Mehr Wettbewerb um Studierende durch Gutscheinpool
Übervolle Hörsäle und zu wenige Professoren - aber den Ländern fehlt der Anreiz, mehr in Unis und FHs zu investieren. Die Spitzenverbände der Wirtschaft, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und das Institut der deutschen Wirtschaft Köln haben daher ein neues Finanzierungsmodell mit Gutscheinpool entwickelt.
Mehr Wettbewerb um Studierende durch Gutscheinpool
Köln, 17.07.2008 (iw) - Die deutsche Hochschullehre kränkelt - und das in Zeiten, in denen es an gut ausgebildeten Fachkräften bereits arg mangelt. Um das Problem in den Griff zu bekommen, muss sich einiges ändern. Gleich dreifachen Reformbedarf gibt es bei der Finanzierung der Lehre:
- Fehlende Investitionsanreize. Die Ausgaben pro Erstsemester sinken, die Studenten quetschen sich in überfüllte oder zu kleine Hörsäle und werden schlecht betreut. Mit dem bevorstehenden Ansturm der doppelten Abiturientenjahrgänge wird die Lage noch schlimmer werden. Übervolle Hörsäle und zu wenige Professoren - aber den Ländern fehlt der Anreiz, mehr in Unis und FHs zu investieren. Die Spitzenverbände der Wirtschaft, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und das Institut der deutschen Wirtschaft Köln haben daher ein neues Finanzierungsmodell entwickelt, das sich auf drei Säulen stützt: Die Hochschulen kassieren Studienbeiträge, die Bundesländer und der Bund zahlen in einen Gutscheintopf ein, und Studenten erhalten eine bessere finanzielle Unterstützung als bisher.
Ein Grund dafür, dass die Bundesländer nicht mehr Mittel in ihre Unis und FHs stecken, liegt in der föderalen Struktur der Hochschulfinanzierung: Ein Land, das in die Hochschulausbildung eines Studenten investiert, profitiert nicht zwangsläufig vom späteren Akademiker und Steuerzahler, denn der kann abwandern. Aus der Sicht der Länder ist es daher rational, ihre Investitionen in die Hochschullehre gering zu halten und auf gut ausgebildete Absolventen aus anderen Bundesländern zu setzen.
- Fehlende Nachfrageorientierung. Die knappen Mittel landen zudem nicht an der richtigen Stelle: Das zeigen lange Studienzeiten und hohe Abbrecherquoten. Das momentane Finanzierungssystem ist zu wenig an der eigentlichen Nachfrage der Studenten ausgerichtet. Und manche Professoren streben lieber nach Reputation in der Forschung und kämpfen um Drittmittel, anstatt zu lehren - denn das bringt weder Ansehen von außen noch zusätzliche Finanzen. Zuletzt bemängelte dies auch der deutsche Wissenschaftsrat und forderte einerseits mehr Geld für die Hochschulen, andererseits aber auch einen Mentalitätswechsel bei den Lehrkräften, die sich anscheinend lieber im Labor und am eigenen Schreibtisch aufhalten als im Hörsaal.
- Unzureichende soziale Absicherung in der Studienfinanzierung. Die soziale Herkunft bestimmt nach wie vor, ob ein Schulabgänger studiert oder nicht - denn die Jahre an der Uni kosten den künftigen Akademiker viel Geld. Das Problem dabei: Studenten aus weniger vermögenden Familien werden ähnlich belastet wie ihre Kommilitonen aus finanziell gut gestellten Kreisen.
Neues Finanzierungsmodell
Ein neues Finanzierungsmodell muss daher die drei Problembereiche miteinander verknüpfen. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sowie dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eine Lösung ausgearbeitet, die auf Studienbeiträgen der Studenten, einem länderübergreifenden Finanzierungspool für Gutscheine und neuen Unterstützungsleistungen basiert. Das bedeutet mehr Geld für die Lehre - es soll aber anders verteilt werden als früher. Im Einzelnen:
- Studienbeiträge. Wer etwas bezahlt, möchte dafür auch eine gute Leistung bekommen - Studiengebühren bzw. -beiträge helfen daher, den Studenten als Kunden mehr Gewicht zu geben. Sie können so beispielsweise größeren Einfluss auf das Angebot der Hochschulen nehmen. Wie tief die Studenten in ihre Tasche greifen müssten, sollte jede Hochschule selbst festlegen. Mit 1.000 Euro Studiengebühren pro Jahr hätten Universitäten und Fachhochschulen insgesamt rund 2 Milliarden Euro mehr in den Kassen. Mit diesem Geld könnten die akademischen Einrichtungen ihr angekratztes Image aufpolieren und verstärkt in die Lehre investieren - zum Beispiel, indem sie zusätzliches Personal einstellen. Hier lauert jedoch eine gesetzgeberische Hürde: die sogenannte Kapazitätsverordnung, die die Relation zwischen Professorenstellen und Studenten festlegt. Lehren mehr Professoren an den Hochschulen, müssten diese meist auch mehr Studenten aufnehmen - und stünden damit wieder am Anfang. Bessern würde sich ohne zusätzliches staatliches Reform-Engagement also wenig.
- Gutscheinpool. Die Bundesländer brauchen Anreize, um weiterhin in ihren akademischen Nachwuchs zu investieren, selbst wenn der nach seinem Abschluss wegzieht und seine Steuern woanders entrichtet. Ein Pool, in den Bund und Länder einzahlen, könnte diese finanzielle Verlustangst mindern. Das Geld aus dem gemeinsamen Topf geht als Gutschein an die Studenten, die ihn bei jeder akkreditierten Hochschule einlösen können. Die Gutscheine finanzieren den Unis und FHs und damit den Ländern also einen Teil der durchschnittlichen Studienplatzkosten. Der Pool sollte mit rund 5 Milliarden Euro gefüllt sein. Denn so könnte jeder Student jährlich einen Gutschein im Wert von durchschnittlich 2.500 Euro erhalten. Von den 5 Milliarden Euro tragen die Länder rund 4,5 Milliarden Euro; der Bund übernimmt mit rund 500 Millionen Euro pro Jahr den Beitrag für ausländische Studenten. Mit dem Gutscheinsystem verändert sich auch das Leitbild der Hochschulen. Denn erstmals wird gut die Hälfte der Mittel in der Lehre auf Basis des Nachfrageverhaltens der Studenten vergeben. Künftige Akademiker werden so mit ihren Leistungen und Studienbiografien stärker Dreh- und Angelpunkt des Systems - zumal die Studenten die Gutscheine flexibel einsetzen können, zum Beispiel auch berufsbegleitend, um ihren Master zu erwerben. Insgesamt ist mit den Gutscheinen maximal ein Bachelor- und ein anschließendes Masterstudium über insgesamt fünf Jahre möglich.
- Soziale Absicherung. Weder den Eltern auf der Tasche liegen noch jede Nacht kellnern - selbst mit Bafög und anderen Unterstützungen ist das für einen Studenten bisher eher schwer realisierbar. Denn die Hörsaalbank zu drücken, kostet Geld: Heute summieren sich die Nettounterstützung der Eltern, der eigene Verdienst der Studenten und die Bafög-Schulden nach einem sechsjährigen Unistudium ohne Studiengebühren auf 26.200 bis 30.500 Euro. Erschwerend kommt hinzu, dass das Jobben nebenbei oft zulasten der Studiendauer geht. Wer arbeitet, hat weniger Zeit zum Lernen. Manch einer fängt aus Geldgründen gar nicht erst an zu studieren. Angesichts des Fachkräftemangels ist dies fatal.
Drei Unterstützungskomponenten
Das neue Finanzierungsmodell berücksichtigt daher auch finanzielle Hilfen für die zukünftigen Akademiker. Geplant sind drei Unterstützungskomponenten:
- ein monatliches Bildungsbudget für jeden Studenten, d.h., ein Teil der früheren Transfers wie Kindergeld und Steuererleichterungen - monatlich 120 Euro - fließt nun direkt auf das Konto der Studenten.
- soll es für Studenten aus sozial benachteiligten Familien einen nicht zurückzuzahlenden Zuschuss geben. Und
- hätten alle angehenden Akademiker Anspruch auf ein Studiendarlehen.
Im neuen Modell müsste ein Student aus einem sozial benachteiligten Umfeld nach einem Bachelor- und Masterstudium von insgesamt fünf Jahren und bei jährlich 1.000 Euro Studiengebühren nur eine Darlehensschuld von 9.400 Euro abtragen. Studenten aus besseren Elternhäusern würden dagegen höher belastet werden. Insgesamt dürften die Geldsorgen der künftigen Akademiker jedoch abnehmen und somit mehr junge Menschen ein Studium wagen. Unterm Strich würden so mehr Fachkräfte ausgebildet. Bund und Länder würden bald die Früchte ihrer Mühen ernten: Investieren sie ab 2009 in 20.000 neue Studienplätze pro Jahr, ist der Fachkräftemangel in zehn Jahren kein Thema mehr. Außerdem werden aus den Studenten fleißige Steuerzahler, wovon vor allem die Länder profitieren: Die in den Jahren 2009 bis 2018 zu erwartenden Steuermehreinnahmen durch die zusätzlichen Absolventen wären über fünfmal so hoch wie die Mittel, die dafür extra in die Hochschulen zu stecken sind.
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Eckpunkte einer investitionsorientierten Hochschulfinanzierung