Ich habe mein Berufsleben als Ingenieur gestartet und das als Inbetriebnehmer und Trainer im Sondermaschinenbau. Weltweite Reisen standen da an der Tagesordnung. Bis hierhin hört sich das wie bei vielen Vertrieblern oder so an, aber anders als Vertriebler bin ich nicht im schicken Anzug in Meetings gesessen, sondern durfte teils im Hinterland, eines mit Reisewarnung versetzen Landes, mit Einheimischen klar kommen, die mich kaum verstanden haben. Andererseits war ich wiederum auch an vielen schönen Orten unterwegs, meist aber nur wenige Wochen (zum Glück!).
So ein Job prägt die Persönlichkeit immens, vor allem aber das Weltbild. Denn ich war in ziemlich armen Gegenden wie auch relativ wohlhabenden Gegenden der Erde unterwegs. Das kann einem einer noch so oft erzählen und zeigen, sofern man es nicht selbst gesehen hat, glaub man es einfach nicht. Manchmal habe ich mich wirklich auch wie im o.g. Survival-Training gefühlt, in einem fremden Land, allein und ohne Sprachkenntnis und die Kontaktperson war nicht am Flughafen. Dazu funktionierte das Handy in dem Land nicht und es war natürlich gegen Mitternacht. Sowas kam gar nicht mal so selten vor. Beim ersten Mal rutsche einem natürlich das Herz in die Hose, aber ein paar Mal später war es dann Routine, zumal es auffällig oft in der gleichen Region vorkam :).
Vor dem Job war ich wie für einen Ing. typisch, ziemlich schüchtern und eher introvertiert. Heute bin ich das krasse Gegenteil und im Vertrieb tätig (hätte ich mir niemals denken können damals). Respekt und Toleranz sind für mich heute sehr sehr wichtig. Wer nicht tolerant genug ist, hat es sehr schwer im interkulturellen Bereich. Ich versuche mich auch immer in Andere zu versetzen, um deren Denkmuster nachzuvollziehen und sobald ich bei Kunden bin, setze ich wenn möglich meine Denkmuster-Brille ab, um den Kunden besser zu verstehen.
Kommen wir aber zurück zum Thema, also Menschenkenntnis kann ich nur schwierig beurteilen. Man lernt natürlich sich bei unterschiedlichen Typen entsprechend zu verhalten, aber das sehe ich eher als natürlichen Prozess an. Und solange ich nicht weiß, was für ein Typ mir gegenüber steht, bringt mir Menschenkenntnis auch nichts und hinterher reagiere ich eher instinktiv.
Das Auftreten sehe ich eher als persönlichen Anspruch an und der hängt vom Selbstbewusstsein ab. Dies wiederum ist zum einen abhängig vom Charakter, kann sich aber auch entwickeln wie bei mir z.B.. Der Job hat mir klar gezeigt, was ich kann und was ich nicht kann und mein Selbstbewusstsein stark gestärkt.
Erfahrung und Reife erhält man meiner Meinung nach nur wenn man auch abwechslungsreiche Tätigkeiten mit viel Menschenkontakt absolviert. Im Innendienst Vertrieb sehe ich hier viele Kollegen, die gefühlt heute das gleiche machen wie vor 5J. Man merkt ihnen auch an, dass sie nicht viel weiter sind und einfach nur Schema F abarbeiten, anstatt ggf. mal Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren. Als ex-Ing. sehe ich die Sache natürlich auch mit anderer Brille als ein BWLer. Allerdings habe ich auch jahrelange Erfahrung als Inebtriebnehmer hinter mir und bin entsprechend gereift (oder besser "versaut"). Bei einer Inbetriebnahme gibt es nämlich nur eine Regel: "Alles was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen". IBN ist permanente Problemlösungssuche und dazu ist noch oftmals Kreativität gefragt. Einfach mal ins Fachgeschäft gehen, kann man im Ausland knicken, da heißt es eher aus Schrott ein Funktionsteil zu erstellen.
Man lernt aber auch unter Druck zu bestehen und manchmal auch eine Niederlage zu akzeptieren, weil man nicht immer gewinnen kann. Wenn z.B. über Nacht ein Monsun die Anlagenhalle überflutet oder ein Kunde ein Rattenproblem hat und am nächsten Tag unzählige Kabel angeknabbert sind. Wobei ich die tote Ratte an der Netzeinspeisung nie vergessen werde :D. Das sind dann auch Dinge, die immer für gute Stories parat sind. Nur zum Erzählen kommt man nicht so oft, da natürlich die Freizeit schon leidet, wenn man viel reist. Daher bin ich ja nun im Vertrieb und reduziere das Reisen schrittweise. Ganz ohne wird es aber nicht gehen, denn reine Büroarbeit ist mir viel zu langweilig.
Alles in Allem kein Job für Jedermann denke ich und ich weiß auch nicht, ob man da als BWLer rein kommt, vielleicht als Wing. Aber es gibt sicher auch als BWLer interessante Job. Wichtig sind meiner Meinung nach vor allem Kundenkontakte. Die vielen verschiedenen Kulturen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, haben doch für viel Freude, Lacher und Kopfschütteln gesorgt. Etwa wenn man für eine 700kg Station einen Hubwagen anforderte und stattdessen 20 Milchbubis bekam oder eine millionenteure Maschine baumelnd am Flaschenzug in den 2ten Stock gehievt wurde. Am Ende hat es jedoch so gut wie immer geklappt und das Abschlussbierchen hat immer richtig gut geschmeckt, das vermisse ich am Meisten :).
PS:
Falls hier nun einer Inbetriebnehmer werden will, rate ich dringend davon ab. Das oben ist nur eine romantische Erinnerung, denn rational ist das ein absoluter Knochenjob, der manchmal übelst an die Substanz gehen kann. Bezahlung ist heutzutage auch vergleichsweise mies und wer diese Arbeitszeiten will, sollte lieber in UB/IB gehen, denke ich.
antworten