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Sound-CheckDavid Bowie

Sound-Check: David Bowie, Reality

Großartiges Spätwerk des Meisters: Höchstwertung!

Ein Plattenspieler.

David Bowie
Reality
Sony Music
Veröffentlichungsdatum: 15. September 2003

  1. New Killer Star
  2. Pablo Picasso
  3. Never Get Old
  4. The Loneliest Guy
  5. Looking For Water
  6. She´ll Drive the Big Car
  7. Days
  8. Fall Dog Bombs the Moon
  9. Try Some, Buy Some
  10. Reality
  11. Bring Me the Disco King

Wertung: *****

David, der Technikfreak
Wer Ende August, Anfang September 2003 die Kinoprogramme verschiedener Kinos der großen Städte Deutschlands studierte, wird etwas im ersten Moment Merkwürdiges bemerkt haben. Da stand beispielsweise im Kinoprogramm des UFA-Palastes am Gänsemarkt im Hamburg für den 8. September 2003: David Bowie, Albumrelease-Konzert aus den Londoner Hammersmith Studios, Beginn 21.00 Uhr. Was und wie sollte das denn sein? Bowie, schon immer ein großer Fan neuester Technologie, hatte sich ein weiteres technisches Großereignis ausgedacht. So ließ er das an besagtem Tag und Ort steigende Konzert gleichzeitig in 22 Länder bzw. 68 Kinos der Welt übertragen. Tokio, Sydney, Rio de Janeiro, New York, Edinburgh, Mailand, Warschau, Toronto. Alle wurden sie am 8. September bedient; außer Asien, Japan und Australien, die erst am 9., bedingt durch den Zeitunterschied.

Filmen im digitalen Widescreen-Format und DTS Digital 5.1 Surround Sound waren die Zauberworte. Die Rede ist von einer weiteren technischen Pioniertat. Heutzutage geht es in Bowies Liga nicht mehr nur um Musik, sondern auch um gekonnte Selbstinszenierung, worin Bowie nicht erst heute, sondern schon in den 70er Jahren ein Meister war. Die Geburt von Ziggy Stardust, Rollen in The Man Who Fell to Earth und anderen Nischenfilmen, die Heroes-Single, das Nebenprojekt Tin Machine, Hochzeit mit Model Iman, US-Tour mit nine inch nails und Bowienet sind nur einige dieser perfekten Inszenierungen.

Weiterführung von Heathen
Mit Reality verbuchen wir das nunmehr 25. Studioalbum der lebenden Legende Bowie. Eingespielt wurde das Album im wesentlichen mit den Musikern Gail Ann Dorsey (Hintergrundgesang), Mike Garson (Piano), Sterling Campbell (Schlagzeug), Earl Slick (Gitarre) und Gerry Leonard (Gitarre). Diese kickten auch schon gewaltig auf den Konzerten des letzten Jahres und verleihen Reality den nötigen Druck.

Bowie schafft es im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen, die goldenen Zeiten zumindest punktuell wieder aufleben zu lassen, und ließ Reality von keinem Geringeren als Toni Visconti produzieren. Mit ihm schuf er auch Meilensteine wie Young Americans , Heroes und Scary Monsters. So bedienen sich die Songs teilweise der Stilmittel dieser Zeit. Insgesamt können sie als Weiterführung des Vorgängers Heathen (auch von Visconti produziert) mit einer Prise Vergangenheit, mehr Kraft und mehr Rock bezeichnet werden.

Never get old
Eröffnet wird Reality von dem fetten Rocker New Killer Star, zugleich die Single. Das Riff nistet sich nach dem ersten Hören im Ohr ein, ohne jedoch dadurch an ass kickin´ und Rauheit einzubüßen, und der Meister singt vom »nuclear baby«, wunderbar. Von den elf Stücken des Albums stammen zwei nicht von Bowie. Pablo Picasso kommt vom 77er Album The Modern Lovers von Jonathan Richman, ein treibender Song mit dieser elektrisierenden Gitarrenmelodie, bei dem Bowie ungewöhnlich aus sich herausgeht. Die lateinamerikanischen Klänge lockern das ganze positiv auf.

Try Some, Buy Some ist von George Harrison und aus dem Jahre 1973. Hier wird dann das Ziggy-Orchester zum Leben erweckt. Das dritte Stück steht sozusagen als Pseudonym für dieses Album: »Never get old« singt da dieser Bowie, der sich immer wieder selbst erfindet und meint: »Bowie never gets old.« Er kleidet das Ganze in eine hochgradig gelungene Komposition, die gerade an die old times erinnert. Da passt alles. Grandios. Schaurig schön und locker flockig tänzelt sich Days in die Ohren. Wenn Bowie »I pray you´ll soothe my sorry soul« singt, kommt einem die Gänsehaut. Ein außerordentlich schönes Lied.


Großartiges Spätwerk
Die Leser von The Sun haben David Bowie im Juli des Jahres 1999 zum größten Musikstar des 20. Jahrhunderts gewählt. Der britische NME betitelte ihn 2000 als einflussreichsten Künstler aller Zeiten. Diese Ehrungen betreffen in erster Linie die Vergangenheit, aber eben auch die Gegenwart und sicher auch die Zukunft. Das kreative Schaffen und die Wandlungsfähigkeit des Chamäleons Bowie sind noch lange nicht am Ende. Da ist noch einiges zu erwarten.

Was Reality anbelangt, liegt ein großartiges Spätwerk vor. Frisch und doch retro, motiviert und doch kühl distanziert, zornig und doch gefühlvoll. Daher wird in dieser Rubrik erstmalig die Höchstpunktzahl vergeben.

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