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Griechenland-Krise: Neue Studien und Kommentar nach dem Referendum

Die griechische Bevölkerung hat beim Referendum am Sonntag mehrheitlich mit „Nein“ gestimmt. Der Präsident des Kieler Institut für Weltwirtschaft Prof. Dennis J. Snower sieht in dem Referendum einen "Weckruf für alle Euro-Länder". Zwei neue Studien des Instituts untersuchen den GREXIT und den Verbleib Griechenlands im Euroraum - GREMAIN.

Eine zeichung der Akropolis auf einem braunen Fleck und der Überschrift: Oxi-Nein, mit Geldscheinen, einem Eurozeichen als -e- und einem Wahlkreuz.

Prof. Dennis J. Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft:

Weckruf für alle Euro-Länder
Dieses „Nein“ ist hoch gefährlich. Es besteht nun die große Gefahr, dass das Land durch wirtschaftliche Verwerfungen zum Austritt aus dem Euro oder gar der EU gezwungen wird. Das könnte das Land zu einem Hort der Instabilität an der Außengrenze Europas werden lassen – etwa in Bezug auf die NATO, die Flüchtlingspolitik und viele andere Themen. Das kann niemand wollen.

Deshalb muss es wieder zu Verhandlungen kommen – auch wenn die nun sehr schwierig werden. Der griechischen Regierung muss trotz des „Nein“ klar sein, das es ohne Verzicht auf Souveränität und ohne den Willen zu Reformen im Land keine Hilfen wird geben können.

Für die übrigen Euro-Länder muss dies ein Weckruf sein, endlich die Eurozone nachhaltig abzusichern. Grundlage dafür kann der sogenannte Fünf-Präsidenten-Bericht, den die Präsidenten der fünf wichtigsten EU-Institutionen, Jean-Claude Juncker (EU-Kommission), Mario Draghi (EZB), Jeroen Dijsselbloem (Eurogruppe), Martin Schulz (Europäisches Parlament) und Donald Tusk (Europäischer Rat) vor kurzem vorgelegt haben. Die darin vorgestellten Reformvorschläge, die unter anderem eine tiefere europäische Integration im Finanzsektor, eine effektivere Banken-Rekapitalisierung und den Beginn einer Kapitalmarktunion vorsehen, zeigen in die richtige Richtung. Wird dieser Plan um automatisch durchführbare nationale Fiskalregeln ergänzt, mit denen sich die Verschuldung dauerhaft senken lässt, und um eine Strukturpolitik, die punktgenau Schwächen in der ökonomischen Struktur der Länder beseitigt, lässt sich eine stabile Währungsunion erreichen."


Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am IfW:

Signal in die falsche Richtung – Chaos und Attentismus gehen in die nächste Runde
Einen Konflikt zwischen zwei Vertragspartnern lässt sich nicht dadurch lösen, dass man ein einseitiges Referendum abhält, das den Konflikt nur bestätigt. Auch wenn sich die Regierung Tsipras nun innenpolitisch bestätigt fühlt, so steht sie wirtschaftlich weiterhin vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Mit dem gestrigen Mehrheitsvotum sind die Voraussetzungen für eine Besserung der Lage in Griechenland schlechter und nicht besser geworden.

Die ökonomisch inkompetente und gegenüber den europäischen Partnern offen feindselig auftretende Regierung hat in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit nicht nur kostbare Zeit vergeudet, sondern sie hat durch ihr chaotisches Agieren die ökonomische Entwicklung des Landes weit zurückgeworfen und das Vertrauen nicht nur der europäischen Partner, sondern – wichtiger noch – der so dringend benötigten Investoren pulverisiert. Nun steht zu befürchten, dass der das gesamte Land lähmende Attentismus, also die abwartende Haltung in der Hoffnung auf eine sich bessernde Situation, in die nächste Runde geht. Darunter werden am stärksten diejenigen zu leiden haben, denen sich die amtierende griechische Regierung besonders verpflichtet zu fühlen glaubt, nämlich die Schwächsten der Gesellschaft. Diese sind dringend darauf angewiesen, dass die institutionelle Dysfunktionalität in Griechenland überwunden wird, damit marktfähige Produktionsstrukturen entstehen können, ohne die sich der allgemeine Lebensstandard nicht heben lässt.

Das Eurosystem hat keinerlei Mandat, die Reformunwilligkeit der griechischen Regierung monetär zu alimentieren. Um die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik nicht weiter zu beschädigen, muss (und kann) sich die EZB vor dem nationalen Missbrauch der Druckerpresse schützen, indem sie das griechische Bankensystem von der Geldschöpfungsmöglichkeit ausschließt. Damit sieht sich das Land nun dem härtesten monetären Regime gegenüber, das es jemals hatte. Auch diese Konsequenz stand implizit zur Wahl beim gestrigen Referendum. Ein drittes Hilfsprogramm ist unter den jetzigen Bedingungen kaum in Sicht. Damit rückt vermutlich der Austritt des Landes aus dem Euroraum näher, auch wenn damit keines der Kernprobleme des Landes gelöst wird.

Griechenland: Kein Weg aus der Krise ohne Reformen

„Der Fehler von Eurogruppe, EZB und IWF war es, die Beharrungskräfte der griechischen Klientelwirtschaft zu unterschätzen und viel zu lange die Verschleppung des Reformprozesses zu tolerieren“, urteilt Dr. Klaus Schrader, Experte für Wirtschaftspolitik am IfW, in einer jetzt am Institut erschienenen Studie.

Seit dem EG-Beitritt 1981 seien von Brüssel die sichtbaren Strukturschwächen für lange Zeit beharrlich akzeptiert worden. Keine griechische Regierung der vergangenen Jahre habe ohne Druck und Kontrollen den Reformprozess oder die Haushaltssanierung vorangetrieben. Erst die kompromisslose Haltung der neuen griechischen Regierung habe die mangelnde Kooperationsbereitschaft der griechischen Politik auf drastische Weise transparent gemacht.

Schrader: „Durch die Verschleppung des Reformprozesses wird die Attraktivität des Standorts Griechenland für in- und ausländische Investoren noch weiter sinken, und die Wende zu einer positiven Wirtschaftsentwicklung ist in weite Ferne gerückt“.

Reformprozess zu früh abgebrochen
Dabei hatten die auf Druck der Euroländer und des IWF in jüngster Zeit in Gang gekommenen Reformprozesse erste Erfolge gezeigt – trotz aller Verzögerungen und Umsetzungsdefizite. Im „Doing Business Ranking 2015“ der Weltbank erreicht Griechenland Rang 61 von 189 Ländern, 2011 war es noch Rang 109. Auch die ökonomischen Kennzahlen deuteten 2014 erstmals eine leichte Wende an. Das griechische Sozialprodukt etwa wuchs erstmals seit 2007, wenn auch nur um 0,8 Prozent. Für das Jahr 2015 wurde noch im Herbst letzten Jahres ein Wachstum von 2,9 Prozent prognostiziert.

Schrader: „Von Rettung konnte zwar noch keine Rede sein, aber die Zukunftsaussichten hatten sich für Griechenland deutlich verbessert.“

Seit das Bündnis aus Syriza und Anel regiert, sei die Reformpolitik de facto ausgesetzt worden. Die EU-Kommission geht in ihrer Frühjahrsprognose 2015 nur noch von einem griechischen Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent aus – und dies nur unter der Bedingung, dass Griechenland sich bis Juni auf eine Fortführung des Reformprozesses mit den Geldgebern geeinigt hätte.

Haupthindernis für Reformerfolge sei die völlige Überforderung der griechischen Staatsverwaltung bei der Durchführung komplexer Reformen. Sie bedürfe in noch größerem Umfang als bisher externer Expertenhilfe. Der Reformbedarf Griechenlands betreffe nach wie vor die Steigerung der Wettbewerbsintensität auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten, die Flexibilisierung und Öffnung der Arbeitsmärkte sowie die Vereinfachung des Steuersystems und eine finanzielle Entlastung des Staates bei Renten und Pensionen. Die fehlende Durchsetzbarkeit von Verträgen und die Mängel bei der Registrierung von (Immobilien-)Eigentum erwiesen sich nach wie vor als größte Hindernisse für die unternehmerische Tätigkeit in Griechenland.

Preiskampf mit Schwellen- und Entwicklungsländern – Dominoeffekte nicht zu befürchten
Die vom IfW durchgeführte Analyse der Wirtschaftsstruktur des Landes zeigt: Griechenland ist auf rohstoff- und arbeitsintensive Produkte ausgerichtet und steht damit im Preiswettbewerb mit Schwellen- und Entwicklungsländern. Nötig seien eine deutlich höhere Wertschöpfung und „Hightech made in Greece“. Der Dienstleistungssektor biete in erste Linie Jobs in Logistik und Tourismus mit geringen Qualifikationsanforderungen und dementsprechend niedrigen Einkommen. Es fehlten unternehmensnahe Dienstleistungen mit guten Einkommenschancen.

Schrader: „Das griechische Dilemma besteht darin, dass diese Strukturen kaum geeignet sind, ein Wohlstandsniveau aufrechtzuerhalten, an das sich die griechische Bevölkerung während des nachfragegetriebenen Booms während der vergangenen Dekade gewöhnt hat. Ein Reformprozess, der über mehrere Jahrzehnte verschleppt wurde, kann von Griechenland nun nicht in wenigen Jahren nachgeholt werden.“

Ebenfalls zeigt die Analyse des IfW die geringe Bedeutung Griechenlands innerhalb der EU. Demnach entfiel auf die griechische Volkswirtschaft 2014 lediglich ein Anteil von 1,3 Prozent am europäischen Sozialprodukt, noch ganz knapp unter der 1-Prozent-Schwelle liegt der Anteil Griechenlands am Gesamtexport der EU-Staaten. „Dabei wäre Griechenland mit seinen kleinen Binnenmärkten ganz beson­ders auf einen starken Export angewiesen“, so Schrader. Vergleichbare Länder wie Irland, Slowenien oder Ungarn exportieren Waren und Dienstleistungen in Höhe von 100 Prozent ihres BIP, Griechenland bewegt sich bei 30 Prozent.

„Vor diesem Hintergrund ist die Beschwörung von Ansteckungsgefahren und Dominoeffekten, die ein Scheitern der Rettung Griechenlands nach sich ziehen würde, irreführend und in Wahrheit nicht zu befürchten“, meint Schrader. Es habe sich gezeigt, dass in Ländern mit Rettungsprogrammen wie Irland, Portugal und Spanien die Wachstumskrise überwunden und die Kapitalmarktfähigkeit wiederhergestellt ist. „Rettungspolitik kann also funktionieren.“

Strukturreformen und Schuldenschnitt als Ausweg
Die Fortsetzung der Rettungspolitik ohne belastbare Reformauflagen, was seitens der griechischen Regierung offensichtlich präferiert werde, sei allerdings keine Lösung des Griechenlandproblems. Dies würde zur Bildung einer Transferunion mit nicht kalkulierbaren Kosten führen und das Regelwerk der Eurozone und der Union insgesamt in Frage stellen.

Ansteckungseffekte wären unvermeidbar: „Kein Krisenland wäre mehr gewillt, harte Anpassungsmaßnahmen mit spürbaren politischen und wirtschaftlichen Kosten zu tragen“, so Schrader.

Zur Wiederherstellung der griechischen Schuldentragfähigkeit befürworten die Autoren einen Schuldenschnitt: Entweder in Gestalt eines konditionierten Schuldenschnitts mit umfangreichen, nachprüfbaren Reformauflagen innerhalb des Euro. Hierbei wäre eine sehr weitgehende Kooperationsbereitschaft der griechischen Regierung erforderlich, eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands würde vermieden. Oder in einem Schuldenschnitt mit geordnetem Austritt aus der Eurozone und einem finanziell abgefederten Übergang, wenn die Regierung ihre Zahlungsunfähigkeit erklärt und belastbare Reformprogramme ablehnt.

Download der Studie [PDF, 532 KB - 31 Seiten]
Die griechische Tragödie: Neue Episode oder Exodus?

Griechenlandkrise: GREXIT löst die Kernprobleme nicht

In einem heute veröffentlichten Positionspapier haben Forscher des IfW die Situation Grie­chenlands analysiert. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass sich der Euroraum mit Bordmitteln vor dem nationalen Missbrauch der Notenpresse in Griechenland schützen kann. Solange Griechenland den Schuldendienst nicht regulär leiste, müsse das Land von der Geldschöpfung ausgeschlossen bleiben. Dies könne die EZB mit ihrem bestehenden Instrumentarium gewährleisten, indem entsprechend strenge Anforderungen an die Sicher­heiten im Refinanzierungsgeschäft gestellt werden. So könne das Gemeinschaftsinteresse an einer regelgebundenen Währung gewahrt werden. Ein Ausscheiden des Landes aus der Währungsunion sei hierfür nicht erforderlich. Dies gelte auch dann, wenn der griechische Staat die Zahlungsunfähigkeit erklärt. „Ein solches GREMAIN-Szenario setze den griechi­schen Staat dem unter allen Alternativen härtesten monetären Regime aus, insbesondere würden ihr so alle Spielräume für defizitäre Programme genommen“, so Prof. Stefan Kooths, Leiter des IfW-Prognosezentrums. Auch seien dann Bankenzusammenbrüche wahrscheinlich, die in einer Übergangsphase die ökonomische Aktivität in Griechenland zusätzlich belasten würden. Allerdings könnten nach und nach ausländische Banken die potenziell profitablen Finanzgeschäfte in Griechenland übernehmen.

Ein ungeordneter Austritt Griechenlands aus dem Währungsraum mit anschließender Ab­wertung der neuen nationalen Währung (GREXIT-Szenario) wäre nach Einschätzung der Forscher ein riskantes Experiment, das bereits an der Umsetzbarbarkeit scheitern könnte. Kooths: „Es ist etwas anderes, in einem bestehenden Festkurssystem abzuwerten, als eine neue Währung mit dem Ziel der Abwertung einzuführen, um eine bestehende stabile Wäh­rung abzulösen.“ Ein stabiles Parallelwährungssystem erscheine noch unrealistischer.

Die amtierende Regierung in Griechenland habe sich in eine Sackgasse manövriert. Glaubwürdige Reformzusagen könne sie nicht mehr abgeben. Die Unterschiede zwischen den wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen der Gläubiger und der amtierenden griechi­schen Regierung seien unüberbrückbar, neue Reformprogramme würden aller Erfahrung nach an mangelnder Umsetzungsbereitschaft (Ownership) scheitern.

Der Schlüssel für nachhaltigen Wohlstand in Griechenland liege im Aufbau von Institutionen, die das unternehmerische Handeln befördern und insbesondere Anreize für neue Investitionen setzen. Kooths: „Solange diese zentralen Voraussetzungen für Wohlstand und Wachstum nicht geschaffen sind, werden auch alle anderen Maßnahmen keine nachhaltige Besserung für die griechische Bevölkerung bringen können.“ In diesem Falle müsse auf eine neu formierte Regierung in Griechenland gesetzt bzw. gewartet werden. Aber auch dann werde der Aufbau neuer Institutionen viel Zeit beanspruchen. In der Übergangszeit könnten die größten Härten (Medikamentenversorgung etc.) durch Notpläne der EU abgefedert werden.

Download der Studie [PDF, 8 Seiten - 208 KB]
Zwischen GREMAIN und GREXIT: Euroraum in der Bewährungskrise

Die Schulden Griechenlands auf einen Blick
Nachdem der griechische Regierungschef Alexis Tsipras am 27. Juni ein Referendum über das Hilfsprogramm für sein Land angekündigt hat, sind die Verhandlungen mit den geldgebenden Institutionen zum Erliegen gekommen. Griechenlands Schulden von insgesamt etwa 313 Milliarden Euro [Zahlungsrückstände gegenüber Lieferanten und Angestellten sowie Garantieerklärungen des griechischen Staates sind hier noch nicht inbegriffen] sind auf eine Reihe unterschiedlicher Gläubiger verteilt. Die größten Einzelgläubiger sind die EFSF (circa 42 Prozent), die Eurozonenstaaten in bilateralen Darlehen (17 Prozent), der IWF (sieben Prozent) und die EZB (neun Prozent unter Einbeziehung der ANFA-Bonds; alle Zahlen laut PDMA 2015 mit Stand April). Somit besteht zwar ein Großteil von Griechenlands Kreditverpflichtungen gegenüber politischen Institutionen, jedoch sind auch noch einige frei handelbare Bonds und T-Bills im Umlauf. Diese wurden insbesondere von den griechischen Geschäftsbanken aufgekauft und zur Liquiditätsbeschaffung bei der griechischen Zentralbank verwendet.

Staatsschulden Griechenlands (in Mrd. Euro)

Grafik zur Aufteilung der 321 Mrd. Euro Schulden von Griechenland im Kreisdiagramm.


Am 30. Juni war eine zusammengefasste Rückzahlung an den IWF in Höhe von 1,5 Mrd. Euro fällig, die nicht geleistet wurde. Im Juli müssten T-Bills im Wert von 3 Mrd. Euro überrollt werden und 0,5 Mrd. an den IWF und 3,5 Mrd. an das Europäische Zentralbankensystem zurückgezahlt werden (Forelle et al. 2015). Ferner werden jeweils zum Monatsende Gehälter und Pensionen in Höhe von 2,2 Mrd. fällig. Da es in den gegenwärtigen Verhandlungen zu keiner Einigung kam, sind die restlichen 7,2 Mrd. Euro verfallen, die noch im Hilfsprogramm enthalten waren. Das Regelwerk (IWF 2012) sieht vor, dass Griechenland keine weiteren Mittel zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund von Cross-default- und Cross-acceleration-Klauseln ist es einigen Gläubigern einschließlich der EFSF gestattet, ihre Darlehen zurückzufordern (Glover 2015). [Eine Beschleunigung wäre allerdings wiederum eine politische Entscheidung; letztendlich müsste die EFSF sich wahrscheinlich sowieso über die Ziehung der Garantien der anderen Regierungen refinanzieren (Muehlbronner et al. 2015).]

Die meisten Szenarien für einen griechischen Staatsbankrott hätten direkte Auswirkungen auf die griechischen Finanzinstitute, welche im April 2015 griechische Staatspapiere im Gesamtwert von 22,677 Milliarden Euro in ihrer aggregierten Bilanz hielten. Ein Verlust dieses Betrages alleine wäre bei einem Eigenkapital vor Rückstellungen von 29,157 Milliarden [Da es sich nicht um eine konsolidierte Bilanz handelt, ist das wahre Eigenkapital wohl etwas niedriger, allerdings waren die entsprechenden beobachtbaren gegenläufigen Positionen mit zusammen 37 Millionen relativ klein (Aktien und anderes EK außer GMF-Anteile heimischer MFIs: 33 Millionen Euro, heimische GMF-Anteile: vier Millionen Euro, keine Informationen über Anteile an kleinen Finanzinstituten).] aber bei einem großzügig gewählten Rekapitalisierungspfad wohl prinzipiell verkraftbar.[Ein Großteil des Eigenkapitals der griechischen Banken besteht aus latenten Steuerrückforderungen. Ob dies zu einem Problem wird hängt von der genauen Vorgehensweise im Falle eines Staatsbankrotts ab.] Abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Umgang des Staates mit seinen unbezahlten Rechnungen dürften aber auch in beträchtlichem Umfang Darlehen an Private für die Banken ausfallen. Bereits jetzt sind wohl mindestens 40 Prozent der Kredite notleidend (notleidend bedeutet hier, dass Zahlungsrückstände von über 90 Tagen vorliegen). [Siehe Aussage Yanis Varoufakis‘ bei Eurogruppentreffen. Dies deckt sich mit Angaben z.B. der Piraeus Bank, welche zum 31.03. den Anteil der Darlehen, die über 90 Tage im Zahlungsverzug waren, mit 38,9 Prozent bezifferte.] Somit wären hier Zahlungsausfälle von 85 Milliarden Euro oder auch deutlich mehr möglich. Diesen Verlusten stünden nach Abschreibung der Staatspapiere noch ein Eigenkapital von 6,480 Milliarden sowie Verlustrückstellungen von 40,498 Milliarden gegenüber. Leider lässt sich aus der aggregierten Bilanz nicht ablesen, inwieweit das Fremdkapital aus von der Haftungskaskade ausgenommenen Positionen wie besicherten Anleihen oder Einlagen unter 100.000 Euro besteht. Damit ist auch die maximale Tragfähigkeit nicht sicher ableitbar. Die Ratingagentur Fitch stellte für die vier größten Banken des Landes am 29. Juni aber bereits einen teilweisen Zahlungsausfall fest, da diese ohne die eingeführten Kapitalverkehrskontrollen [So sind z.B. Barabhebungen für jeden Griechen nur bis zu einem Limit von 60 Euro pro Tag gestattet.] ihren Verpflichtungen wohl nicht hätten nachkommen können.

Die Beschränkungen sind Konsequenz des anhaltenden Kapitalabzugs: von November 2014 bis April 2015 zogen ausländische große Finanzinstitute 28,89 Milliarden ab, während die anderen Akteure ihre Depositen und Repos um 38,662 Milliarden Euro verringerten. Dies wurde bislang durch die griechische Zentralbank ausgeglichen, indem sie im gleichen Zeitraum zusätzliche 67,988 Milliarden zur Verfügung stellte. Dabei war die Bank of Greece auf eine erhebliche Ausweitung des Target2-Defizits angewiesen. Da griechische Staatsanleihen jedoch seit Februar nicht mehr regulär notenbankfähig waren, konnte die Finanzierung dieser Positionen nur über eine regelmäßige Ausweitung der sogenannten ELA (Notfallliquiditätshilfe) erfolgen. Die EZB beschloss im Licht des vorläufigen Scheiterns der Verhandlungen jedoch die Obergrenze für diese bei nunmehr knapp 90 Milliarden zu belassen. Da sich mit den wachsenden Zweifeln an einem Verbleib Griechenlands im Euro [In diesem Fall trügen Kontoinhaber nicht nur Bail-In-Risiken, sondern wären auch der Gefahr einer dramatischen Abwertung ausgesetzt. Dies würde auch eine Umverteilung von Einlageeignern hin zu den Profiteuren Drachmen-finanzierter Staatsausgaben darstellen.] die Flucht aus den Bankeinlagen noch einmal beschleunigte, wurden nun Kapitalverkehrsbeschränkungen eingeführt.

Die griechische Zentralbank müsste im Staatsbankrottfall 12,429 Milliarden Euro direkt abschreiben. Dies allein würde ihre Kapitaldeckung weit überschreiten. Weitere Verlustquellen wären als Sicherheit hinterlegte vom griechischen Staat garantierte Papiere und anderweitig notleidend werdende Aktiva. Eine Quantifizierung der möglichen Verluste ist allerdings schwierig, da die Modalitäten für Sicherheiten, die im Zuge der ELA angenommen wurden, nicht öffentlich sind.

Eine fortgesetzte finanzielle Krise in Griechenland würde auch Folgen für den Außenhandel haben. Im Jahr 2014 machten Importe circa 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, während sich die Exporte auf etwa 15 Prozent beliefen. Es war also ein Handelsdefizit von 20 Milliarden Euro zu verzeichnen. Die griechische Statistikbehörde weist für die ersten vier Monate in 2015 Handelsdefizite von durchschnittlich je 1,6 Milliarden aus. In fast allen von Eurostat differenzierten Branchen (Ausnahme: „Sonstige“) übersteigen die Einfuhren die Ausfuhren. Sollte Griechenland längere Zeit vom internationalen Zahlungssystem abgeschnitten sein, wären also massive Einschränkungen bei den Importen zu erwarten.