Was reizt Euch an einer Führungsposition?
Hallo Forum,
ich wollte mal einen Beitrag starten, den ich so anhand der Suchfunktion noch nicht gefunden habe.
Zu mir: Mitte 30, ca. 65k Gehalt, seit ca. 6 Jahren in einem IGM Unternehmen in Süddeutschland, gesamt 8 Jahre BE.
Mich würde interessieren, was Euch denn überhaupt an einer Führungsposition reizt. Ich zähle mal auf, welche Gründe ich aus meinen Erfahrungen vorbringen kann, weshalb ich eine Führungsposition als kein erstrebenswertes Berufsziel halte.
1.) Unklare Verantwortlichkeiten
Sämtliche Vorgesetzte von oben / Nachbarabteilung haben Zugriff auf einen, und wenn es nur Abstimmungsmeetings sind, bei denen man nichts beizutragen hat. Man hat präsent zu sein und kann nicht ? wie auf Sachbearbeiterebene ? auf seine (begrenzte) Verantwortlichkeit verweisen. Auf Führungsebene gibt es kaum abgegrenzte Verantwortlichkeit mehr. Von einer engagierten Führungskraft erwartet man, dass man Sonder- und Zusatzaufgaben übernimmt, dass man sich aktiv in Projekte einbringt, sich eigene Projekte sucht. Daraus ergibt sich, dass immer und zu jeder Zeit jemand mit Projekt X, Sonderaufgabe Y oder sonst etwas um die Ecke kommen kann. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Verantwortlichkeit braucht man nicht zu stellen, andere ?abwimmeln? kommt gar nicht gut an. Und dass man bei Meetings um 18 Uhr teilnimmt und bei Überseeflügen am Sonntag (also seiner Freizeit, die mit dem Gehalt abgegolten ist) fliegt ist natürlich selbstverständlich bzw. man schießt sich da direkt ins Aus, wenn man hierüber diskutieren möchte.
2.) Ständige Beobachtung / Notwendige Selbstdarstellung
Man steht unter extremer Beobachtung von oben. Bei uns im Unternehmen findet ca. einmal im Jahr eine Gruppenpräsentation vor dem höheren Management statt. Vorgesetzter plus Team präsentieren Basis-Kennzahlen, die jeder kennt und die überall verfügbar sind. Es wird also null Inhalt vermittelt. Selbst gestandene Führungskräfte machen mit ihren Teams für diese Veranstaltung Probedurchläufe (!). Es geht um 10 Minuten zu dritt und Basiskennzahlen. Die Anspannung ist allen Managern ins Gesicht geschrieben, plötzlich agieren alle wachsweich, treffen keinerlei klare Aussagen mehr, eiern nur rum. Man kann den Eindruck gewinnen, dass diese 10 Minuten ein Casting für Vorgesetzte ist. Generell verhalten sich Vorgesetzte in Anwesenheit deren Vorgesetzten oftmals sehr seltsam, meist ist es eine Mischung aus Einschleimen und Unterwürfigkeit. Dauerhaft ein solche Verhalten an den Tag legen (zu müssen) erscheint mir nicht erstrebenswert.
3.) Menschliche Beziehungen im beruflichen Kontext
Man kann seinem eigenen Team nicht zu nahe sein, weil die sonst einen nicht mehr für voll nehmen. Habe ich 2 Mal erlebt bisher den Kumpel-Typ als Vorgesetzten. Ist bis zu einem gewissen Grad vorteilhaft für beide, kann sich aber schnell ins Negative drehen. Zu distanziert ist natürlich auch schlecht. Und auf der Führungsebene im Allgemeinen habe ich das Gefühl, dass es da verschiedene Fraktionen gibt, die sich mehr oder weniger offen bekriegen. Das kann die Nebenabteilung sein oder sogar innerhalb der Abteilung, d.h. man sollte sich da geschickt in so einen Clan integrieren, (aber nicht zu offensichtlich), um dann hoffentlich mit diesem aufzusteigen (oder auch nur in Ruhe gelassen zu werden). Derzeit erlebe ich wie ein Jungmanager von einem Senior Manager der Nebenabteilung massiv torpediert wird. Weil der Jungmanager von einem Feind des Senior Managers ?hochgezogen? wurde. Auf Führungsebene ist sich jeder selbst der Nächste, ein ehrliches, vertrauensvolles Verhältnis ist da die Ausnahme. Hintenrum jeder gegen jedem, aber vorneherum macht man ein freundliches Gesicht zueinander. Letztens habe ich eine Begrüßung / Gespräch von 2 Managern mithören können, von denen bekannt ist, dass die sich am liebsten gegenseitig das Messer in den Rücken rammen würden. Das war hohe Schauspielkunst. Ausweichen / Ignorieren ist auf der Ebene nicht mehr. Und generell spekulieren die Manager immer auf die (besseren) Jobs des Anderen, ihren Machtbereich auszubauen / zu verteidigen, andere Bereiche zu übernehmen, ihren Einflussbereich zu erweitern. Und bei Reisen / Team Dinnern / Workshops usw. geht die gemeinsame Zeit tlw. bis weit in den Abend. Ich kann mir vorstellen, dass viele Vorgesetzte im Beruf sehr einsam sind. Auf der eigenen Ebene muss man Feinde bekämpfen und mit der unteren Ebene kann man sich auch nicht zu gut verstehen. Solche menschlichen Beziehungen will ich nicht führen. Ich habe mal einen Top Manager gefragt, wie viel Zeit er mit seinen rein fachlichen Aufgaben verbringt und wie viel mit dem ganzen Geklüngel. Antwort 2/3 zu 1/3.
4.) Austauschbarkeit
Auf Führungsebene kommt es regelmäßig vor, dass da einfach mal ?durchgeschüttelt? wird und sich jeder auf einer anderen Position befindet. Dieses Karussel dreht sich so ca. alle 2 Jahre und man hat den Eindruck, dass sehr viele Manager auf Stellen landen, an denen sie kein Interesse haben. Und wenn man dann mal in seinem Wunschbereich landet kann es sein, dass ein Senior Manager kommt und einfach mal wieder durchschüttelt - und schon ist man seinen Job wieder los. Dazu kommen die ganzen Versprechen ?Du musst erst einmal Job X machen, um danach für Job Y qualifiziert zu sein.? Ich kann konkret einen Fall aufzählen, bei dem man an einem extrem unattraktiven Standort eine Personalmanagerin gesucht hat. Einer aufstrebenden Personalmanagerin hat man versprochen, dass sie dort Erfahrungen sammeln soll, um sich für einen dann besseren Job an einem großen, attraktiven Standort zu empfehlen. Die gute Dame sitzt da jetzt schon geschlagene 6 (!) Jahre und pendelt am Wochenende zu Mann und Familie am attraktiven Standort. An das damalige Versprechen kann man sich wohl nicht mehr erinnern bzw. die Vorgesetzten haben vielleicht schon wieder 3 Mal gewechselt. 6 Jahre im besten Alter in einem unattraktiven Kaff - wegen einem Versprechen. Bei einem anderen Fall hat man Gerüchten zufolge einem Manager nahegelegt, ein Angebot anzunehmen, ansonsten wäre es das mit seiner Karriere in dem Konzern. Man wird also auch erpressbar, zumindest ein bisschen. Einmal die Hand gehoben beim Thema ?Personalverantwortung? und schon kann man willkürlich rumgeschubst und auch erpresst werden. Auch erlebt man es häufig, dass Leute in Vorgesetztenpositionen, deren Mitarbeit nicht mehr sehr gewünscht ist, einfach auf Stellen (ohne Personalverantwortung natürlich) ?geparkt? werden, deren Aufgaben auch ein Praktikant erledigen könnte. Pure Demütigung. Letztens hat an einem Standort der Direktor seinen Vize abgeschossen, Gerüchten zufolge, weil es selbst eng für ihn geworden ist und er ein ?Opfer? bringen musste und Handlungsfähigkeit beweisen. Wozu soll ich mich in so ein Haifischbecken begeben?
5.) Führung nach unten
Die eigentliche Tätigkeit, das Führen, stelle ich mir auch nicht einfach vor. Gerade in einem Konzern gibt es haufenweise unmotivierte, faule, bockige Leute, die (wenn überhaupt) nur das Mindeste von dem machen, was sie machen sollen. Allein die Vorstellung für solche Leute verantwortlich zu sein ist unangenehm.
Jetzt die Frage: Was reizt Euch genau an der Übernahme einer Führungsposition?
- Geld? Ich habe einen normalen Lebensstil und kein Interesse an einem teuren EFH, teuren Auto und sonstigen kostspieligen Statussymbolen. Zumal ich erschrocken bin, wie vergleichsweise niedrig teilweise das AT-Gehalt für die zweite Führungsebene in so einem Konzern dann doch ist. Da hatte ich ganz andere Zahlen im Kopf.
- Verantwortung? Siehe die ganzen Gründe oben. Die Verantwortung besteht in allererster Linie darin, sich nicht verheizen zu lassen und sich zu verteidigen.
- ?Weil ich studiert habe?. Habe ich tatsächlich mehrmals so gehört und liest man hier ja im Forum auch immer wieder.
- ?Ich will ja nicht ewig Sachbearbeiter bleiben.? Habe ich auch mehrmals so gehört, ist aber keine Argumentation PRO Führungskraft, sondern GEGEN Sachbearbeiter, die ich hier nicht weiter ausführen möchte, da mir die Sachbearbeitung mit klarer Verantwortlichkeit, üppigem Gehalt und viel Freizeit sogar inhaltlich Spaß macht. Auch nach 6 Jahren.
So, jetzt lasst mal hören und beschreiben, was auch an der Vorgesetztenposition reizt. Ich freue mich auf Beiträge, die meine (zugegebenermaßen recht einseitige) Perspektive erweitert. Danke vorab.
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