Zunächst mal ist zu definieren, was "Vitamin B" überhaupt ist. In den vielen Berichten, in denen Beziehungen als Erfolgsfaktor benannt werden, wird nämlich gerne verschwiegen, dass es eine große Bandbreite von "Vitamin B" gibt:
- Der Bewerber hat Berufserfahrung und dabei bewiesen, dass er bestimmte Aufgaben besonders gut beherrscht. Dies wird gerne "Erfahrung" genannt, allerdings geht aus dem Lebenslauf lediglich hervor, dass jemand bestimmte Aufgaben hatte. Eine wertende Aussage über die tatsächlichen Erfolge bekommt man meist nur von vorherigen Kollegen oder Vorgesetzten. Der Faktor Mensch kommt also ins Spiel.
- Der Bewerber hat Berufserfahrung und dabei bewiesen, dass er bestimmte Aufgaben besonders gut beherrscht. Er ist deshalb in seinem Umfeld dafür bekannt und wird empfohlen, ohne sich aktiv zu bewerben. Läuft dann oft über Personalberater.
- Der Bewerber war erfolgreicher Praktikant in dem Bereich, der eine Stelle besetzen will. Der Bereich kann deshalb bei der Vorauswahl darauf hinweisen, dass dieser Kandidat direkt ins Auswahlgespräch kommen soll.
- Der Bewerber war erfolgreicher Praktikant in einem anderen Bereich und wird intern empfohlen.
Bis hierhin sind die typischen Interpretationen von "Vitamin B" eigentlich nicht viel mehr als erfolgreich gezeigte Kompetenz. Man könnte auch sagen, der Bewerber hat einen guten Ruf aufgebaut. Vergleichbare Kompetenzen kann natürlich ebenso ein anderer, unbekannter Bewerber haben, weshalb die Firma ja auch regelmäßig unbekannte Bewerber einladen sollte. Unternehmen denken aber in Effizienz und Risikovermeidung und ziehen das Bekannte dem Unbekannten vor.
- Der Bewerber ist Nachfahre irgend einer wichtigen Person mit hohem Rang im Unternehmen und diese Führungskraft gibt sich tatsächlich die Blöße, den eigenen Nachwuchs reinzuziehen. Sehr gefährlicher Ansatz, denn wenn der Vorfahre den Laden verlässt, ist der Nachfahre oft zum Abschuss freigegeben, wenn er sich keinen eigenen guten Ruf aufgebaut hat. Tut auch dem Ego des Nachfahren meist nicht gut.
- Der Bewerber wird einer hochrangigen Person durch eine andere hochrangige Person auf dem Golfplatz empfohlen. Ähnlich wie 2, aber mit stärkerem Fokus auf die persönliche Loyalität als auf die fachliche Kompetenz. Das ganze hat einen anrüchigen Beigeschmack. Man sollte aber nicht vergessen, dass Loyalität und Einsatzbereitschaft in einigen Firmen ähnlich hoch wie Ausbildung und Erfahrung gehandelt werden. Keine Firma nimmt mit Freude den Einser-Kandidaten, der sich im Bewerbungsgespräch als unführbar und illoyal präsentiert. Insofern ist das Loyalitätsversprechen auf dem Golfplatz zwar alles andere als legitim, aber aus Sicht der handelnden Personen rational. Unternehmen, die das zu oft so machen, sind hinterher ein verfilzter Haufen duckmäuserischer Ja-Sagen, die ihre Karrieren jeweils nur einem Gönner zu verdanken haben und diesen deshalb stützen. Finger wen von solchen Unternehmen, wenn Ihr im Berufsleben Erfüllung sucht und nicht bloß ein Einkommen.
Folgender Rat an den Threadersteller:
Zunächst mal ist Deine Sorge verständlich, dass andere Kandidaten mit "Vitamin B" einen Vorteil haben könnten. Wie hoch dieser Vorteil aber in der Praxis genau ist, wirst Du nie erfahren. Es kann sogar sein, dass andere Kandidaten diesen Vorteil für sich selbst enorm hoch einschätzen und sich dabei irren. Hinterher wird einer genommen und den anderen wird nicht gesagt, woran es lag. Allein aus der Tatsache, dass Du zu einem Verfahren eingeladen wirst, ist ein Beleg dafür, dass man Dich tatsächlich in Erwägung zieht. Ein Unternehmen ist keine Sozialveranstaltung und niemandem gegenüber verpflichtet, eine Unbekannten-Quote in Bewerbungsverfahren einzuhalten. Niemand wirft Geld aus dem Fenster, um Schein-Bewerber ins AC zu holen. Die kann man auch vorher telefonisch abfrühstücken, wenn man tatsächlich irgendwelche Quoten einhalten muss. Du schreibst selbst, dass Du mit 1/4 der Teilnehmer rechnest, die Vorgeschichte haben. Also 3/4 ohne.
Vollkommen unverständlich ist für mich Dein Plan, diese Kandidaten irgendwie bloßstellen oder brüskieren zu wollen. Im Beruf wirst Du mit verschiedenen Menschen zusammenarbeiten müssen und es ist ein hartes Ausschlusskriterium, wenn Du im Umgang mit anderen Menschen von Neid, Missgunst oder einem ausgeprägten Opfer-Syndrom (sieht sich stets als Benachteiligter) geleitet wirst.
Wenn es Dir um "Gerechtigkeit" geht, dann Finger weg von der Wirtschaft. Dort wird zweckorientiert gedacht und nicht nach dem Maßstab vermeintlicher Gerechtigkeit. Wenn Du ein gerechtes Verfahren erwartest, dann bewirb Dich beim Staat - dort wirst Du dann das erleben, was der jeweils herrschende Klüngel für gerecht hält (inklusive Beziehungen, Beförderungsplänen, Quoten und den absurden Auswüchsen verschiedener Gleichstellungsinitiativen...).
Ein Konzern wird im Auswahlverfahren diejenigen Kandidaten auswählen, die neben einer fachlichen Eignung auch den persönlichen "Fit" zum Unternehmen mitbringen. Dieser Fit ist nichts, was nur die besonders guten haben. Auch Idioten können passen. Wenn Du damit ein Problem hast, dann musst Du tatsächlich Deine eigene Firma aufmachen und beweisen, dass Du es irgendwie besser kannst. Vielleicht sucht der Arbeitgeber aber auch gerade in diesen Zeiten Bewerber, die bewusst keine Vorgeschichte im Unternehmen haben und noch nicht Teil von irgendwelchen Netzwerken sind? Diese Strategie ist für Dich nicht transparent und Du wirst nicht erfahren, weshalb der eine Kandidat genommen wird und der andere nicht.
Wenn Du dort tatsächlich arbeiten willst, bleibt Dir nur, Dein Bestes zu geben und zu zeigen, was Du fachlich kannst. Und, weshalb man Dich einstellen sollte, obwohl Dich da keiner kennt.
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