Bewerbung im Jahr 2020 - Diskriminierung und Desintresse
Ich möchte einfach mal aus meinen aktuellen Erfahrungen berichten.
Ich bin Anfang 30, Dipl. Wirt. Ing. und bin Einkaufsleiter bei einem mittelgroßen Tier1/2 Zulieferer. Aus privaten Gründen suche ich einen neuen Job in einer anderen Region - und bin extrem überrascht welche Erfahrungen ich mache.
Als ich nach meinem ersten Job eine Stelle als Abteilungsleiter gesucht hatte, habe ich ca. 100 Bewerbungen geschrieben und vielleicht gerade mal 7 oder 8 Vorstellungsgespräche gehabt. Ich habe es auf mir mit der fehlenden Führungserfahrung erklärt. Einige Fortbildungen später und nach über 100 Bewerbungen hat es dann doch geklappt.
Nun, nach inzwischen 8 Jahren Berufserfahrung, davon fast 4 Jahre in einer Führungsposition, bewerbe ich mich wieder. Und die Resonanz ist ähnlich schlecht, auf unter 10% der Bewerbungen kamen überhaupt Einladungen zu einer ersten Runde. Ich bin zwar nach wie vor jung, habe aber Top Arbeitszeugnisse, einen guten Hochschulabschluss und einige Weiterbildungen.
Nun komme ich zu den 2 Punkten die mich so erschrecken.
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Ich bin Russland-Deutscher. Sprich Deutsche Vorfahren, die aber über Generationen in Russland gelebt haben und bin entsprechend dort geboren. Mein „Glück“ ist, dass ich einen sehr Deutschen Vor- und Nachnamen (da ja deutsche Vorfahren) habe. Nun meinte meine Freundin ich solle in meinem CV meinen Geburtsort einfach weglassen, bei Max Müller oder Friedrich Fischer wird schon keiner Fragen. Und siehe da, auf weitere 15 Bewerbungen folgten 12 Einladungen zum ersten Gespräch. Gleiches Standard Anschreiben, gleicher CV Aufbau. Einfach nur den Geburtsort weggelassen. Ehrlich gesagt macht mich das sprachlos. In einer Zeit mit Fachkräftemangel und einer Generation Y, in der angeblich kaum noch jemand Führungsverantwortung übernehmen will, finde ich es schon krass und erschreckend, dass obwohl man in Deutschland aufgewachsen, in die Schule gegangen, studiert und im Berufsleben angekommen ist, immer noch nur wegen des Geburtsorts aussortiert wird. Und das betrifft Inhabergeführte Mittelständler ebenso wie Großkonzerne.
- In meinem relevantesten Arbeitszeugnis steht u.a. das ich für die Einkaufsthemen SAP-Key-User war. Ich habe zudem eine (sehr teure) SAP Fortbildung gemacht und bin zertifizierter „SAP-Berater“. Das steht im CV und das Zertifikat hänge ich der Bewerbung an, sofern in der Stellenausschreibung SAP Kenntnisse gewünscht / gefordert sind. Trotzdem bekomme ich immer wieder in Vorstellungsgesprächen die Frage ob ich schon mal mit SAP gearbeitet habe oder zumindest Berührungspunkte hatte.
Anderes Beispiel ist, dass ich ein Jahr in UK verbracht habe. Und trotzdem werde ich gefragt, ob mein Englisch denn für die Stelle ausreicht.
Beides nur exemplarische Beispiel die mir aber zeigen, dass meine Bewerbung in dem Punkt nicht richtig gelesen wurde was auf Desinteresse und mangelnde Wertschätzung schließen lässt. Auf der einen Seite erwarten Unternehmen Top vorbereitet Bewerber mit individuellem Anschreiben, auf der anderen Seite kommen die HRler und teilweise Fachverantwortlich super unvorbereitet in die Gespräche. In einer Zeit mit „Fachkräftemangel“ und "Nachwuchsmangel bei Führungskräften" finde ich das schon merkwürdig.
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