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IW-Reformbarometer: Rückschlag durch Ausbildungsplatzabgabe

Die Bundesregierung ist mit viel Reform-Elan ins neue Jahr gestartet. Pluspunkte brachten die Rentenreform sowie die Pläne zur nachgelagerten Besteuerung der Alterseinkünfte. Doch das Klima ist derzeit wechselhaft. Im Frühjahr bestimmt ein Tiefausläufer namens Ausbildungsplatzabgabe die politische Wetterlage.

IW-Reformbarometer Ausbildungsplatzabgabe
IW-Reformbarometer: Rückschlag durch Ausbildungsplatzabgabe
Köln, 15. April 2004 (iw) - Die Agenda 2010 wurde dieser Tage ein Jahr alt, doch viel zu feiern gab es nicht. Der Bundeskanzler hatte zwar vor Weihnachten noch unbeugsamen Reformwillen bewiesen und damit den Unmut zahlreicher Parteigenossen auf sich gezogen. Doch seine jüngste Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag fiel im Vergleich zur Ankündigung der Agenda 2010 eher handzahm aus. Sie wimmelte vor Allgemeinplätzen zu den Themen Bildung, Familie und Innovationen. Für einen Anstieg des IWReformbarometers genügte das nicht.

Der Indikator
Der gemeinsame Indikator des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und des Magazins Wirtschaftswoche misst seit September 2002 die Veränderung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland. In die Auswertung gehen Kabinettsbeschlüsse, Gesetzentwürfe, Änderungen während des Gesetzgebungsprozesses sowie verabschiedete Gesetze ein. Nach einem Zwischenhoch zu Jahresbeginn befindet sich der Punktestand inzwischen wieder auf dem absteigenden Ast:
Das IW-Reformbarometer sackte von Januar bis März 2004 um mehr als 2 Zähler auf 107,1 Punkte ab. Was sich in den vergangenen drei Monaten auf der Reformbühne im Einzelnen abgespielt hat.
1. Soziales
Mitte März verabschiedete der Bundestag die drängende Rentenreform. Sie tritt voraussichtlich am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft und hat zum Ziel, den Anstieg der Beitragssätze zu dämpfen. Nach den Plänen der Regierung sollen sie bis 2020 nicht über 20 Prozent klettern, bis 2030 nicht über 22 Prozent. Täte sich nichts, würden es annähernd 24 Prozent werden. Der Einzelindex Sozialpolitik machte durch die Rentenreform im Januar einen Sprung um fast 13 Punkte auf einen Wert von 111,2 und verharrt seitdem auf diesem Niveau.

Nachhaltigkeitsfaktor ist Kern der Reform
Der Kern der Reform ist der Nachhaltigkeitsfaktor, der das Rentensystem gegen eine alternde und schrumpfende Bevölkerung wappnen soll. Der Faktor bewirkt, dass die Renten weniger stark ansteigen, wenn sich das Verhältnis von Ruheständlern zu Beitragszahlern verschlechtert. Zudem werden beitragsfreie Ausbildungszeiten den Rentenanspruch künftig nicht mehr erhöhen.

Mindestrente von 46 Prozent
Gerade noch abgewendet werden konnte die in den parlamentarischen Beratungen diskutierte Mindestrente von 46 Prozent des Einkommens vor Steuern. Ein ergänzender Passus stellt diese Sicherungsklausel nun unter den Vorbehalt, dass der Beitragssatz stabil bleibt. Sollte das nicht möglich sein, kann von 2008 an die Regelaltersgrenze für den Renteneintritt angehoben werden. Um die Lohnzusatzkosten zu senken, kommt dieser Schritt allerdings zu spät. Die Reformen rund um die Rente schlagen sich nicht allein im Politikbereich Soziales nieder, die Pläne tangieren auch die beiden anderen Zukunftsbaustellen, die das IW für das Reformbarometer unter die Lupe nimmt.
2. Steuern und Finanzen
Die Bundesregierung hat sich dazu entschlossen, die Einkommen aller Rentner analog den Beamtenpensionen nachgelagert zu besteuern. Bisher bleibt die gesetzliche Rente de facto von der Steuer verschont. Der Übergang soll schrittweise von 2005 bis 2040 erfolgen. Das heißt, die Vorsorgeaufwendungen können verstärkt vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden – ab 2025 sind sie komplett steuerbefreit –, während ein immer größerer Teil der ausgezahlten Renten der Steuerpflicht unterliegt.

Wachstumsimpulse durch nachgelagerte Besteuerung der Renten
Diese Umstellung erweckt den Eindruck einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Finanzbeamte – und doch sendet sie klare Wachstumsimpulse aus: Der Staat zapft einen geringeren Teil des Einkommens der Bundesbürger ab, die Renten werden aufgrund des progressiven Steuertarifs schwächer besteuert als die im Schnitt höheren Erwerbseinkünfte. Schon im kommenden Jahr wird die steuerliche Entlastung 1 Milliarde Euro betragen. Bis 2010 klettert sie auf satte 4,3 Milliarden Euro. Positiv zu sehen ist die Maßnahme auch deshalb, weil sie dafür sorgt, dass sich Mehrarbeit bezahlt macht –und der Keil zwischen Brutto- und Nettoeinkommen sich verkleinert. Zugleich vergrößert sich damit der finanzielle Spielraum der Bürger für die private Altersvorsorge.

Unterm Strich keine Veränderung
Das Reformbarometer honorierte den Übergang auf die nachgelagerte Rentenbesteuerung im Januar 2004 mit einem Sprung des Teilindikators zur Steuer- und Finanzpolitik von 91,4 auf 100 Punkte. Damit hat sich jedoch seit der Bundestagswahl im September 2002 unterm Strich nichts getan; auch der Februar und März brachten zuletzt keine Bewegung mehr ins Finanzressort. Zudem muss das Alterseinkünftegesetz im Gesetzgebungsprozess noch so manche Klippe meistern. Den Bundestag passiert das Werk voraussichtlich Ende April, und auch der oppositionsdominierte Bundesrat muss noch sein Plazet geben.

3. Arbeitsmarkt
Positive Signale gab es dank der Rentenreform im Januar. Ab 2006 wird es erst später möglich sein, wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit eine vorgezogene Rente zu erhalten. Die dafür geltende Altersgrenze steigt bis 2008 schrittweise von 60 auf 63 Jahre. Damit wird sich der tatsächliche Renteneintritt im Schnitt nach hinten verschieben. Die Rentenkassen werden entlastet und der Arbeitskräftepool vergrößert sich. Der Arbeitsmarktindex verzeichnete daher im Januar ein Plus von gut drei Punkten.

Tiefläufer Ausbildungsplatzabgabe
Ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts dessen, was die Bundesregierung durch die Ausbildungsplatzabgabe zu verspielen droht. Den aktuellen Plänen zufolge wird sie immer dann fällig werden, wenn das Lehrstellenangebot am 30. September eines Jahres nicht mindestens 15 Prozent über der Zahl der Bewerber liegt. Zu entrichten ist die Abgabe von allen privaten und öffentlichen Arbeitgebern mit mehr als zehn sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, in deren Belegschaft weniger als 7 Prozent Azubis sind. Das eingenommene Geld soll an all jene Betriebe verteilt werden, deren Ausbildungsquote über der 7-Prozent-Marke liegt. Außerdem werden zusätzliche betriebliche und außerbetriebliche Ausbildungsplätze aus dem neu geschaffenen Fonds bezuschusst.

Bürokratie statt Bildung
Inklusive der Verwaltungskosten wird er ein geschätztes Volumen von bis zu 3,23 Milliarden Euro haben. Allein das ist ein Hinweis darauf, wie viel Bürokratie vonnöten sein wird, um den Umverteilungsapparat am Laufen zu halten. Das Lehrstellenproblem wird dadurch sicher nicht gelöst. Die Befürworter der Abgabe verkennen völlig, dass viele Unternehmen Auszubildende suchen, aber nicht fündig werden, weil die Schulabgänger auch einfachen Anforderungen nicht entsprechen. Das Problem liegt auf Seiten des Bildungssystems, wie seit der PISA-Studie hinlänglich bekannt sein dürfte. Die jüngsten Entwicklungen ließen das Arbeitsmarktbarometer im März um knapp 7 Punkte auf 109,8 Zähler abstürzen – der stärkste Einbruch seit dem Beginn der Beobachtungen.

Voraussichtliches Scheitern des Optionsgesetzes
Voraussichtlich scheitern und damit für das IW-Barometer folgenlos bleiben dürfte das so genannte Optionsgesetz. Eigentlich sollten die Gemeinden ein Wahlrecht erhalten, ob sie sich selbst um Langzeitarbeitslose kümmern wollen, die das künftige Arbeitslosengeld (ALG) II erhalten, oder ob sie dies weiterhin den Arbeitsagenturen des Bundes überlassen wollen. Stattdessen werden die Ex-Arbeitsämter und die Sozialämter nun wohl Arbeitsgemeinschaften bilden müssen, um das ALG II zu verwalten. Die Interessen der Arbeitslosen drohen, im zu befürchtenden Kompetenzgerangel der Behörden zerrieben zu werden. In der näheren Zukunft hält die Politik kaum noch ein Zuckerl für die Wirtschaftsentwicklung parat. Die Reformagenda für 2004 ist –auch wegen des Superwahljahrs ausgesprochen sparsam bestückt.

Die ausführlichen Auswertungen des IW-Reformbarometers sind abrufbar unter: www.iwkoeln.de