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StudentenlebenMarathon

Der erste Marathon

Das lockere und leichte Laufen, das reich, glücklich und klug macht. Hier schien der neue Meilenstein für mein Leben zu liegen.

Mehrere, hintereinander laufende Läufer eines Ironmans laufen durch durch eine Pfütze.

Wie kommt man auf sowas?
Kurz nachdem sich meine langjährige Beziehung zerschlagen hatte, mussten neue Ziele her. Da lag es nahe, meinen durch die sportlose Examenszeit und einen intensiven Zigarettenkonsum arg gebeutelten Körper in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Mein erster 3-Kilometer-Lauf war sehr ernüchternd.

Meine Mitbewohner saßen quarzend und grinsend am Küchentisch
Doch als ich in meine WG zurückkehrte, saßen meine beiden Mitbewohner gerade quarzend und grinsend am Küchentisch. Nach der frischen Waldluft wurde mir richtig übel von dem Rauch, und so habe ich das Rauchen auch gleich drangegeben. In den nächsten Monaten lief ich jedoch relativ unregelmäßig und, wie ich später noch feststellen sollte, auch viel zu schnell. So war es wohl auch nicht verwunderlich, dass mir das Ganze bis dahin wenig Freude bereitete und ich zudem ständig Gelenkschmerzen hatte. Beim Knochendoktor wurde mir dann geraten, stets langsam so lange zu laufen, bis die Schmerzen beginnen. Nach und nach klappte das immer besser.

Plötzlich begann mir das Laufen Spaß zu machen
Auf der Suche nach einer Lektüre für eine anstehende Bahnfahrt stieß ich auf das Leicht-Lauf-Programm des mittlerweile als Jogging-Papst bekannten Dr. Strunz. Dieser stellte vor allem den Spaß und die Entspannung beim Laufen in den Vordergrund. Zudem wies er darauf hin, dass die meisten Läufer zu schnell laufen, durch die fehlenden Aufwärmübungen schnell verletzt sind und daher weder Spaß noch Fitness aus dem Laufen ziehen. So kam es, dass auch ich zum leichtfüßigen, gemütlichen Ballenläufer wurde und heute bei jedem Lauf nach den ersten zehn Minuten Einlaufen fünf bis sechs Dehnübungen mache. Mit gedehnten Muskeln läuft sich´s wirklich angenehmer. Und plötzlich begann mir das Ganze Spaß zu machen.

Schlank wird nur, wer das richtige Tempo findet
Letztlich sind sich die meisten Ratgeber in Sachen Lauftraining in einem Punkt einig: Der ehrgeizige High-Speed-Jogger läuft im anaeroben Bereich, in dem kaum Fett verbrannt wird und auch die Kondition kaum trainiert wird. Zu erkennen sind diese Leute an ihrem hochroten Kopf und dem gequälten Gesichtsausdruck. Hier werden die vorher über die Nahrung aufgenommenen Energiereserven verbraucht, und die High-Speed-Jogger überkommt direkt nach dem Laufen ein Riesen-Hungergefühl. Wer nicht nur auf eine bessere Fitness, sondern insgeheim auch auf eine bessere Figur hinarbeiten will, sollte vor allem langsam und wenn möglich morgens vor dem Frühstück laufen. Der Körper schaltet dann sofort auf Fettverbrennung. Grundsätzlich spürt man am Laufgefühl selbst, ob man die richtige Geschwindigkeit gefunden hat. Wer sich nach dem Laufen ausgepowert fühlt, sollte mindestens einen Gang runterschalten. Als Faustformel gilt: (210-220 minus Lebensalter) x 0,8-0,9 (je nach Fitness) –Ein 30-jähriger Laufanfänger sollte demnach mit einem Puls von 145-155 laufen. Wer gerade in der Anfangsphase seinem Gefühl nicht so ganz über den Weg traut, sollte sich eine Pulsuhr zulegen. Die Sonderangebote diverser Supermärkte für 25 Euro reichen durchaus.

Eiweiß-Drinks zum Muskelaufbau steigern die Fettverbrennung
Fett ist der Treibstoff unserer Muskeln. Wer beim Laufen möglichst viel von seinem Kraftstoff verbrauchen möchte, sollte den Muskelaufbau durch zusätzlichen Eiweißkonsum fördern. Eine Zeitlang hatte ich dann noch die unter Laufanfängern recht verbreitete Knochenhautreizung, doch ein erfahrener Joggingkollege meinte, das sei nicht weiter tragisch und gehe einfach irgendwann weg. Und so hielt ich mich an das Motto von Olli Kahn: Immmmmmmmmmmmmmmer weitermachen!

Das Rennen - Mit 16.000 anderen am Start
Hin und wieder kam mal zwei bis drei Wochen etwas anderes dazwischen, doch letztlich bin ich drei oder vier Monate am Ball geblieben und habe mich dann für den Köln Marathon angemeldet. Eine Woche vorher ist leider ein Rudel Grippeviren über mich hergefallen, doch jetzt konnte mich nichts mehr aufhalten, und so stand ich am 7. Oktober neben 16.000 anderen Teilnehmern endlich am Start. Es dauerte fast 15 Minuten, bis ich über die Startlinie war, und ich lief extrem langsam los. Bloß nicht den typischen Anfängerfehler machen und zu schnell loslaufen. Die ersten neun Kilometer laufe ich relativ langsam. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Überall stehen jubelnde Zuschauer am Rand und halten Respekt-Schilder in der Hand. Auf einem Balkon sitzen ein paar Rasta-Männer und trommeln für uns. In der nächsten Kurve steht wieder eine Gruppe von Trommlern. Die meisten Zuschauer klatschen. Alle lachen. Ich lache zurück. Mal nach links, mal nach rechts. Dann lächeln mir zwei süße Mädels in einer scharfen Rechtskurve zu. Ich zwinkere zurück. Verflixt, für einen Stopp ist jetzt keine Zeit. Irgendwie bekomme ich bei Kilometer 10 Angst, irgendwann im Ziel noch gar nicht richtig ausgepowert zu sein. Ich ziehe das Tempo ganz leicht an. Leicht und locker hüpfe ich voran.

Alle scheinen langsamer zu werden
Ich überhole die nächsten 15 Kilometer fast nur. Bei Kilometer 25 sehe ich zwei Studienkollegen am Rand stehen. Ich springe quer auf die andere Seite rüber und hebe den Arm zum Gruß. Mann, bis jetzt ist alles echt easy. Für einen kurzen Augenblick muss ich grinsen. Plötzliches beginnt meine Lunge zu brennen. Die letzte Wasserstation habe ich ausgelassen. Nach 500 Metern bereue ich das bereits. Der Mund wird trocken. Wann wohl wieder die nächste Wasserstation kommt? Bisher hatte ich darauf gar nicht so geachtet. Kilometer 27. Soviel bin ich vorher noch nie am Stück gelaufen. Die Gesichter der einzelnen Zuschauer nehme ich schon lange nicht mehr wahr. Kilometer 28. Endlich kann ich wieder eines der blauen Schilder erkennen, das die nächste Wasserstelle ankündigt. Die Läuferin vor mir schmeißt ihre Bananenschale zur Seite, die fast direkt im Gesicht eines am Rande stehenden Jungen landet.

Für einen kurzen Augenblick muss ich grinsen
Die nächste Kilometeranzeige. Verdammt. Kilometer 29. In mir kommt der Verdacht auf, dass ich mir meine Kräfte unter Umständen falsch eingeteilt habe. Ich gehe die ersten Meter. Nach einigen Schritten zwingt mich meine eiserner Wille zum Weiterlaufen. Mensch, wo bleibt denn Kilometer 30? Da hat sich wohl einer einen schlechten Scherz erlaubt. Meine Welt besteht nur noch aus den gelben Kilometerschildern und den blauen Schildern, die die nächste Wasserstelle ankündigen. Ich denke an Olli Kahn: Immmmmmmmmmmer weitermachen!

Kommt jetzt eigentlich Kilometer 31?
Einige Minuten später die Enttäuschung. Doch erst 30. Ich gehe einige Meter. An der nächsten Wasserstelle gehe ich wieder einige Meter. Das Trinken im Laufen habe ich schon lange eingestellt. Neben mir geht ein älterer Herr um die sechzig und meint: „Ja, ja, die letzten 10 sind immer die härtesten“, und trabt wieder los. Hat der eben wirklich 10 gesagt? Ich starte wieder durch. Ich bin mittlerweile fast bei Pisspottgeschwindigkeit angelangt. Immer einen Fuß vor den anderen. Egal. Dafür nehme ich mir vor, den nächsten Kilometer durchzulaufen. Es kommt mir wie Stunden vor, bis das nächste Kilometerschild am Horizont auftaucht. Zwei Frauen feuern uns an und rufen ein gut gemeintes: „Weiter so, nur noch neun Kilometer!“ Ich bin kurz davor, den beiden ins Gesicht zu springen. Haben die wirklich neun gesagt? Ich weiß nicht mal, ob ich noch bis 34 weitermachen soll. Kilometer 34. Ich gehe wieder ein paar Meter.

Mittlerweile werde ich pro Sekunde von 20 Leuten überholt
Muss wohl wirklich weit vorne gewesen sein. Am Rand der Straße geht ein anderer ebenfalls. Wir schauen uns mit diesem wissenden Blick an und müssen beide lachen. Ich denke mir: „So schnell läufst du keinen Marathon mehr.“ So geht das nicht weiter. Ich nehme mir an der nächsten Tränke einen Becher Wasser, einen Becher Tee, einen Becher Cola und humple zum Bordstein. Ich setze mich und beobachte die ankommenden Leidensgenossen. Die meisten stehen noch mehr ab als ich. Also wenn die noch durchhalten, dann schaffe ich das auch. Anscheinend kommt jetzt die Phase mit der Willenskraft. Ich beobachte noch, wie sich einige kaltes Wasser über Kopf, Rücken und Arme gießen. Na, das werde ich auch mal testen. Der Schock des kalten Wassers setzt neue Kräfte in mir frei. Ich laufe etwa 500 Meter und gehe dann um die nächste Kurve.

Eine Strategie muss her
Ich beginne bis hundert zu zählen. Bei hundert ist noch nicht einmal das nächste Kilometerschild in Sicht. Ich zähle noch einmal. Bei 60 kommt das nächste Schild. Irgendwie ratlos zähle ich einfach weiter und halte mein Tempo. Die nächsten 3 Kilometer zähle ich immer wieder von vorne los. Vor mir geht ein Typ in meinem Alter. Sieht ziemlich sportlich aus. Ich überhole! Ich halte mittlerweile mein Tempo und bin schon länger nicht mehr gegangen. Kilometer 38. Ich ahne, dass mich jetzt nichts mehr aufhalten kann. Ich versuche noch ein letztes Mal in meinen leicht- lockeren Dr.-Strunz-Ballenlauf zurückzukehren, doch nach drei Schritten weist mich meine Lunge in die Schranken.

Wie man sich auf den letzten Metern so fühlt?
Hatte mich schon immer gefragt, wie man sich auf den letzten Metern so fühlt. Ohne irgend jemandem die Überraschung verderben zu wollen, das Ganze erinnert an eine Mischung aus Grippe und Lungenentzündung. Zumindest stelle ich mir eine Lungenentzündung so vor. Ich kann nur noch relativ flach atmen. Aber egal. Immmmmmmmmmmer weitermachen!

... der Apfel kommt mir vor wie das Leckerste der Welt
Endlich ist die Ziellinie in Sicht. Die Uhr zeigt 4:31. Ich lege einen Spurt ein und schaffe es, bevor die Ziffern wieder umspringen. Jemand hängt mir eine Medaille um den Hals. Ich stehe plötzlich zwischen tausenden Fremden auf der Domplattform. Ich bin ein kleines bisschen stolz und gehe mit einem breiten Grinsen zum Obststand. Der Apfel kommt mir vor wie das Leckerste der Welt.