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AuslandsstudiumLUND

Erfahrungsbericht: Auslandsstudium in Schweden

Auf ins Land der Elche! - Der kleine Wegweiser für ein Studiensemester in Schweden. Vom Tandemrennen bis zur Gründung einer virtuellen Unternehmensberatung war alles inklusive.

Und die Wahl fiel auf Lund - Schweden
Dass ich während des Studiums einmal ins Ausland musste, war klar. Die Wahl fiel auf Schweden. Durch das Austauschprogramm an meiner Schule bestand bereits eine enge Freundschaften zu zwei Schweden. An der Uni gab es ein Austauschprogramm mit der School of Economics and Management in Lund. Kurz vor Reiseantritt fand ich mich plötzlich in einer Beziehung wieder. Und es hatte mich derbe erwischt! Ob ich das durchstehen würde?

Die Ankunft
Abgeholt wurde ich von Christer, der ein Jahr in Münster studiert hatte. Mit dem gesamten Gepäck fuhren wir zur »Gammalt Brandstachunen« - der alten Feuerwache. Meine Recherchen bei ehemaligen Austauschstudenten hatten ergeben, dass dies die interessanteste Wohnmöglichkeit in Lund ist. Es hatte mich einige Telefonate gekostet, hier untergebracht zu werden. Zusammen mit 42 Austauschstudenten aus aller Herren Ländern unter einem Dach zu wohnen? Das war verlockend.

Die nächsten fünf Monate würden wie im Fluge vergehen
Bevor ich überhaupt meine Koffer in mein Zimmer geräumt hatte, wurde ich von meiner französischen Zimmernachbarin Sophie begrüßt. Sie bot mir an, mich einer Gruppe anzuschließen, die gerade zum Brunchen aufbrach. In diesem Moment war mir klar, dass die nächsten fünf Monate wie im Fluge vergehen würden.

Die Runde war bunt zusammengewürfelt. Diego, Marga und Marry bildeten die spanische Fraktion. Sachelhachhutchewilie stammte aus Georgien. An dem Namen übte ich unter seiner Anleitung einmal 15 Minuten, bis ich ihn aussprechen konnte. Cyril und Sophie waren aus dem Land des Savoir vivre. Das Brunchen war klasse. Für einen Moment hatte sich auch der Herzschmerz verabschiedet.

Die Old Firestation
In der ehemaligen Feuerwache waren auf über 3 Etagen 40 Austauschstudenten untergebracht. Zu jeder Etage gehörte eine große Küche und ein Aufenthaltsraum. Fernseher, Dartscheibe, Spielesammlungen, Sauna und ein riesiger Garten erinnerten an ein Paradies. Es ließ sich immer ein Gesprächspartner finden, und es wurde so manche heiße Diskussion geführt. Intensiver kann interkultureller Austausch kaum sein.

Backgammon - eine Frage der Ehre
Am Wochenende hatte jemand ein Schachturnier organisiert, das sich über Wochen hinzog. Ebenso beliebt war in der Old Firestation das Backgammon. Besonders gerne spielte ich mit Sachel. Backgammon ist in Georgien der Volkssport Nr. 1. Dementsprechend engagiert ging er an die Sache heran. Immer wieder wurden die Würfel in einer mir unbekannten Sprache beschworen. Mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung war ich aber auch gut im Rennen. Sachel fühlte sich durch jede Niederlage zutiefst in seiner Ehre verletzt. Hier war es immer besonders wichtig, direkt eine Revanche zu gewähren und möglichst zu verlieren.

Tortillas vom Feinsten und Picknick bei Regen
Highlight des Tages waren immer die Kochorgien. Ich war in der glücklichen Lage, direkt neben zwei spanischen Mädels zu wohnen. Diese kochten für ihr Leben gerne und schienen die größte Freude daran zu haben, wenn es anderen schmeckte. Einige Jungs waren von zu Hause gewohnt, dass Kochen, Spülen und Waschen eher etwas für die Frauen ist. Wer beim Spülen nicht mit einstieg, war der erste, der bei der Gemeinschaftsküche mehr oder weniger freiwillig ausstieg. Wie heilsam Hunger sein kann! Als eine Geburtstagsüberraschung ins Wasser zu fallen drohte, wurde das geplante Picknick kurzerhand in unseren Aufenthaltraum verlegt. Auf einigen Decken wurden alle Köstlichkeiten und ein paar Blumen ausgebreitet. Alle saßen beisammen, und wir unterhielten uns angeregt. Ein Moment intensivster Unbeschwertheit.

So tanzten wir auf dem höchsten Turm der Feuerwache
Die alte Feuerwache war bekannt für ihre legendären Partys. Doch dann wurde renoviert. Rund um die alte Feuerwache zogen sich Baugerüste. Da war es wenig verwunderlich, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand vor dem Zimmerfenster vorbeiturnte. Die Baugerüstakrobatik fand ihren Höhepunkt auf einer Party, bei der stets etwa 200 Leute auf und um die Feuerwache herumkletterten.

Was die Schweden ein Vorspiel nennen
Aufgrund der extrem hohen Preise für Spirituosen hat sich in Schweden das sogenannte Vorfest bzw. Vorspiel etabliert. In den Kneipen und Bars liegt der Kurs für ein Bier bei etwa fünf Euro. Hier ist mit Blick auf die Haushaltskasse eine gewisse Mäßigung erforderlich. Umso kräftiger wird dafür beim Vorspiel zugelangt. Da geht der eine oder andere bereits mit enormer Schräglage aus dem Haus. Für uns gemütliche Biertrinker eine eher ungewohnte Trinkkultur.

Partys, Kino, Candlelight-Dinner
Jeder Student gehört in Schweden einer Art Verbindung an. An irgendeine dieser Nations muss jeder eine Semestergebühr entrichten. Diese Nations bieten ein Sportprogramm, organisieren Partys, Kinoabende und Candlelight-Dinner. Ein Großteil des Partygeschehens findet abends in diesen Nations statt. Hier wird Bier besonders preiswert ausgeschenkt. Schwedische Tradition beim Feiern ist der Roulettetisch. Hier wird den ganzen Abend fieberhaft gezockt.

Das 24-h-Tandemwettrennen
Einmal im Jahr treten alle Nations mit einem Tandem zum großen Wettstreit an. Zu jedem Tandem gehört ein Team/Bus von etwa 40 Fahrern. Alle 20 Kilometer wechseln die Fahrer auf dem Tandem. Der Bus ist jeweils bis unter die Decke vollbeladen mit Bier, und im Bus wird richtig gefeiert. Alle brannten darauf dabeizusein. Alle vier Stunden stoppten wir, und es wurde am Strand gefeiert. Ein Bus war sogar mit einer Nebelmaschine ausgestattet. Wenn die Tür aufging, kamen uns immer riesige Nebelschwaden entgegen. Um eine freie Fahrt zu garantieren, wurden größere Kreuzungen von der Polizei abgesperrt. Wenn die Busse einen Kreisverkehr erreichten, wurde ein Loblied auf den Busfahrer angestimmt, und dieser drehte solange seine Runden im Kreisverkehr, bis die Loblieder irgendwann verstummten.

Fernbeziehung –- Sommerurlaub leider vertelefoniert
Ich glaube, wir haben in den fünf Monaten etwa 500 Euro vertelefoniert. Hätte die Liberalisierung des Telefonmarktes nicht etwas früher kommen können?
 


Last but not least bin ich auch an der Uni gewesen
Die meisten Austauschschüler belegten englischsprachige Vorlesungen, was sich natürlich positiv auf die Englischkenntnisse auswirkt. Dem Fachlichen war leicht zu folgen. Das Schulsystem unterscheidet sich stark von unserem. Viele Kurse enthalten eine Seminararbeit als Gruppenleistung und die Recherche von Informationen im Internet. In mehreren Kursen ist auch die Zusammenarbeit mit schwedischen Unternehmen vorgesehen. Ich empfand den Uni-Alltag daher als sehr praxisorientiert und abwechslungsreich.

Gruppenarbeit - Wer macht was und wieviel?
Hier tauchten immer wieder die gleichen Probleme auf. Am Anfang jeder Gruppenarbeit steht für mich seitdem eine Verständigung über die gemeinsamen Ziele. Will man eine sehr gute Note erreichen oder einfach nur bestehen? Eine frühe Klärung beugt Streit und Missverständnissen vor. Die Aufgabenverteilung ist unbedingt schriftlich festzuhalten. Nichts ist nerviger, als nach einigen arbeitsreichen Tagen festzustellen, dass andere dem Projekt deutlich weniger Priorität beimessen.

Management Consulting
Dieser außergewöhnliche Kurs darf keinesfalls unerwähnt bleiben. Der Kurs Management Consulting enthielt die fiktive Gründung einer aus vier Studenten bestehenden Unternehmensberatung. Teil des Kurses war die Ausarbeitung und Erstellung einer Imagebroschüre. Mit dieser Broschüre musste sich jedes Team ein Unternehmen suchen, dem eine kostenlose Beratung angeboten wurde. Die Beratung wurde unter dem Coaching einer schwedischen Unternehmensberatung durchgeführt. Diese hat uns auch im Umgang mit Kunden und in Beratungstechniken geschult. Basierend auf dem Kundenproblem musste jedes Team eine Fallstudie ausarbeiten. In einem Abschlusswochenende haben wir die Fallstudien der jeweils anderen Gruppen bearbeitet und anschließend diskutiert. Lerneffekt? Unbeschreiblich!

Sprachkurs - das zentrale Wort ist Öl
Studenten verschiedenster Nationalität besuchten die von der Uni angebotenen Sprachkurse. Da nicht jeder Englisch beherrschte, stellte Maria - unsere Lehrerin - alles pantomimisch dar. So hatten wir immer eine ziemliche Gaudi im Kurs.

Sehr witzig ist auch, wenn ein schwedisches Wort mit bis zu zehn verschiedenen Akzenten ausgesprochen wird. Besonders lustig klingt Schwedisch mit französischem Akzent. Wir lernten aus einem vergilbten Buch der 60er Jahre. Gleich auf den ersten Seiten standen Sätze wie »Ule är arbetslös!« - Ulle ist arbeitslos! und »Karen diskar«! - Karen wäscht ab. Das Klischee lässt grüßen!

Ich hatte bereits einen VHS-Kurs absolviert. Das zentrale Wort für jeden Austauschschüler ist »Öl«, zu deutsch Bier. Schnell machte ich die Erfahrung, dass bei diesen Worten auch gleich 5 Euro bei meinen Lebenshaltungskosten zu Buche schlugen.

Schweden
Die Schweden sind sehr weltoffen. In Schweden werden viele englischsprachige Bücher gelesen. Da nicht erst auf die Übersetzung gewartet werden muss, sind die Schweden gerade im wissenschaftlichen Bereich immer auf dem aktuellsten Stand. Dadurch, dass im TV englische Filme mit schwedischem Untertitel ausgestrahlt werden, sprechen die meisten Schweden sehr gut englisch. Die meisten Schweden beherrschen zudem mindestens zwei weitere Fremdsprachen.