HMI Hamburg Mannheimer
Strukturvertrieb statt Arbeitsplatz – wie Versicherungsvertreter Arbeitslose täuschten
Für viele Arbeitslose in Berlin war es ein Lichtblick. Sie erhielten einen Anruf eines Versicherungsvertreters, der einen festen Arbeitsplatz in Aussicht stellte. Tatsächlich wurden sie freiberuflich im Strukturvertrieb für eine Rentenversicherung eingesetzt. Und mußten selbst diese Versicherung abschließen. Auf die Bezahlung ihrer Arbeit warten einige noch heute.
weiter... Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Jobsuche und bekommen ein Angebot: Man verspricht Ihnen ein gutes Einkommen, neue Perspektiven, Aufstiegschancen. Wahrscheinlich würden auch Sie sich an diese Hoffnung klammern. Den dringenden Wunsch, beruflich wieder Fuß zu fassen, nutzt eine als seriös geltende große Versicherungsagentur gnadenlos aus. Viele sind den Versprechungen auf den Leim gegangen, haben unterschrieben, gezahlt und gehofft. Andrea Everwien über dubiose Machenschaften und deren Opfer.
Szene nachgestellt
„Ja, guten Tag, mein Name ist Anja Müller, ich rufe an von der Hamburg-Mannheimer, ich habe ihr Profil gelesen im Internet vom Arbeitsamt und ich muss sagen, dass mir das sehr, sehr gut gefällt…“
Die Szene ist nachgestellt – doch im letzten Jahr hat sie sich in Berlin so abgespielt – tausendfach.
René Westendorp
„Ich wurde angerufen über mein Arbeitsamt-Profil, die ich erstellt habe beim Arbeitsamt. Sie haben mir eine Innentätigkeit angeboten im Festangestellten-Verhältnis.“
Roswitha G.
„Mich hat ne Dame angerufen, und die meinte dann, die hat mein Profil von der Arbeitsagentur vom Portal gefunden und da ich ja kaufmännische Kenntnisse habe, würde es ideal sein, für die Herausforderung die mir bevorsteht und sie würde mich gerne einladen zu einem Vorstellungsgespräch.“
Elke Cheema
„Als Arbeitsloser, wenn man die Möglichkeit hat, mit der Aussicht auf feste Arbeit, Ich glaube, viele sind da so, die greifen dann zu.“
Werbevideo Hamburg-Mannheimer
„Herr Kaiser, gut dass wir sie treffen…“
Günter Kaiser von der Hamburg-Mannheimer – auf sein Saubermann-Image haben die Arbeitslosen in Berlin vertraut. Sie glaubten, eine Festanstellung bei der renommierten Versicherung aus Hamburg zu bekommen – doch dann kam alles ganz anders.
Berlin Weißensee. Im Industriegebiet am Rande der Stadt residiert die HMI, die Hamburg Mannheimer International. Die HMI ist eine der Vertriebsorganisationen der Hamburg Mannheimer Versicherung. Sie verkauft deren Produkte, zum Beispiel Golden Future – eine private Rentenversicherung. Angeblich ein Top –Produkt – vor allem für den Verkäufe der HMI, wenn man der Internet-Werbung Glauben schenken darf. Lauter Karrieretypen, super Aufstiegschancen. Entgegen dem ersten Eindruck: die Mitarbeiter der HMI sind keineswegs festangestellt bei der Hamburg-Mannheimer Versicherung – sie sind freie Mitarbeiter im Strukturvertrieb.
Roswitha G.
“Na ja, das ist ein Strukturbetrieb. Man hat also jemanden der ganz oben sitzt, der hat Mitarbeiter und die Mitarbeiter werben weitere Mitarbeiter und so finanziert sich das ja.“
Wenn ein Mitarbeiter der HMI einen Golden Future Vertrag abschließt, verdient also sein Vorgesetzter daran mit – und dessen Vorgesetzter wiederum. Wer an der Spitze steht, sahnt ab; die weiter unten müssen ganz schön strampeln.
Maßgebliche Mitarbeiter der HMI in Berlin-Weißensee: Tilo Trotte und Andreas Frank, ein gelernter Fliesenleger, der schon einmal mit einer Baufirma pleite ging.
Anfang 2004 wollten Trotte und Frank ein ganz großes Ding starten: in diesem Gebäudekomplex mieteten sie über einen Verein mehrere Büros an. Ihr Ziel: ein paar hundert Mitarbeiter, die für sie mit dem Vertrieb von Golden Future Geld verdienten. Für diesen Zweck warb Andreas Frank damals sogar einen Facility-Manager aus Hamburg an: Ludwig Lubda, selbständiger Unternehmer, sollte festangestellt werden bei den Versicherungsexperten.
Ludwig Lubda, Facility-Manager Hamburg
“Dann hieß es mit Ende des Jahres, wollen wir 300 Mitarbeiter sein. Das war für mich natürlich ne Herausforderung als Facility-Manager. Und bei so ner großen Firma wie HM hab ich natürlich Vertrauen. Das war dumm von mir.“
Denn weder Ludwig Lubda noch die betroffenen Arbeitslosen erhielten Lohn und Brot aus einer Festanstellung. Als erstes wurden alle zum Seminar geschickt zur Weiterbildung in ein edles Hotel. Der Holländer René Westendorp war auch dabei.
René Westendorp
„Es ist immer das Gleiche: Die Leute schmackhaft zu machen, wie schnell man eine Yacht haben kann, eine Rolex, goldene Schuhe, oder einen schnellen Mercedes fahren kann. Aber das entspricht überhaupt nicht der Wahrheit.“
Roswitha G. kam das gleich komisch vor. Trotzdem hat sie mitgespielt, weil sie auf einen festen Job als Sekretärin hoffte. Doch als sie endlich anfangen konnte zu arbeiten, bekam sie ganz andere Aufgaben.
Roswitha G.
“Dann hieß es, wir haben hier Profile für Dich, die kannst Du ja mal abtelefonieren.“
René Westendorp
„Die Listen haben wir von der Telefonzentrale bekommen, bei uns wurde die abgegeben, und das waren 40,50 pro Team, und konnten wir dann anrufen.“
Elke Cheema
„Alle, die arbeitslos waren oder jemals arbeitslos gemeldet waren, die waren auf diesen Listen, die hatten wir anzurufen und zu einem Kennenlerngespräch einzuladen.“
Tausende Telefonnummern von Arbeitslosen haben sie abtelefoniert. Ihre Vorgesetzten hatten sich die Nummern aus dem Internet von der Arbeitsagentur besorgt. Der Sinn der Anrufe: möglichst viele Arbeitslose zur Mitarbeit bei HMI zu bewegen.
Denn wer erst einmal ein Praktikum angetreten hatte, wurde unter Druck gesetzt. Er sollte selbst Golden-Future-Versicherungen abschließen.
Roswitha G.
„Ich dachte ja, ich krieg ab 1.10. ne Festanstellung und dann wären die 100 Euro ja kein Problem für mich.“
Elke Cheema
“Im Endeffekt wurde ich gezwungen, zwei Verträge selber zu machen, einfach um anderen Mitarbeitern die Gelegenheit zu geben, eine Stufe höher zu kommen. Das war so eine Art freiwilliger Zwang. Sonst wurde man ausgeschlossen oder gemobbt.“
Die HMI-Mitarbeiter Tilo Trotte und Andreas Frank hatten noch eine weitere Idee. Sie gründeten den Vam e.V. das heißt: Verein zur Verhinderung von Altersarmut. Im Vorstand: Tilo Trotte und Andreas Frank. Der VAM e.V. gibt sich ein menschenfreundliches Image: Rentnern in Not will er helfen. Einen Zusammenhang mit der Tätigkeit bei HMI bestreiten die beiden Gründungsmitglieder.
Tilo Trotte
„Zweck des Vereins war es die Bevölkerung zu beraten und aufzuklären über unser Rentenproblem.“
Tatsächlich aber machten sie auf der Homepage des Vereins Werbung für die Hamburg-Mannheimer.
Der Konzernzentrale in Hamburg gingen die Aktivitäten der Berliner HMI-Mitarbeiter dann doch zu weit. Gegenüber Klartext distanzierten sie sich heute schriftlich von dem Verein.
Zitat
„Von der Gründung des Vereins VAM haben wir im Herbst 2004 erfahren. Der zuständige Geschäftsstellenleiter hat daraufhin umgehend bei den Beteiligten die Auflösung des Vereins erwirkt. Der Verein wurde aufgelöst und die Vermittler durch die Hamburg Mannheimer Versicherungs-AG abgemahnt.“
Elke Cheema ist heute wieder arbeitslos, genau wie Roswitha G. und René Westendorp. Sie sind gegangen, weil sie monatelang kein Gehalt bekamen.
Elke Cheema
„Ich habe beim Verein zur Verhinderung von Altersarmut gearbeitet. Dieser Verein schafft es ganz gut noch vor dem Alter die Leute in den Ruin zu treiben.“
René Westendorp
„ Wir armen Säue haben nichts davon, wir haben nur Schulden.“