Fenster schließen

Druckansicht http://www.wiwi-treff.de/Studienstart-and-Studium/Studienfinanzierung/Interview-mit-Prof-Dr-Rinkens-zur-17-DSW-Sozialerhebung/Artikel-1865/drucken

Studienstart & StudiumStudienfinanzierung

Interview mit Prof. Dr. Rinkens zur 17. DSW-Sozialerhebung

Interview mit Prof. Dr. Hans-Dieter Rinkens, Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW), zu Studiengebühren, Studienfinanzierung und den Anforderungen im Studium.

HIS-Studie Internationalisierung Studium
Herr Professor Rinkens, wie sieht eigentlich das Bild eines „typischen Studierenden“ im Jahr 2004 aus?

Ich glaube nicht, dass man von dem „typischen“ Studierenden sprechen kann, denn es gibt ebenso unterschiedliche Lebensweisen wie Motive für ein Studium. Doch natürlich gibt es einige besonders deutliche Merkmale. Wenn man diese einmal zusammennimmt, dann ist der typische Student oder die typische Studentin – der Frauenanteil der Studienanfänger ist von 47 % auf 50 % angestiegen – durchschnittlich 24,4 Jahre alt, lebt allein in einer eigenen Mitwohnung (23 %), studiert Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften (23 %), jobbt nebenher (68 %) und geht mindestens dreimal pro Woche zum Mittagessen in die Mensa oder Cafeteria (44 %). Spannend sind diese Aussagen vor allem, wenn man ihre Veränderung über Jahrzehnte beobachtet. 1952, im Jahr der ersten DSW-Sozialerhebung, betrug der Frauenanteil an den Hochschulen beispielsweise nur 17,2 Prozent.

Bedeutet das, dass der Hochschulzugang in den vergangenen Jahrzehnten offener oder demokratischer wurde?

Was den Frauenanteil angeht, trifft das glücklicherweise zu. Aber in anderer Hinsicht ist leider genau das Gegenteil der Fall! Von Chancengleichheit kann auch im Jahr 2004 keine Rede sein. Die Schwellen der Hochschulen überschreiten hauptsächlich Kinder aus gebildeten oder wohlhabenden Familien. Laut Sozialerhebung hatten im Jahr 2003 von 100 jungen Leuten im studierfähigen Alter (19-24 Jahre) 22 einen Vater, der über Hochschulreife verfügt, von diesen 22 nahmen 18 ein Hochschulstudium auf. 33 junge Leute hatten einen Vater mit Realschulabschluss, von diesen 33 studierten 9. 45 hatten Väter mit Hauptschulabschluss, von diesen 45 studierten ebenfalls lediglich 9. In anderen Regionen dieser Welt würden wir bei einem solchen Sachverhalt von „Kasten- Gesellschaft“ sprechen. Es ist nicht nur ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlich unsinnig, dieses Potenzial an jungen Menschen aus Familien, bei denen das Abitur nicht „selbstverständlich“ ist, zu vernachlässigen.

Aber halten Sie es wirklich für sinnvoll, die Zahl der Studierenden weiter zu erhöhen? Brauchen wir noch mehr arbeitslose Akademiker?

Wir brauchen in Deutschland mehr junge Menschen, die ihr Studium erfolgreich abschließen, denn da liegen wir im OECD-Vergleich ganz weit hinten. Nur 19 % eines Altersjahrgangs schließen in Deutschland ein Hochschulstudium ab. Der OECD-Schnitt liegt bei 30 %. So kann man nicht im internationalen Wettbewerb bestehen. Natürlich brauchen wir keine arbeitslosen Akademiker, aber das steht auch gar nicht zur Debatte. Gerade in Zeiten, in denen es auf dem Arbeitsmarkt schlecht aussieht, sind eine solide Bildungsgrundlage und ein möglichst guter Abschluss besonders wichtig. Es ist kein Geheimnis, dass man mit einem Studium viel bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Das darf nicht den allein durch das Elternhaus Privilegierten vorbehalten bleiben. Wenn man sich zu dem demokratischen Gleichheitsprinzip bekennt, muss man es auch im Bildungssystem konsequent umsetzen. Das fängt natürlich schon in der Schule an.

Kann die BAföG-Förderung bestehende Ungerechtigkeiten ausgleichen?

In jedem Fall ist die staatliche Finanzierung dabei eines der wichtigsten Elemente, das allerdings unbedingt ausgebaut werden muss. Laut Sozialerhebung lebt nur 1 % der Studierenden ausschließlich von der BAföG-Förderung. Um den Slogan der BAföG-Kampagne von 2001 „einfach, besser, mehr“ umzusetzen, muss die Studienfinanzierung substanziell weiterentwickelt werden. Die durchschnittliche Förderhöhe stagniert zurzeit, was sich darin äußert, dass die Kaufkraft des durchschnittlichen Förderungsbetrags, bezogen auf alle BAföG-Empfänger, im Jahr 2003 auf demselben Niveau wie 1991 lag.

Wie wirkt es sich nach Ihrer Ansicht auf den Studienerfolg aus, dass mittlerweile zwei Drittel der Studierenden jobben?

Ganz offensichtlich gibt es hier Wechselwirkungen. Die Sozialerhebung hat ergeben, dass die Studierenden im Erststudium durchschnittlich eine 42-Stunden-Woche haben. Davon jobben sie 7,4 Stunden, den Rest verbringen sie mit dem Studium. Damit sind ihre Kapazitäten ausgeschöpft, weiteres Jobben würde den Studienerfolg gefährden. Denn es ist erwiesen, dass jede Stunde zusätzliche Erwerbstätigkeit den Studienaufwand durchschnittlich um fast eine halbe Stunde verringert. Ich denke schon, dass man auch mit einem 7-Stunden-Job erfolgreich studieren kann und es ist sicher auch zumutbar, sich seinen Lebensunterhalt in Eigeninitiative aufzubessern. Aber diese Voraussetzungen gelten eben nicht für alle Studierenden. 56 % müssen nach eigenen Angaben arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Drohende Studiengebühren trotz mangelnder Ausstattung und Betreuung an den Hochschulen – würden Sie Abiturienten heute trotzdem zu einem Studium raten?

Auf jeden Fall! Außerdem ist bei der Studiengebühren-Debatte das letzte Wort noch längst nicht gesprochen. Ich denke, dass auch die Hochschulen in Zukunft mehr in die Verantwortung genommen werden. Wir werden schon bald wieder eine intensivere Debatte über die Studienbedingungen bekommen; denn die Abbrecher-Zahlen weisen hier auf deutliche Unzulänglichkeiten hin, die durch Studiengebühren nicht so einfach zu beheben sind.

Was hat sich am Bild der Studierenden in den vergangenen Jahren am meisten verändert?

Die Anforderungen an die Studierenden sind stark gestiegen. Fast jeder Arbeitgeber erwartet heutzutage von den Hochschulabsolventen Auslandserfahrung, Sprachkenntnisse, soziale Kompetenzen und möglichst schon Berufserfahrung, die während des Studiums gesammelt wurde. Außerdem findet zurzeit eine gewaltige Umwälzung im Ausbildungssystem der Hochschulen statt – Stichwort „gestufte Studiengänge“ -, die am Arbeitsmarkt noch gar nicht angekommen ist. Damit die Reformen gelingen, ist es wichtig und nötig, die „realen Studierenden“, ihre Voraussetzungen, ihre Alltagssituation, ihre Bedürfnisse nicht außer Acht zu lassen. Dabei kann und soll unsere Sozialerhebung helfen.