Anonyme Bewerbungen ohne Foto
Baden-Württemberg hat bei elf Arbeitgebern anonyme Bewerbungen getestet. Sowohl Personalverantwortliche als auch Bewerber sehen anonymisierte Bewerbungsverfahren als Weg zu mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Zu diesem Ergebnis kommt das Modellprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ des Ministeriums für Integration, bei dem knapp 1.000 Bewerbungen anonymisiert eingesehen wurden.
Anonyme Bewerbungen - Ich habe heute leider kein Foto für Dich
Bonn, 26.10.2014 (iza) - Anonyme Bewerbungen sollen Diskriminierung bei der Stellensuche verringern, indem Personaler keine Informationen über Merkmale wie Name, Foto, Alter und Geschlecht erhalten. Dadurch sollte es nicht mehr möglich sein, auf Grundlage dieser Merkmale zu diskriminieren. Die Identität des Bewerbenden wird zwar spätestens im Vorstellungsgespräch gelüftet, aber Diskriminierung muss nicht zwangsläufig nur auf diesen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Möglicherweise entfalten sich auch Effekte über die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch hinaus, denn bei einem persönlichen Kontakt können Vorurteile und Stereotypen leichter entkräftet werden.
Nachdem das bundesweite Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit durchaus ermutigenden Ergebnissen abgeschlossen wurde, haben zwischenzeitlich mehrere Bundesländer eigene Modellversuche gestartet. Das Projekt in Baden-Württemberg, initiiert vom dortigen Ministerium für Integration, wurde durch ein IZA-Team wissenschaftlich begleitet. Die Resultate sind jetzt veröffentlicht worden. Ein Jahr lang testeten elf Organisationen anonyme Bewerbungen. Insgesamt knapp 1.000 Bewerbungen wurden dabei anonymisiert eingesehen.
Auch in Baden-Württemberg zeigte sich, dass bei anonymen Bewerbungen Chancengleichheit für alle Bewerbergruppen herrscht. Bei gleicher Qualifikation werden also weibliche Bewerbende, Personen mit Migrationshintergrund und ältere oder jüngere Bewerbende mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Allerdings hat die Einführung von anonymen Bewerbungen die Chance auf ein Vorstellungsgespräch für die anonym betrachteten Personen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe weder vergrößert noch verringert. Es herrschte bei den am Projekt teilnehmenden Organisationen also auch vorher schon Chancengleichheit. Das erscheint plausibel, zumal sich die freiwillig teilnehmenden Behörden und Unternehmen bereits zuvor für Vielfalt und Fairness eingesetzt haben und insofern eine positive, nicht-repräsentative Auswahl darstellen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine frühere IZA-Studie und ein landesweites Projekt in Frankreich: Das wahre Potenzial von anonymen Bewerbungen kann sich nur in einer repräsentative Stichprobe von Organisationen zeigen.
Das Pilotprojekt in Baden-Württemberg hat jedoch weitere interessante Erkenntnisse geliefert. So zeigte sich unter anderem, dass gerade diejenigen Personaler das anonyme Verfahren unterstützen, die personenbezogene Merkmale als einflussreich im herkömmlichen Verfahren empfinden. Es wurde zudem eine höhere durchschnittliche Qualität der eingehenden Bewerbungen in den anonymen Verfahren beobachtet, was mit einem leichten Rückgang der Bewerberanzahl einherging. Demnach haben also Bewerbende, die nicht ernsthaft an der Stelle interessiert waren oder nicht ins Anforderungsprofil passten, den leicht erhöhten Aufwand einer anonymen Bewerbung von vornherein gescheut.
Das Projekt hat außerdem an den Einstellungen der Personaler gerüttelt: Nach Projektende stieg der Anteil derer, die ein anonymes Verfahren als objektiver empfinden, um 20 Prozentpunkte. Bei den Bewerbenden begrüßen insbesondere diejenigen, die sich schon einmal diskriminiert gefühlt haben, ein anonymes Verfahren. Aber auch andere Bewerbende stehen dem neuen Verfahren offen gegenüber: Insgesamt hält eine breite Mehrheit von 80 Prozent aller befragten Bewerbenden anonyme Bewerbungen für das objektivere Verfahren.
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Anonym Bewerben in Baden-Württemberg
Zusammenfassung Befragungsergebnisse Personalverantwortliche:
- Mehr als 60 Prozent der Personalverantwortlichen sind der Meinung, dass personenbezogene Informationen von Bewerbenden im herkömmlichen nichtanonymisierten Verfahren mindestens etwas Einfluss auf die Personalauswahl haben.
- Der Fokus auf die Qualifikationen, die in der ersten Auswahl relevant für die Personalverantwortlichen sind, kann mit dem anonymisierten Bewerbungsformular erreicht werden und somit eine objektivere Auswahl ermöglichen.
- Die Personalverantwortlichen haben durch den Einsatz des anonymisierten Bewerbungsformulars eine erhöhte durchschnittliche Qualität der eingehenden Bewerbungen festgestellt. Gleichzeitig wurde ein tendenzieller Rückgang der Bewerberanzahl beobachtet. Dieser ist vermutlich in dem Wegfall nicht ernsthaft interessierter oder nicht passender Bewerbender begründet ist.
- Die befragten Personalverantwortlichen sind sich einig darüber, dass durch die Anonymisierung erhöhte Rechtssicherheit in Bezug auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz entsteht.
- Beim ersten Einsatz des anonymisierten Bewerbungsformulars, also bei der Einführung des neuen Bewerbungssystems, muss mit einem zeitlichen Mehraufwand gerechnet werden. Gleichzeitig kann (und sollte) man die Anzahl (und Art) der Fragen im Formular optimieren: Das Formular sollte nicht überfrachtet werden und kann das Bewerbungsgespräch nicht ersetzen.
- Insbesondere diejenigen Personalverantwortlichen, die personenbezogene Merkmale als einflussreich im herkömmlichen Verfahren empfinden, unterstützen das anonymisierte Verfahren und empfinden auch den durchschnittlichen erforderlichen Zeitaufwand als geringer.
- Der Einsatz des anonymisierten Bewerbungsformulars erscheint insbesondere bei Stellen für mittel- und hochqualifizierte Bewerbende sinnvoll, die keine Probleme mit der Computerhandhabung haben und möglicherweise weniger Fehler beim Ausfüllen des Formulars machen, indem sie ihre Identität durch z.B. nichtgeschlechtsneutrale Formulierung verraten.
Zusammenfassung Befragungsergebnisse Bewerbende:
- 80 Prozent aller Befragten sind der Meinung, dass die Bewerberauswahl durch anonymisierte Bewerbungen objektiver wird.
- Die Hälfte der Befragten hat sich schon einmal im Bewerbungsprozess diskriminiert gefühlt. Das Alter war mit 46 Prozent das meistgenannte Diskriminierungsmerkmal.
- Die Bewerbenden mit eigener Diskriminierungserfahrung haben eine klare persönliche Präferenz für das anonymisierte Bewerbungsverfahren.
- Eine Mehrheit ist der Meinung, dass durch das anonymisierte Bewerbungsformular ein Mehraufwand entsteht, der hauptsächlich in der Beantwortung der teils sehr ähnlichen Fragen im Formular und der geschlechtsneutralen Formulierung besteht.
- 92 Prozent der Bewerbenden würden aufgrund des Mehraufwandes nicht vor einer Bewerbung auf eine Stelle zurückschrecken, die sie ernsthaft interessiert.
Hintergrundinformationen
Teilnehmende Arbeitgeber:
- Alois Reutlinger Steuerberatungsgesellschaft mbH, Rosenfeld
- Bürkle + Schöck Transformatoren GmbH, Stuttgart
- Ingenieurkammer Baden-Württemberg
- Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg
- Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg
- Ministerium für Integration Baden-Württemberg
- Robert Bosch GmbH, Murrhardt
- Strohecker und Weinbrecht GmbH & Co. KG, Niefern-Öschelbronn
- Stadt Karlsruhe
- Stadt Mannheim
- Vogel & Vogel Steuerberater, Köngen
Umfang des Modellprojektes
- 981 Bewerbungen
- 354 Einladungen zu Bewerbungsgespräch oder Eignungstest
- 67 Personen erhielten ein Jobangebot bzw. Ausbildungsplatzangebot
Weitere Studien zum Thema
- Krause, Annabelle, Ulf Rinne and Klaus F. Zimmermann (2012): Anonymous Job Applications in Europe, IZA Journal of European Labor Studies 1, Article 5, 1-20.
- Rinne, Ulf (2014): Anonymous job applications and hiring discrimination, in: IZA World of Labor, Article 48.