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Brexit-Folgen: Unternehmensinvestitionen sinken durch Unsicherheit

Der kommende Ausstieg von Großbritannien aus der Europäischen Union bringt Unsicherheiten in der europäischen und deutschen Wirtschaft mit sich. Insbesondere sind Unternehmensinvestitionen vom Brexit betroffen. Die Politik sollte daher stärkere Investitionsanreize setzen. Zu diesem Fazit kommen Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Typische Straße in London mit britischen Nationalflaggen über der Straße und Eingang zur Underground (U-Bahn).

Brexit-Folgen: Unternehmensinvestitionen sinken durch Unsicherheit
11.08.2016, Berlin (diw) - Forscher des Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigen, dass die durch den Brexit ausgelöste wirtschaftliche Unsicherheit der europäischen und deutschen Wirtschaft in beträchtlichem Maße schaden könnte und wohl auch zwei Jahre später noch bemerkbar sein wird. Die deutsche Wirtschaft wird vor allem von sinkenden Unternehmensinvestitionen betroffen, daher sollte die Politik auch stärkere Investitionsanreize setzen.

Brexit-Folgen: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland sinkt um 0,4 Prozent
Unsicherheit spielt in der Wirtschaft nach dem Brexit eine große Rolle. Doch was hat es genau für Folgen, wenn sich auf den Finanzmärkten, in Unternehmen und unter Konsumentinnen und Konsumenten mit einem Schlag große wirtschaftliche Unsicherheit breitmacht? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) ist dieser Frage am Beispiel des Brexit-Votums nachgegangen und hat mithilfe einer kontrafaktischen Analyse den Effekt des mit dem Brexit-Votum induzierten Unsicherheitsschocks isoliert. Das Ergebnis: Der Effekt des überraschenden Brexit wirkt auch Monate später noch auf Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenquote und Verbraucherpreisindex. Insgesamt wird der Modellrechnung zufolge das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euroraum durch diesen Schock acht Monate später rund 0,2 Prozent niedriger liegen. Die deutsche Wirtschaft ist durch ihre große Offenheit und Abhängigkeit vom Handel sogar noch stärker betroffen. Hier wird das BIP um 0,4 Prozent nach unten gedrückt. Selbst nach zwei Jahren wird das Bruttoinlandsprodukt immer noch unter dem Niveau sein, das es ohne diesen Unsicherheitsschock erreicht hätte, lautet das Fazit der Experten.

Die DIW-Makroökonomen Malte Rieth, Claus Michelsen und Michele Piffer haben sich in ihrer Analyse allein auf den Unsicherheitsschock konzentriert, der sich durch die Brexit-Entscheidung der Wählerinnen und Wähler am 23. Juni ergeben hat: „Wir haben versucht, genau diesen einzelnen Aspekt zu quantifizieren. Dazu wurden alle andere Faktoren, die die Volkswirtschaften im Euroraum und Deutschland beeinflussen, konstant gehalten.“

Brexit-Folgen: DAX und EURO STOXX 50 werden als Unsicherheitsmaß einbezogen
Welche Folgen hat der Brexit auf das deutsche Wirtschaftswachstum? Als Unsicherheitsmaß verwendeten die Ökonomen Volatilitätsindizes für den Deutschen Aktien-Index (DAX) und den EURO STOXX 50. Beide Indizes verzeichneten am Morgen nach dem Brexit-Entscheid hohe Ausschläge. Mit einer Konjunkturprognose sei die Rechnung nicht zu vergleichen, unterstreichen die Wissenschaftler.

Die hiesige Wirtschaftsleistung wird vor allem durch einen Rückgang der Investitionstätigkeit gedämpft, die in Deutschland um ein Prozent sinken könnte. „Die deutsche Wirtschaft leidet unter der Unsicherheit stärker als der Euroraum insgesamt, da unser verarbeitende Gewerbe hierzulande sehr exportorientiert ist und die schwächere Nachfrage aus dem Vereinigten Königreich unmittelbar zu spüren bekommt“, erklärt Malte Rieth.

Brexit-Folgen: Investitionen in Maschinen sinken am stärksten
Auch auf die Investitionstätigkeit im gesamten Euroraum hat der Schock nachhaltige Auswirkungen: Sie fällt innerhalb eines Jahres um 0,7 Prozent. Die Talsohle wird in den meisten Ländern nach sechs bis zehn Monaten erreicht sein. In Deutschland reagieren die Investitionen langsamer, aber auch stärker – die negativen Auswirkungen sind mit einem Rückgang der Investitionstätigkeit nach einem Jahr am deutlichsten. Die Investitionen in Maschinen gehen dabei am stärksten zurück. Auch in Metallerzeugnisse und elektronische Anlangen stecken die Unternehmen deutlich weniger Geld. Kaum betroffen sind hingegen Investitionen in Gebäude sowie in Forschung und Entwicklung. Diese sind eher langfristig ausgelegt und reagieren weniger auf den Anstieg der Unsicherheit.

Auch auf andere Wirtschaftsbereiche wirkt sich die Unsicherheit aus: „Die Arbeitslosenquote dürfte durch den Brexit nicht dramatisch, aber spürbar höher sein als ohne einen EU-Austritt Großbritanniens. Die Entwicklung der Konsumentenpreise wird durch den Brexit voraussichtlich weiterhin zu schwach sein“, so Rieth. Das sei angesichts der bereits niedrigen Inflation besonders bedenklich.

Um die wirtschaftliche Unsicherheit von Unternehmerinnen und Unternehmern zu reduzieren, sollte das künftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union möglichst rasch geklärt werden. Nach Ansicht der Studienautoren sollte die Politik zudem erwägen, Unternehmensinvestitionen – wie von der Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland bereits im Jahr 2015 vorgeschlagen – direkt zu fördern. Außerdem müsste der Staat mehr investieren, da dies eine wichtige Voraussetzung für mehr private Investitionen ist.

Download DIW Wochenbericht 32+33 [PDF, 16 Seiten – 778 KB]
Wirtschaftliche Unsicherheiten durch Brexit-Referendum

Experten-Interview: Investitionen in Maschinen gehen durch Brexit am stärksten zurück
Im Experten-Interview beantwortet Dr. Malte Rieth, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Makroökonomie am Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sieben Fragen zu den Unsicherheiten, die vom Brexit-Referendum ausgehen. Sein Fazit lautet: "Investitionen in Maschinen dürften durch die Unsicherheit am stärksten zurückgehen."

1. Herr Rieth, Sie haben untersucht, welche Auswirkungen, die wirtschaftliche Unsicherheit haben könnte, die durch das britische Votum zum Austritt aus der EU (Brexit) hervorgerufen wurde. Wie haben Sie die wirtschaftliche Unsicherheit gemessen?
Wir haben uns einen ganz speziellen Aspekt des Brexits angeschaut, nämlich nur die Unsicherheit, die sich dadurch ergeben hat, dass die Britinnen und Briten in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni 2016 die unerwartete Entscheidung getroffen haben, die Europäische Union zu verlassen. Wir haben versucht, genau diesen einzelnen Aspekt in einer kontrafaktischen Analyse zu quantifizieren. Das heißt, dass wir versucht haben, alle anderen Faktoren, die die Volkswirtschaften im Euroraum oder in Deutschland beeinflussen, konstant zu halten und uns nur diesen einzelnen Aspekt der Unsicherheitsveränderungen anzuschauen. Dabei geht es nur um den Aspekt, der durch diese Entscheidung beeinflusst wurde und nicht um das, was infolge dessen noch alles passiert ist, etwa dass der Premierminister zurückgetreten ist oder die Reaktion der europäischen Partner. Auch ist die Analyse nicht zu vergleichen mit einer Prognose.

2. Welche Folgen hat die Unsicherheit für die deutsche und die europäische Wirtschaft?
Wir sehen, dass die Unsicherheit zu negativen Effekten führt, sowohl für den Euroraum als auch für Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt geht für den Euroraum im Verlauf der nächsten acht Monate um rund ein Viertelprozentpunkt zurück. Für Deutschland sind die Effekte etwas größer, aber in ähnlicher Größenordnung.

3. In welchen wirtschaftlichen Bereichen ist Deutschland besonders betroffen?
In Deutschland sind vor allen Dingen die Investitionen betroffen. Das ist eine Kategorie, die besonders stark unter Unsicherheit leidet, betroffen sind hier vor allen Dingen die Investitionen in Maschinen. Hier dürfte es zu den stärksten Rückgängen kommen.

4. Wie wirkt sich die durch den Brexit hervorgerufene Unsicherheit auf den Arbeitsmarkt, den Wertpapierhandel und die Verbraucherpreise aus?
Auch hier dürfte sich die Unsicherheit negativ auswirken. Es dürfte zu einer Erhöhung der Arbeitslosenquote kommen, nicht dramatisch, aber spürbar. Auch die Konsumentenpreise dürften fallen, weil die wirtschaftliche Aktivität zurückgeht. Das ist natürlich gerade im gegenwärtigen Umfeld besonders schlecht, da wir im Euroraum sowieso schon unter niedrigen Inflationsraten leiden. Auch für die Aktienmärkte dürfte die Unsicherheit erst einmal zu einem Rückgang der Kurse führen.

5. Wie lang werden die durch die Unsicherheit hervorgerufenen Effekte anhalten?
Laut des geschätzten Makromodells, das ja auf historischen Zusammenhängen zwischen Unsicherheit und den makroökonomischen Variablen beruht, dürfte etwa nach acht bis zehn Monaten der Tiefpunkt erreicht sein. Danach dürfte es langsam wieder aufwärtsgehen. Aber selbst nach zwei Jahren wird der Brexit das Bruttoinlandsprodukt bremsen und tendenziell immer noch unter dem Niveau sein, das es ohne diesen Unsicherheitsschock erreicht hätte.

6. Würde ein schneller Ausstieg Großbritanniens aus der EU die Unsicherheit vermindern?
Ja, insgesamt würde das wahrscheinlich die Unsicherheit vermindern, aber es kommt auf die Ausgestaltung des Ausstiegs an. Natürlich ist die Unsicherheit nur ein Faktor. Wenn es nur darum ginge, die Unsicherheit zu vermindern, könnte man natürlich schnell agieren, aber es gibt auch andere Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Zum Beispiel kann es deutlich wichtiger sein, für beide Seiten vorteilhafte Verträge auszuhandeln, als nur die Unsicherheit zu reduzieren.

7. Wie ließe sich der Unsicherheitsschock abfedern?
Unsere Ergebnisse zeigen, dass besonders die Investitionen negativ betroffen sind. Insofern wäre es besonders hilfreich, diese wieder zu stärken, sowohl im Euroraum als auch in Deutschland. Das könnte dadurch geschehen, dass der Staat sich hier stärker engagiert und zum Beispiel private Investitionen fördert.