"Was habe ich getan? Ich habe zwei Bewerbercoaches aufgesucht, um von Außen etwas über mich zu erfahren."
Gute Idee. Bewerbercoaches sind allerdings meistens Theoretiker. Warum wird jemand Bewerbercoach? Weil er gut mit Menschen kann, aber keinen Job in der Wirtschaft findet. Also nicht zu viel darauf geben.
"Beide haben mir unabhängig von einander gesagt, dass ich zwar ein Teamplayer bin, aber gleichzeitig auch ein Alphatier beziehungsweise FK-Potenzial besitze, da ich Sache anpacke und erfolgreich nach vorne bringen will."
"FK-Potenzial" (wie Du es nennst) hat nicht nur etwas damit zu tun, Sachen anzupacken und nach vorne zu bringen. Das wird bereits von Sachbearbeitern ohne Personalverantwortung erwartet. Führung bedeutet, MENSCHEN auf die richtige Weise für Themen zu begeistert und durch Motivation und Anreiz zu hohen Leistungen zu führen. Aber das führt am Thema vorbei, denn Bewerber um Sachbearbeiterpositionen müssen nicht automatisch Vorstandspotenzial nachweisen, um eingestellt zu werden.
"Ich zeige was ich kann, ohne aber dabei zu klotzen, sondern präsentiere mich selbstbewusst und souverän. Dabei stehe ich zu meinen Fehlern und bin sehr verantwortungsbewusst. Ich scheue mich nicht davor, meinen Kopf hinzuhalten, wenn etwas schief gelaufen ist und vertrete auch meine Meinung, muss sie aber nicht durchboxen, wenn nicht angebracht."
Gutes Selbstbild. Das Problem könnte sein, dieses Selbstbild auch in ein gutes Fremdbild zu verwandeln.
"Für mich war die Erkenntnis neu bzw. ich habe mich so nicht wahrgenommen. Wenn denn aber so ist, kann ich mich im VG doch nicht dümmer oder unsicherer machen als ich bin."
Nein, absolut nicht. Das wird auch keine Firma verlangen. Selbstsicherheit hat allerdings nicht nur positive Assoziationen. Nie an sich zu zweifeln, kann ein schwerer Fehler sein. Mir ist ein "Ich kann wenig, will aber alles lernen" Bewerber lieber als der "Ich kann alles!" Bewerber.
"Ich weiß, was ich kann, weiß aber auch, wo noch Optimierungen sind. Ich überschätze mich nicht, verlange keine überhöhte Gehaltsvorstellung, aber ich vertrete meine Person, meinen Wert und meine Fähigkeiten und mach auch immer klar, dass mir Kollegn und ein tolles Team sehr wichtig sind."
Das ist alles recht subjektiv. Grundsätzlich ist es legitim, ein anständiges Gehalt zu verlangen, seine Fähigkeiten zu kennen und seine Person zu vertreten. Das alles ist per se nicht falsch. Was auch immer das für "Fähigkeiten" sein könnten. Methodenkompetenz von der Uni? Besonders nette Hausarbeit geschrieben? Frei sprechen können, ohne rot zu werden?
Ich stelle mir gerade vor, ich hätte einen Bewerber mit diesem Profil im Vorstellungsgespräch. Er soll nach der Einstellung in ein Team von 3 erfahrenen Kollegen integriert werden, die allesamt schon etwas länger an Bord sind. Die 3 sollen den Neuen einarbeiten und ihm die Arbeit erklären. Wenn ich einen Augenhöhe- und Ball-zurückspiel-Absolventen in so ein Team setze, dann schmeißt mindestens einer der drei Kollegen nach einem Monat das Handtuch. Darauf haben die keine Lust. Es reicht nicht unbedingt aus, von einem guten Team zu reden, man muss sich dort auch einfügen können.
"Da ich rhetorisch relativ geschickt bin, positioniere ich mich bei VG auf Augenhöhe und spiele den Ball auch immer zurück. Ich sitze also nicht da, wie ein kleines verschüchtertes Etwas. Dafür habe ich einfach zu viele Erfahrungen gesammmelt."
Keine vernünftige Führungskraft verlangt das eingeschüchterte Etwas. Es gibt aber einen breiten Spielraum zwischen Mauerblümchen und Großkotz. Irgendwo da sollte man sein.
Wenn ich einen Bewerber einlade und der präsentiert sich "auf Augenhöhe", dann bekommt der nach 10 Minuten das Formular für die Reiseabrechnung in die Hand gedrückt und wird vom Praktikanten noch nett zum Hauptausgang gebracht. Sorry, aber so geht es nicht. Ich suche einen Mitarbeiter und bin nicht Anne Will im Abendtalk. Für Phrasendrescher, die meine Fragen zurückspielen ("Was können Sie uns bieten, Herr Bewerber?" - "Gegenfrage, was bieten Sie mir, Herr Interviewer?" -> Red Alert!), wäre mir meine Zeit zu schade.
"Was ist also falsch, so zu sein? Wollen die Vorgesetzten Speichellecker haben oder jemanden, der das Team unterstützt."
Sie wollen jemanden, der der Firma DIENT. Dienst findet nicht auf Augenhöhe statt. Wenn Du all diese Fähigkeiten hast, von denen Du schreibst, dann stelle sie in aller Deutlichkeit in den DIENST der Firma.
Das fängt schon mit der richtigen Schwerpunktsetzung an. Es geht nämlich nicht darum, dass ich als Bewerber einen tollen und schlagkräftigen Auftritt hingelegt habe ("ha, denen habe ich's gegeben!"), sondern um den BEITRAG, den ich für die Firma leisten kann. Nicht ich stehe im Mittelpunkt, sondern mein Beitrag.
Vor allem der Berater mit den zwei Ratschlägen hat viel Wahres geschrieben, da ich so unterschreiben würde (nur dass ich den "Quarter-pounder with cheese" bevorzuge, den sie in Europa "Royal with cheese" nennen).
In allem Ernst möchte auch ich Dir ein paar Ratschläge mit auf den Weg geben:
- Es geht im Gespräch nicht um Schlagkräftigkeit, um Dein Ego oder darum, das maximal mögliche "rauszuhandeln". Es geht um Deinen BEITRAG zur Firma.
- Man hat Dir an der Uni erzählt, wie die Welt funktioniert. Stimmt aber nicht. Die Welt funktioniert ganz anders. Mache dir das vor jedem Gespräch bewusst. Von dem, was Du für einen erfolgreichen Job können musst, kannst Du fast NICHTS.
- Dass die HRler sich cool und hobby-bezogen vorstellen, liegt daran, dass sie das Eis für die Bewerber brechen wollen. Das heißt nicht, dass die Bewerber diesen Weg ebenfalls gehen wollen. Du bist Bewerber und nicht HRler, so ist das nunmal. Also stelle dich so vor, dass die HRler die Stationen auf dem Lebenslauf wiedererkennen, den sie vor sich auf dem Tisch liegen haben.
- Versuche im Assessment Center nicht, besser als die anderen Kandidaten zu sein. Dadurch wirst Du nur zum Schlaumeier. Versuche einfach, die Aufgabe möglichst besonders gut zu lösen. Niemand sucht Leute, die die Unfähigkeit des Teams vor der Jury zum Thema machen.
"Zu guter Letzt gab es noch ein persönliches Gespräch, die FK meinte zum Abschluss: Wenn ich sage, Sie sollen springen, dann fragen Sie lediglich wie hoch. Da habe ich kein Problem mit, kann gut springen, antwortete ich."
Weißt Du, was ich glaube? Du kommst einfach unsympathisch rüber. Und damit fliegst Du aus jedem Gespräch.
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