Hallo Lounge Gast vom 20. März 2006,
gerne komme ich Ihrer Bitte nach, ist ein arbeitgeberseitiger Wunsch doch eine interessante und ebenso herausfordernde Aufgabe wie die Beantwortung der zahlreichen Arbeitnehmeranfragen. Sie baten um eine genaue Analyse des eingestellten Zeugnisses sowie um Formulierungsbeispiele für einige markante Textpassagen.
Die Erstellung eines qualifizierten, wohl geordneten, wohlwollenden, aber wahrheitsgemäßen, informativen, sorgsam ausgefeilten und auf die jeweilige Position abgestimmten Zeugnisses erfordert in Dependenz zur wahrgenommenen Arbeit des zu beurteilenden Mitarbeiters bzw. der zu beurteilenden Mitarbeiterin, einen hohen Arbeitsaufwand, dessen Umfang nicht verkannt werden sollte. In Anbetracht der einkalkulierten Anzahl von 20 Zwischenzeugnissen stellt insbesondere der Grundsatz der Individualität eine reelle Herausforderung dar. Dagegen bietet dieser Umstand im Rahmen der Personalentwicklung die interessante Gelegenheit, das Beurteilungsverhalten des Beurteilenden näher zu untersuchen. Dies vor allem im Hinblick auf seine Fähigkeiten, die unterstellten Mitarbeiter analytisch, differenziert und adäquat vorstellen zu können. Ein Hinweis vor der eigentlichen Analyse: Die von mir gewählten Formulierungsbeispiele müssen nicht immer auf Ihre aktuelle Beurteilungssituation zutreffen und stellen daher nur einen Bruchteil der möglichen Mittel dar. Bei einer Nutzung empfehle Ihnen, die Formulierungen auf den in Ihrem Hause gebräuchlichen Sprachstil zu transferieren. Dadurch wirkt er identisch und wirft keine weiteren Fragen aufgrund eines erkennbaren Stilbruches auf.
Bei der Betrachtung der ersten drei Absätze ist ein klassischer Einstieg in ein Arbeitszeugnis zu konstatieren. Die Formulierung „ist beschäftigt“ stellt zwar keine Passivformulierung im Sinne von „wurde beschäftigt“ oder „hatte zu erledigen“ dar, sollte im Sinne eines sehr guten Zeugnisses aber eindeutiger durch Verwendung von „ist ... tätig“ geändert werden. Formal zu bemängeln ist die fehlende vertraglich festgelegte Berufsbezeichnung (z.B. „als Sachbearbeiterin für...“). Inhaltlich sollte an dieser Stelle der dritte Absatz vorgezogen und in den ersten Absatz eingebaut werden, da das Arbeitszeitvolumen in Arbeitszeugnissen Bestandteil der Einleitung ist. Liegt das Arbeitszeitvolumen erheblich unter der Vollzeit, so ist der Teilzeitstatus explizit zu erwähnen, nur so kann ein tatsächlicher Eindruck vom Umfang der Berufserfahrung entstehen. Beispiel: „Frau Mustermann, geborene Musterfrau, geboren am 12. Februar 1969, trat am 1. März 1995 als Lohnbuchhalterin in unsere Hauptverwaltung in Stuttgart ein. In der Zeit vom XX. MONAT JAHR bis zum XX. MONAT JAHR befand sie sich im Erziehungsurlaub und ist seit ihrer Rückkehr in unserem Unternehmen im Umfang von 25 Stunden wöchentlich tätig.“ Bei lediglich vorübergehender und bereits zurück genommener Reduzierung, die für den Rückschluss auf die Berufserfahrung unerheblich ist, kann meines Erachtens auch auf die Angabe der Reduzierung verzichtet werden. Das leicht distanziert klingende „verweisen wir“ kann durch die neutrale Formulierung wie „ist im Zwischenzeugnis vom 12. Januar 2002 dokumentiert“ aufgehellt werden.
Oft wird man, um die Bedeutung der nachfolgend beschriebenen Position und der Aufgaben darzulegen, die Branche angeben und das Unternehmen und seine Stellung und Entwicklung im Absatz-, Beschaffungs- oder im Arbeitsmarkt skizzieren müssen. Damit die genannten Informationen zum Positionsumfeld und zum Unternehmen nicht im Sinne der Ausweich-Technik als Füllmaterial wirken, ist jedoch ein enger Bezug zur Tätigkeit des Mitarbeiters herzustellen. Dieser Bezug ist im zweiten Absatz leider nicht enthalten, weswegen in der Tat ein reizloser Beigeschmack der ausschließlichen Selbstdarstellung seitens des Unternehmens haften bleibt. Die Umgestaltung könnte durch Straffung der Werbebotschaft und einen engeren Bezug zur Hauptverwaltung erfolgen: „X ist eine der führenden Dienstleistungsorganisationen für Personalwirtschaft in Deutschland und mit fast 100 Niederlassungen Partner von mehr als 10.000 Kundenunternehmen. Unsere Hauptverwaltung in Stuttgart betreut und verwaltet rund 5.000 Fachkräfte aus Industrie und Handwerk, Büro und Verwaltung sowie Konstruktion und Ingenieurtechnik.“ Um den Arbeitsumfang der Arbeitnehmerin deutlich zu erklären, können detailliertere Informationen – bei unveränderter Unternehmensskizze von Ihnen - auch in die Aufgabenbeschreibung aufgenommen werden: „Frau Mustermann betreut die Lohn- und Gehaltsabrechnung von über 350 Mitarbeitern (vom ungelernten Arbeiter bis zum Ingenieur) aus der Metall- und Elektrobranche.“ Dies böte zugleich ein Eindruck über das branchenspezifische Fachwissen im Bezug auf das bestehende Arbeits- und Tarifrecht.
Die Einleitung in den Aufgabenteil erfolgt unter der richtigen Zuhilfenahme der Schwerpunktbildung („insbesondere“). Wird der Verantwortungsbereich der Arbeitnehmerin jedoch, wie gerade erläutert, genauer umschrieben, so gerät der Satz nicht allzu sehr ins Abseits: „Frau Mustermann betreut die Lohn- und Gehaltsabrechnung von über 350 Mitarbeitern (vom ungelernten Arbeiter bis zum Ingenieur) aus der Metall- und Elektrobranche. Ihre Aufgaben umfassen im Wesentlichen:“
Der Aufgabenteil sollte hinsichtlich der Ausformulierung einheitlich verfasst werden, indem entweder ausschließlich die Endung -ung (Personalaktenführung, Erstellung, Erfassung...) oder die Substantivierung der Verben (Führen von Personalakten, Pflegen, Erstellen, Erfassen...) verwendet wird. Die Reihung orientiert sich stets an der Ausübung von Haupt- hin zu den Nebenaufgaben, dem gemäß wäre „Personalaktenführung, [und?/insbesondere?] Pflege von Personalstamm- und Bewegungsdaten“ die Hauptaufgabe der Arbeitnehmerin. Orthografisch lege ich die Änderung von „gesamte“ in „gesamtes Bescheinigungswesen“ nahe, auf die Inhalte möchte ich ansonsten nicht weiter eingehen.
Der Aufgabenteil endet mit Strichaufzählung. Die anschließende Nennung des SAP/R3-Systems kann bei ganzheitlicher Betrachtung bereits als erste Aussage für die Bewertung des Fachwissens herangezogen werden. Leider ist diese Formulierung bar einer positiven Bewertung. Dies ist vor allem bei Betrachtung des nun folgenden Bewertungsteiles bedenklich, da sich dort sonst keine Aussage mit der Bewertung des Fachwissens auseinandersetzt. Der Einsatz in der Lohnbuchhaltung tangiert jedoch ein häufig alternierendes rechtliches Wissen, namentlich Arbeits- und Tarifrecht, Lohnsteuerrecht sowie die Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes. Daher verdient die Bewertung des Fachwissens und der Weiterbildung besondere Beachtung. Ein Zeugnis sollte zumindest über das Fachwissen und seine praktische Anwendung informieren. Beim Fachwissen sind der konkrete Inhalt, der Umfang (= breite Einsetzbarkeit), die Tiefe (Qualifikationsgrad), die Aktualität sowie die Anwendung (Praxistransfer) und/oder der Nutzen (Praxiswirksamkeit) für das Unternehmen darzustellen. Einfache Formulierungsbeispiele: „Frau Mustermann verfügt über ein äußerst solides und aktuelles Fachwissen in ihrem Fachgebiet sowie in relevanten Randbereichen. Sie hat die vom Unternehmen gebotenen Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung stets mit sehr gutem Erfolg und zu unserem Vorteil genutzt.“ Oder: „Sie besitzt ein umfassendes, detailliertes und aktuelles Fachwissen und wendet dieses laufend mit sehr großem Erfolg in ihrem Arbeitsgebiet an.“ Oder: „Frau Mustermann vervollkommnete und aktualisierte beständig zielgerichtet ihr Wissen und hat die erworbenen Kenntnisse stets hervorragend praktisch umgesetzt.“
Der eigentliche Bewertungsteil fängt richtigerweise mit der Bewertung der Arbeitsbereitschaft („Engagement“) an, die Bewertung ist dabei in den Worten „zeichnet sich ... aus“ und „hohes“ hinterlegt und steht für „sehr gut“. Die Wortwahl findet man in der Praxis aber eigentlich eher bei gewerblichen Arbeitnehmern und nicht im Bereich der Tarifangestellten. Die Begrifflichkeit des „Verantwortungsbewusstsein[s]“ entstammt der Bewertung der Arbeitsweise, Loyalität fände seine richtige Zuordnung im Sozialverhalten. Hier sollten im Allgemeinen Begrifflichkeiten wie „Identifikation, Engagement, Initiative, Dynamik, Elan, Pflichtbewusstsein, Zielstrebigkeit, Energie, Fleiß, Interesse, Einsatzwille oder Mehrarbeit“ Verwendung finden.
Der zweite Satz bewertet die Arbeitsbefähigung. Dies umfasst im Allgemeinen die Beschreibung der geistigen, psychischen und körperlichen Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Im konkreten Fall wird die Schlüsselqualifikation der Auffassungsgabe hervorgehoben. Die Umschreibung ist durchweg positiv, aus der Praxiserfahrung heraus befürworte ich aber Formulierungen ohne Bereitschaftsaussage („...ist sie in der Lage...“). Die Note ist mit „gut“ einzuordnen. Verwunderlich finde ich an dieser Stelle allerdings die „neue[n] Sachgebiete“, die ich mir im Ressort der Lohnbuchhaltung nur schwerlich vorstellen kann. Der dritte Satz knüpft zunächst an die Arbeitsbefähigung an ( „belastbare und ausdauernde“), geht aber über die Bewertung der Arbeitsweise („selbstständig, zuverlässig und genau“) in einem Zug zur Bewertung des Arbeitserfolges („dabei stets sehr gute Leistungen“) über. Die Verkettung stellt die intendierte einheitlich sehr gute Beurteilung sicher, einige Zeugnisanalysten mahnen aber die distanziert klingende Formulierung („haben ... als kennen gelernt“ = war sie aber nicht) an, dieser Argumentation muss man aber nicht Folge leisten. Die zusammenfassende Leistungsbeurteilung („stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“) steht für sehr gut.
Der Bewertungsteil zur Leistungsbeurteilung schließt damit ab. Im Rahmen einer Analyse sollte selbstkritisch betrachtet werden, ob die umschriebenen Attribute auch mit den Anforderungen an den Beruf übereinstimmen. Aus meiner Sicht sollte eine Lohnbuchhalterin insbesondere folgende Eigenschaften haben – die in einem Zeugnis reflektiert werden sollten:
Zahlenverständnis, Organisationstalent und Selbstständigkeit, Identifikation, Fleiß, Pflichtbewusstsein, Sorgfalt, absolute Termintreue, aktuelles Fachwissen, Ausdauer und Konzentration, Effizienz, Genauigkeit.
Nicht alle Elemente finden sich im vorliegenden Zeugnis wieder, die Formulierungen sind darüber hinaus allgemein und nicht berufsbezogen formuliert worden. Es klingt nur bedingt authentisch.
Es folgt die Bewertung der Führung im Dienste. Gerade bei Dienstleistungsberufen kommt diesem Bereich, wo Querelen die wechselseitige Information stören und damit die Effizienz der Gruppe mindern können, eine besondere Bedeutung zu. Die hier gewählte Formulierung bezieht ausschließlich Stellung zum Verhalten gegenüber Internen, die (optionalen) Erweiterungsmöglichkeiten zum Verhalten gegenüber Externen oder die Nennung des sonstigen Verhaltens erfolgt nicht. Im Kontext betracht handeltet es sich um eine wenig differenzierende Formulierung, die sich nicht sonderlich an den Besonderheiten des ergriffenen Berufes orientiert. Diese Beliebigkeit in Verbindung mit der durchaus steigerbaren Formulierung „anerkannt und geschätzt“ (vgl. „anerkannt und sehr geschätzt“) lassen bei der Interpretation des „jederzeit einwandfrei“ eher auf eine gute Note schließen. Um die Beurteilung des Sozialverhaltens individueller und informativer zu gestalten, können im Allgemeinen auch Aspekte wie beispielsweise Teamfähigkeit, Loyalität, Aufgeschlossenheit, Hilfsbereitschaft, Kooperationsbereitschaft, Kontaktvermögen oder Auftreten angesprochen werden. Gewählte Eigenschaften sollten dabei jedoch stets einen Arbeits- und Leistungsbezug haben. Im konkreten Fall hat ihre Mitarbeiterin Zugang zu vertraulichen Informationen (Entgelt, Zugriff auf die Personalakten), daher sollten Sie die Vertrauenswürdigkeit oder die Integrität erwähnen. Eine Differenzierung der Mitarbeiter – auch bei gleicher Notengebung – kann somit durch die Nennung verschiedener Eigenschaften durchaus vorgenommen werden, ich möchte Ihnen drei Beispiele mit sehr guter Note offerieren. Die Formulierungen umfassen dabei das Verhalten gegenüber Internen sowie das sonstige Verhalten:
a) Aufgrund ihrer sachlichen Zusammenarbeit und ihres kollegialen und aufgeschlossenen Verhaltens ist sie stets bei Vorgesetzten und Mitarbeitern gleichermaßen sehr geschätzt und anerkannt. Sie bearbeitet laufend vertrauliche Vorgänge und Personalangelegenheiten mit absoluter Diskretion. Wir können uns auf sie jederzeit absolut verlassen.
b) Frau Mustermann ist eine fachlich und persönlich allseits geschätzte Mitarbeiterin, die sich sehr gut in die Gruppe einfügt. Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen ist jederzeit vorbildlich. Mit ihren exzellenten Umgangsformen sind wir stets außerordentlich zufrieden. Alle Personalfragen bearbeitet sie absolut vertraulich, alle Datenschutzbestimmungen hält sie jederzeit strikt ein.
c) Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Mitarbeitern ist stets vorbildlich. Sie ist eine geachtete und gern gesehene Mitarbeiterin und trägt in jeder Hinsicht zu einer sehr guten und effizienten Teamarbeit bei. Besonders zu würdigen ist ihre absolute Integrität und Verlässlichkeit.
Das Zwischenzeugnis nennt richtigerweise den Ausstellungsgrund, „auf Wunsch“ kann hier aber entfallen. In der Praxis unterstreicht der letzte Absatz den Gesamteindruck über den Arbeitnehmer. Bei einem sehr guten Arbeitszeugnis sollte daher eine angepasste Würdigung vorgenommen werden – steht die gewählte Formulierung doch eher für einen „guten“ Gesamteindruck.
Zusammenfassend wurden bei dem vorliegendem Zeugnis Noten im Bereich „gut“ bis „sehr gut“ vergeben. Die gewählten Textbausteine orientieren sich meines Erachtens jedoch nicht sorgsam genug an den Anforderungen des ausgeübten Berufes. Hier besteht die Gefahr des beredeten Schweigens! Die vergebenen Attribute werden darüber hinaus nicht mit der erforderlichen Trennschärfe den betroffenen Leistungs- und Verhaltensaspekten zugeordnet. Das Zeugnis enthält weiterführend nicht alle Komponenten eines wohl geordneten und vollständigen qualifizierten Arbeitszeugnisses.
Das Zeugnis in seiner bestehenden Form wird dem Anspruch eines Dienstleistungsunternehmens der Personalwirtschaft mit dargestellter Marktpositionierung meines Erachtens nicht gerecht.
antworten