"Dieser Fokus des gesamtes Studiums auf Unternehmensfunktionen ist schon speziell bei BWLern."
Grundsätzlich ist der Fokus richtig, da das BWL-Studium ab einem bestimmten Vertiefungsgrad funktionale Instrumente vermittelt. Wer mal im Einkauf arbeiten will und deshalb Einkaufs-Praktika bei drei verschiedenen Firmen absolviert, ist damit fachlich und persönlich gut auf den späteren Beruf vorbereitet. Wer mit diesem Erfahrungsschatz hingegen in die Buchhaltung gehen will, wird sich die berechtigte Frage anhören müssen, ob er die Tätigkeit in der Buchhaltung überhaupt richtig einschätzen kann.
"Jeder Ingenieur fokussiert sich auf Branchen wie Automotive, Chemie oder Elektrotechnik, nicht auf Unternehmensfunktionen. Innerhalb dieser Branchen kann ein Ingenieur dann fast in jeder Funktion einsteigen, wie Controlling, Vertrieb, Projektmanagement etc, auch ohne auf diese Funktionen spezialisiert zu sein."
Der Vergleich funktioniert nicht. Das Ingenieursstudium ist branchenspezifisch, weil die technischen Grundlagen branchenspezifisch sind, innerhalb einer Branche aber wiederum an vielen Stellen benötigt werden. Wer sein Ing-Studium auf das Thema Windkraft ausrichtet, der kann in der Windkraftbranche an vielen Stellen arbeiten. Für den Kaufmann hingegen sind unterschiedliche Branchen nur unterschiedliche Zahlen. Ein guter Controller kann zwischen Windkraft, Schiffbau, Chemie und Ingenieursdienstleitung wechseln, die Grundlagen des Controllings aber muss er perfekt beherrschen. Der funktionale Fokus ist deshalb völlig richtig.
"Die einzigen Unternehmensfunktionen, die praktisch nur von BWLern ausgefüllt werden können, sind Funktionen wie Steuern und Rechnungswesen. Andere Funktionen wie Marketing, Controlling, Finanzen, Vertrieb, Einkauf etc, werden im Berufseinstieg von anderen Akademikern, insb. MINT-Absolventen, aber VWLer, Juristen und Geisteswissenschaftlern."
Nicht mehrheitlich und auch nicht bei hochprofessionellen Unternehmen. Es sitzen doch nicht reihenweise Volkswirte im Marketing, Geisteswissenschaftler im Einkauf und Ingenieure im Controlling. Was für eine Firma soll das denn bitte sein!?
Wenn ich mir die vom Threadersteller genannten Tätigkeiten ansehe, sind das v.a. koordinierende, funktionsübergreifende Aufgaben, teilweise auch an Schnittstellen. Diese werden selten von einer einzelnen Person ausgeübt, normalerweise sind das größere Bereiche mit einer Spezialisierung pro Person. Genau darin liegt die Chance, in diese Bereiche reinzukommen. Die Arbeit an Schnittstellen aber setzt voraus, dass ich mich in den Kernfunktionen auskenne.
Das Thema "Branchen- und Wettbewerbsanalyse" zum Beispiel kann man nicht im Alleingang ganzheitlich darstellen, sondern nur mit einem bestimmten Bezug: Marken, Preise, Kosten, Technologie, Rohstofflieferanten etc. In der Abteilung für Wettbewerbsanalyse werden deshalb Spezialisten aus dem Vertrieb, dem Einkauf, der Konstruktion etc. sitzen, aber nicht solche, die schon im Studium ausschließlich Wettbewerbsanalyse gemacht haben. Die durchdringen das Thema nicht in der Tiefe, dann wird das ein reiner Powerpointzirkus.
"Projektmanagement" gibt es hundertfach in großen Unternehmen. Projektmanager sind meistens Mitarbeiter aus operativen Bereichen, die zusätzlich zu ihrem inhaltlichen Schwerpunkt eine Projektkompetenz haben.
Mein Rat an den Threadersteller: In die von Dir genannten Tätigkeiten kannst Du gut über Praktika einsteigen. Also ein vernünftiges Studium einer anständigen BWL-Kernkompetenz ablegen und parallel über Praktika an Projekten, strategischen Themen oder Organisationsveränderungen mitarbeiten.
Außerdem warne ich davor, sich von diesem Thema zu viel zu versprechen. Den ganzen Tag lang nur Strategie wird nach ein paar Jahren sehr, sehr langweilig. Schau dir die Unternehmensberater mit den herunterhängenden Mundwinkeln an, das sind alles erfahrene Strategen!
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