"Habe ich da etwas Grundlegendes nicht verstanden? Sind denn z.B. Addidas und Nike nicht Konkurrenten? Gilt es nicht als "Verrat" wenn man zum Wettbewerber wechselt?"
Je nach Branche, Führungsebene und Funktion. Wenn ein Sachbearbeiter aus der Buchhaltung von DHL zu TNT wechselt, ist das sicherlich kein "Verrat". Wechselt ein Projektleiter von McK zu BCG würde ich mich fragen, was das soll. Vor allem, wenn er dann alle McK-Kunden abklappert und zu einem Wechsel zu BCG überreden will. Aber mal ehrlich: Die wenigsten von uns bleiben ihr Leben lang bei einem Arbeitgeber. Und die meisten werden, wenn sie wechseln, das innerhalb einer Branche oder einer Fachfunktion tun. Wenn das alles Verräter wären, könnte man ja kaum noch jemanden einstellen.
"Man nimmt dann doch immer die Firmengeheimnisse mit?"
Das ist in der Praxis leichter gesagt als getan. Drei Beispiele:
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Wer als Sachbearbeiter der Entwicklungsabteilung von Boeing zu Airbus wechselt und ein paar Detailkenntnisse über die Verankerung von Sitzen mitnimmt, wird damit beim Konkurrenten wenig anfangen können. Vieles weiß die Konkurrenz sowieso schon, sie hat sich nur bewußt dagegen entschieden, die Erkenntnisse 1:1 abzukupfern.
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Wer als Leiter der Entwicklungsabteilung für das gesamte Bordnetz von Boeing zu Airbus wechselt und spezifisches Wissen mitnimmt (z.B. über die strategischen Pläne der nächsten 10 Jahre), ist in der Tat eine Gefahr für die Geheimhaltung, weshalb der Wechsel zu einem Konkurrenten normalerweise per Arbeitsvertrag für x Jahre ausgeschlossen sein wird. Die Firmen sind sich dieses Risikos nämlich bewusst.
- Wer beim Weggang aus der Abteilung den kompletten Fileserver auf eine DVD-Sammlung brennt und damit beim neuen Arbeitgeber punkten will, ist nicht nur ganz eindeutig ein mieser Halunke, sondern ist damit auch beim neuen Arbeitgeber unten durch. Solchen Leuten traut man nicht.
Ansonsten ist ein Wechsel zwischen konkurrierenden Firmen nicht grundsätzlich unmoralisch. Auf der unteren Hierarchieebene sowieso.
"Ich würde ihn als "kaufbare Schlampe" sehen, die jederzeit wieder zum nächsten wechselt.... Sind meine Loyalitätsgedanken von gestern?"
Loyalität heißt nicht, dass man niemals alternative Angebote annimmt und stattdessen bis zum bitteren Ende bei einem Arbeitgeber aushält, der einen unterdurchschnittlichen Lohn zahlt und keine Perspektive bietet. Das ist in der Tat von gestern und wird heutzutage auch nicht mehr belohnt. Im Gegenteil - damit bleibst Du für immer "unten" (wenn man das so sagen kann).
"Wie kann ich am MI und Do ein anständiges Auftreten machen?"
Indem Du grundsätzlich deutlich machst, nach welchen Kriterien Du dich für Deinen Arbeitgeber entscheiden wirst und worauf es Dir bei der Entscheidung ankommt. Gib Deinem Vertragspartner eine Chance, Deine Präferenz zu erkennen und nach Möglichkeit zu erfüllen. Wenn Dir ein schickes Büro wichtig ist, dann sage das klar und deutlich, damit man Dir ein schickes Büro anbieten kann. Wenn es Dir um Geld geht, dann sage das deutlich, damit man das beim Angebot berücksichtigt. Das ist "fair play". Unfair hingegen wäre es, auf ein schickes Büro zu pochen und dann plötzlich zur Konkurrenz zu gehen, weil die mehr zahlt. Da würde ich mich auch verarscht vorkommen.
"Ist es nicht hinterfotzig zu behaupten, dass ich diese Firma super finde und dort arbeiten möchte... Letztendlich bietet mir die Firma am Mittwoch einen Arbeitsvertrag an.... Ich koste ja deren Zeit (Chef, Projektmanger und Personalabteilung).... Und im Nachhinein nehme ich den Vertrag nicht an.... "
Zunächst mal weißt Du ja noch gar nicht, ob es bei Firma B klappen wird. In der Verhandlung musst Du ja nicht hoch und heilig versprechen, das Angebot auch auf jeden Fall anzunehmen. Du kannst klar und deutlich sagen, welche Art von Position Du in Deinem Berufseinstieg bekleiden willst. Und Du kannst alles dafür tun, um eine solche Position angeboten zu bekommen. Dieses Angebot zu erkämpfen, bedeutet nicht automatisch, dass Du es auch annehmen musst.
"Mir ist es besonders wichtig, dass ich in den ersten Berufsjahren A, B und C erreichen kann. Ich würde mich deshalb sehr freuen, wenn Sie mir eine Position in Ihrem Hause anbieten würden, da ich sehr gerne in dieser Branche arbeiten würde und insbesondere Ihr Unternehmen für mich die wichtigen Eigenschaften A, B und C verkörpert."
Wenn Du dann die Angebote A, B und C in den Händen hältst, kannst Du in aller Ruhe vergleichen, welche Firma Deine Wünsche am ehesten erfüllt. Zur Not wird halt nachverhandelt.
"Ich bin mir sicher, dass sich der Geschäftsführer von A sowie die Person bei der ich am Donnerstag mein Vorstellungsgespräch haben, persönlich kennen. Laut meinen Recherchen sind sie ja auch beide im gleichen Verband. Chef von Firma A ist Vorstand im Verband und der Abteilungsleiter von Firma B ist Mitglied im Verband..."
Glaube mir - die beiden werden sich nicht in die Haare kriegen, weil Du bei B zugesagt hast und nicht bei A. Wenn Du bei A absagst und mit dem Hinweis auf ein höheres Gehalt zu B gehst, könnte es maximal passieren, dass der B-Manager beim nächsten Golfspiel zum A-Manager sagt: "Hey, ich habe gehört, Ihr zahlt weniger als wir. Habt ja neulich schon wieder einen Bewerber an uns verloren. So langsam mache ich mir Sorgen um Euren Laden..." Das belebt die Konkurrenz.
"Wie kann ich mich diplomatisch verhalten. Im Leben sieht man sich eh immer zweimal. Besonders in der gleichen Branche. "
Vor diesem Hintergrund würde ich eher versuchen, mich FAIR zu verhalten. So, dass man sich ein zweites Mal in die Augen schauen kann. Wenn Du Firma A gegenüber angibst, dass Dir die beruflichen Aufstiegsperspektiven besonders wichtig sind, dann kannst Du das Angebot von Firma A guten Gewissens mit der Begründung ablehnen, dass Dir B die besseren Perspektiven geboten hat.
Dein Beispiel zeigt aber gut, dass man im Berufsleben nicht everybody's darling sein kann. Und auch nicht muss, solange man sein Spiel fair spielt.
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