dem Vertrag und ist für die Verbraucherzentrale objektiv feststellbar. Die Bereitschaft und Fähigkeit des Verbrauchers, Risiken in Form von Verlusten zu tragen, wurde durch die Verbraucherzentrale erhoben. In mehr als 50% der Fälle wurden Verträge verkauft, die nicht der Risikobereitschaft der Verbraucher entsprechen.

Die Flexibilität von Finanzprodukten drückt sich in den vertraglich eingeräumten Rechten des Verbrauchers aus, über seine Einzahlungen verfügen zu können sowie in den Konditionen bei Ausübung dieser Rechte. Die Ermittlung der für den Verbraucher sinnvollen und notwendigen Flexibilität kann nur mittels intensiver Bedarfsexploration erfolgen. Versäumt der Finanzberater dies oder vermittelt bei Ungewissheit unflexible Verträge, ist seine Beratung nicht bedarfsgerecht, was auf 85 der 200 ausgewerteten Fälle zutrifft.

Angaben über die Höhe der anfallenden Kosten können den Verträgen entnommen werden. Kosten gehen zu Lasten der Rendite, daher liegt es stets im Interesse des Verbrauchers, dass die Kosten des empfohlenen Finanzprodukts so gering wie möglich sind. Als nicht bedarfsgerecht wurden in der Untersuchung solche Verträge gewertet, zu denen es Alternativen mit vergleichbarem Chance- und Risikoprofil zu für den Verbraucher deutlich günstigeren Konditionen gibt. In 75% der Fälle sind die Verträge schlicht zu teuer. 

Verträge, aus denen keine klaren Angaben zur Rendite und zum Risiko hervorgehen, sind nicht transparent und daher allenfalls zufällig bedarfsgerecht. Insgesamt wurde in 43 der 200 untersuchten Fälle mangelnde Transparenz als Ursache für eine nicht bedarfsgerechte Beratung nachgewiesen.


Als wichtigstes Motiv für die Geldanlage wird in 88% der Fälle die private Altersvorsorge genannt. Mit der Rentenreform von 2001 wurde die private Altersvorsorge neu geregelt und zu einem zentralen Standbein der individuellen Daseinsvorsorge gemacht. Es ist daher politischer Wille, dass die Versicherten Vermögen bilden, um im Ruhestand die Vorsorgeleistung in Anspruch nehmen zu können. Aus den Rentenversicherten werden so Verbraucher, die den Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche gegenüberstehen. Die private Altersvorsorge hängt somit wesentlich vom Verhalten der Finanzberater ab. Finanzberatung wird derzeit unter anderem von Versicherungsvertretern, Versicherungsmaklern, Finanzvertrieben, Strukturvertrieben, Kreditinstituten, Bausparkassen, Graumarktberatern, Honorarberatern und sogenannten unabhängigen Beratern angeboten.



Fazit
Die vorgestellte Untersuchung zeigt deutlich, dass Finanzberater den meisten Verbrauchern Verträge verkauft haben, die nicht ihrem Bedarf entsprechen. Verbraucher können die Qualität der ihnen empfohlenen Finanzprodukte und der Finanzberatung in der Regel nicht feststellen. Der Erfolg der Empfehlung ist nicht einmal bei Renteneintritt nach Vertragsende ermittelbar, da dem Verbraucher die relevanten Informationen zu alternativen Produkten und Ergebnissen nicht vorliegen. Verbraucher sind daher auf eine Beratung und Empfehlung angewiesen, die in ihrem Interesse erfolgt und sich ausschließlich an ihrem Bedarf orientiert.

Der durch Fehlberatungen entstehende jährliche Schaden lässt sich auf ein bis zwei Prozent des Geldvermögens der Deutschen, d.h. auf 49 – 98 Milliarden Euro schätzen. Diesem Schätzwert liegen Erkenntnisse aus der Marktbeobachtung zugrunde, die auf möglichen Einsparungen durch eine bedarfsgerechte Produkt- und Anbieterauswahl basieren.