Fenster schließen

Druckansicht http://www.wiwi-treff.de/Wirtschafts-News/Herbstgutachten-2006-der-sechs-fuehrenden-Wirtschaftsinstitute/Artikel-3161/drucken

WiWi-NewsWirtschaftsinstitute

Herbstgutachten 2006 der sechs führenden Wirtschaftsinstitute

Der Aufschwung der Weltwirtschaft hat sich etwas verlangsamt. Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft dagegen hat sich erheblich verstärkt. Bei weiterhin kräftig steigenden Exporten wird er zunehmend von der Inlandsnachfrage getragen.

Ein herbstlicher Mischwald.

Herbstgutachten 2006 der sechs führenden deutschen Wirtschaftsinstitute
Berlin, 19.10.2006 (diw) - Der Aufschwung der Weltwirtschaft hält im Herbst 2006 weiterhin an, er hat sich jedoch im Verlauf des Jahres etwas verlangsamt. Ausschlaggebend dafür war, dass die konjunkturelle Dynamik in den USA, und in geringerem Maße auch in Japan, nachließ. Dies wurde durch eine Beschleunigung der Expansion im Euroraum und in Großbritannien nicht aufgewogen. In den Schwellenländern blieb der Produktionsanstieg kräftig; dabei hat er sich in China im ersten Halbjahr noch einmal verstärkt, in den übrigen ostasiatischen Schwellenländern insgesamt eher verlangsamt. Die Unterschiede in der Dynamik zwischen den Industrieländern sind überwiegend dadurch bedingt, dass sich die Volkswirtschaften in verschiedenen Phasen des konjunkturellen Zyklus befinden.

Die Rohstoffpreise stiegen in den ersten Monaten 2006 auch aufgrund der lebhaften Weltkonjunktur weiter stark. Die Preisbewegung auf den Rohstoffmärkten schlug auf die Verbraucherpreise durch; die Lohnkosten erhöhten sich in den Industrieländern zumeist moderat. Die Expansion der Weltwirtschaft wird sich im Prognosezeitraum etwas abschwächen, aber im längerfristigen Vergleich kräftig bleiben. Insgesamt wird das reale Bruttoinlandsprodukt der Welt – in der Abgrenzung der Gemeinschaftsdiagnose – im Jahr 2006 um 3,7 % und im Jahr 2007 um 3,1 % zunehmen. Der Welthandel expandiert in diesem Jahr um 8,5 % und im Jahr 2007 um reichlich 7 %. Der Anstieg der Preise schwächt sich etwas ab.
 

Herbstgutachten 2006 - Euroraum
Die Wirtschaft des Euroraums befindet sich im Aufschwung. Der Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts hat sich vor allem in den Ländern erheblich beschleunigt, die, wie etwa Deutschland und Italien, in den Vorjahren unterdurchschnittliche Zuwächse verzeichneten. Die wesentlichen Impulse kamen von der Binnennachfrage, da insbesondere die Anlageinvestitionen kräftig ausgeweitet wurden. Der private Konsum legte leicht beschleunigt zu; die Bauinvestitionen expandierten spürbar. Auch der Außenbeitrag erhöhte sich, da die Exporte deutlich stärker als die Importe stiegen. Die EZB hat vor dem Hintergrund der anziehenden Konjunktur ihren geldpolitischen Kurs gestrafft, um zunehmenden Inflationsrisiken rechtzeitig entgegenzuwirken. Sie wird ihren maßgeblichen Leitzins bis zum Ende des laufenden Jahres auf 3,5 % anheben und im kommenden Jahr auf diesem Niveau belassen. Dieser Satz dürfte in etwa dem neutralen Zinsniveau entsprechen. Die Lage der öffentlichen Haushalte im Euroraum hat sich leicht verbessert.

Im kommenden Jahr wird die wirtschaftliche Expansion kräftig bleiben, sich jedoch infolge der nachlassenden expansiven Wirkung der Geldpolitik und des sich abschwächenden Booms der Weltwirtschaft etwas verlangsamen. Das reale Bruttoinlandsprodukt im Euroraum wird im Jahr 2007 um 2,1 % zunehmen, nach 2,6 % in diesem Jahr. Die Inflationsrate wird im Jahr 2006 bei 2,2 % und im Jahr 2007 bei 2,1 % liegen.

Herbstgutachten 2006 - Deutschland
Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft hat sich in diesem Jahr erheblich verstärkt. Bei weiterhin kräftig steigenden Exporten wird er zunehmend von der Inlandsnachfrage getragen. Angesichts der anhaltend kräftigen Expansion der Weltwirtwirtschaft wird die Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen in diesem Jahr um 10 % steigen. Die weiter verbesserten Absatz- und Ertragserwartungen der Unternehmen und die gestiegene Kapazitätsauslastung führen zu einer Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen um knapp 7 %. Die Bauinvestitionen steigen nach einem zehn Jahre währenden Rückgang zum ersten Mal wieder. Der private Konsum erholt sich nur zögerlich, allerdings wird er im zweiten Halbjahr durch Vorzieheffekte angeregt werden. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr um 2,3 % steigen, arbeitstäglich bereinigt sogar um 2,5 %. Das ist die zweithöchste Wachstumsrate während der vergangenen zehn Jahre. Damit ist die Kapazitätsauslastung so deutlich gestiegen, dass die Unternehmen verstärkt Arbeitskräfte nachfragen. Die Zahl der Erwerbstätigen, vor allem auch die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nimmt spürbar zu, und die Arbeitslosenquote geht im Jahresdurchschnitt um etwa einen 3/4 Prozentpunkt auf 10,4 % zurück.

Die Ausgangslage für das kommende Jahr ist damit günstig, und es spricht vieles dafür, dass sich der Aufschwung fortsetzt. Allerdings schwenkt die Finanzpolitik auf einen merklich restriktiven Kurs ein. Per saldo dürfte die strukturelle Defizitquote durch finanzpolitische Maßnahmen im Jahr 2007 um 0,9 Prozentpunkte reduziert werden. Vor diesem Hintergrund besteht erhebliche Unsicherheit darüber, ob der Aufschwung schon so weit gefestigt ist, dass die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung auch im kommenden Jahr steigt. Die Unsicherheit resultiert auch daraus, dass es unterschiedliche Einschätzungen darüber gibt, in welcher Phase des Konjunkturzyklus sich die deutsche Wirtschaft gegenwärtig befindet. Einige der hier vertretenen Institute erwarten, dass die Konjunktur in Deutschland im Jahre 2007 merklich an Tempo verliert. Die Inlandsnachfrage bleibe zwar aufwärtsgerichtet, sie sei aber noch nicht hinreichend gefestigt. Vor allem hätten sich die Einkommensaussichten nicht so weit verbessert, dass mit einem nachhaltigen Anstieg der Beschäftigung und des privaten Konsums zu rechnen sei. Alles in allem werde die gesamtwirtschaftliche Produktion im Verlauf des kommenden Jahres zwar weiter steigen, jedoch nur mit einer Rate, die in etwa dem trendmäßigen Wachstum entspricht.


Herbstgutachten 2006 - Empfehlungen für die Wirtschaftpolitik
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vier Bereiche genannt, wo sie ansetzen will, um die Lage der deutschen Wirtschaft fundamental zu verbessern: Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, die Reform der Unternehmensbesteuerung, die Reform im Gesundheitswesen und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Wenn man hier mit großen Schritten vorankäme, wären die Wachstumsperspektiven und die Aussichten für den Arbeitsmarkt am Ende der Legislaturperiode sicherlich wesentlich günstiger einzuschätzen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Die entscheidende Frage ist daher, ob hier tatsächlich der große Durchbruch bevorsteht. Das Programm der Bundesregierung lässt sich zwar noch nicht endgültig beurteilen, da nicht alle Maßnahmen in diesen vier Bereichen bekannt sind. Die vorliegenden Informationen lassen nach Auffassung der Institute aber erkennen, dass die Vorhaben weit hinter dem zurückbleiben, was zur deutlichen Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen erforderlich wäre.

Bei der Arbeitsmarktpolitik werden von den Parteien der Regierungskoalition Maßnahmen erörtert, welche die Wachstumsaussichten sogar verschlechtern würden. Ein Grund für dieses pessimistische Urteil ist, dass sich die Bundesregierung offenbar nicht dazu durchringen kann, die Eingriffe des Staates dort zurückzuführen, wo der Marktprozess bessere Lösungen liefert, und mehr Eigenverantwortung zuzulassen. Dies zeigt sich exemplarisch an der geplanten Gesundheitsreform. Nach wie vor wird von der Bundesregierung hier eine wesentliche Aufgabe des Staates darin gesehen, die Ausgaben der Privaten bürokratisch zu lenken und durch diverse Eingriffe, wie die Deckelung der Ausgaben und die Fixierung von Preisen, zu begrenzen. Erforderlich wäre hier ein Systemwechsel, der es den Bürgern mehr als bisher überlässt, die Entscheidungen über Art und Umfang der Versicherung selbst zu fällen.