Wirtschaftsweisen: Sachverständigenrat korrigiert »Konjunkturprognose 2017/2018«
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sein »Konjunkturprognose 2017/2018« korrigiert. Die Wachstumsaussichten für das Jahr 2017 wurden leicht nach oben revidiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird nach Einschätzung des Rates um 1,4 Prozent im Jahr 2017 und 1,6 Prozent im Jahr 2018 wachsen.
Wirtschaftsweisen: Sachverständigenrat korrigiert »Konjunkturprognose 2017/2018« vor
Wiesbaden, 27.03.2017 (sr) - Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft setzt sich weiter fort. Der Sachverständigenrat hat seine Konjunkturprognose aktualisiert und die Prognose für das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) leicht nach oben revidiert. Für das laufende Jahr 2017 erwartet er nun einen Anstieg um 1,4 Prozent. Bereinigt um den negativen Kalendereffekt aufgrund der geringeren Zahl an Arbeitstagen in diesem Jahr entspricht dies einer kalenderbereinigten Zuwachsrate von 1,7 Prozent. Für das Jahr 2018 wird ein Plus von 1,6 Prozent prognostiziert (kalenderbereinigt ebenfalls 1,6 Prozent). Die Wachstumsprognosen für die Jahre 2017 und 2018 liegen oberhalb des mittelfristigen Potenzialwachstums: Die Überauslastung der Produktionskapazitäten nimmt damit zu.
Zu dieser Entwicklung tragen die weiterhin gute Lage am deutschen Arbeitsmarkt, ein leicht positiverer Ausblick für die internationale Konjunktur, eine prozyklische deutsche Fiskalpolitik sowie die unverändert äußerst expansive Geldpolitik der EZB bei. Angesichts der makroökonomischen Entwicklung im Euro-Raum ist diese Geldpolitik nach wie vor zu expansiv, und die daraus erwachsenden Risiken, etwa für die Finanzmarktstabilität, nehmen weiter zu. Die EZB sollte daher die Beendigung des Aufkaufprogramms so bald wie möglich einleiten.
Die in jüngster Zeit verstärkt geäußerte Kritik am hohen deutschen Leistungsbilanzüberschuss sowie die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen hält der Sachverständigenrat für nicht stichhaltig. Statt darauf abzuzielen, den Leistungsbilanzsaldo um seiner selbst willen zu vermindern, sollte die Wirtschaftspolitik durch angebotsseitige Maßnahmen Investitionsanreize im Inland setzen und dadurch das Produktionspotenzial stärken. Peter Bofinger, kann sich nicht der Auffassung der Mehrheit anschließen, dass der hohe Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz nicht als ein gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht anzusehen sei. Auf Seite zwei des Beitrags stellt WiWi-TReFF seine Sichtweise dazu vor.
Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss ist zwar hoch, doch signalisiert dies kein makroökonomisches Ungleichgewicht, sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Christoph M. Schmidt. Die Bundesregierung sollte die Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland erhöhen und so dazu beitragen, dass sich dieser Saldo zurückbildet.
Dem Sachverständigenrat gehören aktuell folgende Mitglieder an:
- Prof. Dr. Christoph M. Schmidt
- Prof. Dr. Peter Bofinger
- Prof. Dr. Lars P. Feld
- Prof. Volker Wieland, Ph.D.
- Prof. Dr. Isabel Schnabel
Download Konjunkturprognose für 2017/2018 [PDF, 30 Seiten, 905 KB]
https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/Konjunkturprognosen/2017/2017_03_20.pdf
Bildquelle: Sachverständigenrat
Peter Bofinger: Eine andere Meinung
Ein Mitglied des Rates, Peter Bofinger, kann sich nicht der Auffassung der Mehrheit anschließen, dass der hohe Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz nicht als ein gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht anzusehen sei.
Zusammenfassung seiner Ausführungen
Grundsätzlich besagt ein Leistungsbilanzüberschuss, dass das in einem Land erzielte gesamtwirtschaftliche Einkommen, also das inländische Angebot, höher ist als die inländische Nachfrage. Ein Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von 8,3 % des Bruttoinlandsprodukts bedeutet somit, dass in dieser Höhe eine inländische Nachfragelücke besteht, die durch ausländische Nachfrage kompensiert wird. Aus einer nationalen Sicht mag man das als unproblematisch ansehen. Dies entspricht der Argumentation der Mehrheit, wonach in Deutschland bei einem hohen Beschäftigungsstand und einer mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank kompatiblen Preisentwicklung die Kapazitäten mehr als ausgelastet sind.
Diese Sichtweise ist jedoch verkürzt. Sie bleibt hinter dem im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft und im Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung formulierten Zielkatalog zurück. Dort wird das außenwirtschaftliche Gleichgewicht als ein Ziel genannt, das neben den rein binnenwirtschaftlichen Zielen (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand sowie stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum) als eigenständiges Kriterium für die Prüfung des Vorliegens eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts heranzuziehen ist.
Dafür gibt es gute Gründe. Aus einer globalen Perspektive heraus führt das Überschusssparen in einem Land mit einem hohen Leistungsbilanzüberschuss zu einem globalen Nachfragedefizit, das für sich genommen zu einer Kontraktion der Weltwirtschaft führt. Wenn sich dies in den vergangenen Jahren nicht materialisiert hat, liegt es daran, dass in vielen großen Ländern die Staaten bereit gewesen sind, über Jahre hinweg hohe Budgetdefizite einzugehen. Saldenmechanisch wird der deutsche Leistungsbilanzüberschuss im Aggregat zumindest teilweise durch Budgetdefizite in den Vereinigten Staaten, im Vereinigten Königreich und in Frankreich ermöglicht, also Ländern gegenüber denen Deutschland besonders hohe bilaterale Leistungsbilanzüberschüsse aufweist. Wenn man wie die Mehrheit Haushaltsdefizite grundsätzlich sehr kritisch sieht, sollte man einen Leistungsbilanzüberschuss, der auf diese Weise zustande gekommen ist, nicht als Gleichgewicht ansehen.
So gesehen ist die Kritik am deutschen Leistungsbilanzüberschuss durchaus berechtigt. Anders als von der Mehrheit diagnostiziert, ist dieser Überschuss überwiegend nicht auf zeitlich begrenzt wirkende Faktoren zurückzuführen. Zu einem sehr großen Teil kann der ausgeprägte Anstieg des Saldos im vergangenen Jahrzehnt auf die starke Lohnzurückhaltung insbesondere in den Jahren 2004 bis 2007 zurückgeführt werden. Sie hat die inländische Nachfrage und vor allem den privaten Verbrauch erheblich gebremst. ABBILDUNG 10 Eine anhaltende, allerdings nicht ganz so ausgeprägte, Lohnzurückhaltung lässt sich auch für die Jahre 2013 bis 2016 beobachten, in denen die Lohnstückkosten pro Stunde durchweg hinter dem Zielwert der EZB für die Preisentwicklung zurückgeblieben sind. Die hohe Bedeutung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit für die Leistungsbilanz wird durch Berechnungen des Sachverständigenrates gestützt (JG 2016 Ziffer 239).
Die Entwicklung der Lohnkosten ist nur bedingt durch die Politik zu steuern, sie verläuft aber nicht völlig unabhängig davon. So wurde mit der Verschiebung der Parität in den Beiträgen zur Krankenversicherung zu Lasten der Arbeitnehmer im Jahr 2005 ein gezielter wirtschaftspolitischer Beitrag zur Senkung der Lohnstückkosten vorgenommen. Im Jahr 2007 wurde die Mehrwertsteuer erhöht und ein Teil der Einnahmen als Bundeszuschuss der Arbeitslosenversicherung zugeführt, die deshalb die Beiträge zusätzlich senken konnte. Man bezeichnet dies als interne Abwertung. Zudem ist die öffentliche Hand der größte Arbeitgeber in Deutschland. Wenn wie in der gerade abgeschlossenen Tarifrunde Lohnerhöhungen vereinbart wurden, die mit 2,0 % nicht einmal einen Inflationsausgleich ermöglichen, wird damit ein falsches Signal gesetzt.
Zudem könnte die deutsche Wirtschaftspolitik durch die Abkehr von einer Politik der Budgetüberschüsse einen direkten Beitrag zum Abbau des Leistungsbilanzüberschusses leisten. Für einen Finanzierungsüberschuss von fast 24 Mrd Euro im Jahr 2016 gäbe es weitaus sinnvollere Verwendungsmöglichkeiten als die Schuldentilgung, insbesondere im Bildungs- und Forschungsbereich.