Fenster schließen

Druckansicht http://www.wiwi-treff.de/Praktikum/Praktikum/Gluecksgefuehle-am-laufenden-Band/Artikel-22/drucken

PraktikumPraktikum

Glücksgefühle am laufenden Band

Was sich aus einem Praktikum so alles entwickeln kann! Ein wenig Glück, viel Engagement und der soziale Aufstieg war gesichert. Nie mehr 2. Liga!

 

Nie mehr zweite LigaWährend diese fordistische Maschine unaufhörlich „Anti-Rutsch-Tücher“ für Flugzeug-Speisetabletts produzierte, tönte es fortwährend in meinem Kopf:

„Nie mehr zweite Liga!“

Na prost Mahlzeit, dachte ich mir nun schon seit acht Wochen und hatte permanent diesen Fußball-Slogan im Kopf, den die Schlachtenbummler von Aufstiegsaspiranten am Ende einer überstandenen Zweitliga-Saison skandieren.


Sozialer Aufstieg
Ja, nach Aufstieg war mir zu Mute. Nach – so despektierlich das klingt – sozialem Aufstieg. Wofür studiere ich eigentlich, fragte ich mich bei meiner Exkursion in die Niederungen des Manchester-Kapitalismus. Monotonie kann krank machen. Mein Respekt vor den „Opfern dieses Kapitalismus“, den Angestellten dieses Unternehmens, die zumeist auch noch als unqualifiziertes und schwer zu vermittelndes Personal von Medien und Politik diffamiert werden, wuchs zusehends.

Ich fühlte mich mit diesen Menschen erstmals verbunden, saßen wir doch kurzzeitig in einem Boot, in dem ich aber offenbar als einziger eine Schwimmweste anhatte:

Und zwar in Form meines Studiums.

Ich erkannte nun das Privileg, studieren zu dürfen und mich für höhere Weihen zu qualifizieren. Also, was tun? Die letzten zwei Wochen in der Fabrik vergingen tatsächlich ohne Nervenzusammenbruch, und eine herzliche Verabschiedung von den Arbeitskollegen verhinderte, mein Image als arroganter Schnösel zu untermauern (Sätze wie „Der meint wohl, der ist was Besseres“ kamen mir zu Ohren. Wenn die wüssten, wie ich wirklich gedacht habe...)

 


Ein Semester später...
Im folgenden Wintersemester besuchte ich eine umwelt- und entwicklungspolitische Veranstaltung an der Uni, aber nicht etwa, weil nach dieser niederschmetternden Erfahrung in mir die altruistische Seite in Form eines Helfersyndroms aufkeimte. Der Dozent, zugleich Bundestagsabgeordneter, berichtete äußerst lebendig aus der politischen Sphäre.

Nach der dritten Sitzung fragte ich ihn, ob es Möglichkeiten gebe, einen Nebenjob im Bereich Umwelt / Entwicklung zu ergattern. Meine Unlust an Fabrikarbeit drängte mich zu unkonventionellen Strategien, von denen ich mir eigentlich kaum etwas versprach. Nebenjobs im Bereich Umwelt und Entwicklung, ist ja lachhaft...


Praktikum im Bundestag
Die erste Antwort lautete erwartungsgemäß: „Da fließen keine Gelder“. Nachdem ich mich dennoch freundlich bedankte, schickte er ein „Warte mal, kannst du verkaufen?“ hinterher. Mein verdutzter Blick nötigte ihn, weiter auszuholen. Er fragte, ob ich Interesse hätte, afrikanische Skulpturen aus Zimbabwe zu verkaufen. Ich könnte ja mal ein Praktikum bei ihm machen. Er würde mich schon mit den richtigen „Geschäftsleuten“ in Verbindung bringen.

Was sich zunächst ein wenig windig anhörte, stellte sich für mich als Anfang eines ungeahnten Höhenfluges heraus.

Von der zweiten Liga direkt in die Champions-League.

Was nämlich folgte, war die Landung in der Welt der großen Politik. Anstelle der Anti-Rutsch-Tücher für Flugzeuge am Fließband gab es nun Glücksgefühle am laufenden Band.


Stress im Schlaraffenland
Das Praktikum stellte sich als das bisher stressigste und die zugleich beste Erfahrung heraus. Ich musste nahezu alles erledigen, – nur keine afrikanischen Skulpturen verkaufen.

Zu meinen Tätigkeiten gehörte die Pressearbeit, die Mitarbeit an einer entwicklungspolitischen Studie und anderes. Ich lernte Spitzenpolitiker kennen und fühlte mich wie im Schlaraffenland.

Das Praktikum war nach vier Wochen bedauerlicherweise vorbei. Was folgte, waren sporadische Bitten, ob ich nicht den einen oder anderen Artikel für ihn schreiben könne. Na klar. Die Politik hatte mich gefesselt. Er vermittelt noch einen Aufenthalt in Zimbabwe – dort kaufte ich für den Eigengebrauch(!) zahlreiche Shona-Skulpturen, dann brach der Kontakt ab.


Arbeitgeber „Deutscher Bundestag“
Nach zwei Monaten kam ich in meine WG. Vor der Zimmertür lag ein Zettel. „Ruf mal bei dem Politiker an. Es geht um einen Job.“ Ein sofortiges Telefonat brachte das für mich Unglaubliche ans Licht. Ich erhielt das Angebot, für ihn zu arbeiten – und bekam eine Woche später Post vom Deutschen Bundestag.

Mein Arbeitsvertrag!

Den Job habe ich dann zwei Jahre erledigt. Erst wahnsinnig euphorisch, dann zunehmend kritisch und zum Schluss nur noch ablehnend. Was folgte, war der Griff zum Telefon: „Ich höre auf!“ Die Politik war mir mittlerweile zuwider. Die erstaunliche und ehrliche Antwort vom Politiker: „Richtig so Junge, Du bist noch zu jung, um dich versauen zu lassen!“

Genau! Die Referenz sollte sich aber als absolut Gewinn bringend für meinen weiteren Werdegang erweisen.


In Gedenken an alte Kollegen
Die Menschen am Fließband bedauere ich übrigens noch heute, wodurch auch mein Interesse für das Thema Produktdauerforschung zu erklären ist. Dort geht es nämlich um den Wandel von der serienfertigenden Massenproduktion zur Kultur des Reparierens und der Renaissance des Handwerks – mit der Folge: Reduzierung der monotonen Massenfertigung am Fließban