Fenster schließen

Druckansicht http://www.wiwi-treff.de/Wirtschafts-News/Irland-Das-keltische-Wirtschaftswunder/Artikel-2548/drucken

WiWi-NewsIrland

Irland - Das keltische Wirtschaftswunder

Zu Beginn der neunziger Jahre rangierte Irlands Wirtschaft in Europa zusammen mit Portugal und Griechenland ganz unten. Heute ist das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner auf der grünen Insel höher als in Deutschland.

 

Vollbeschäftigung in nur sechs JahrenKöln, 12.10.2005 (iw) - Die Bundestagswahl brachte es zum Vorschein: In der Brust der Deutschen wohnen zwei Seelen. Die eine wünscht sich mutige Reformen, die andere ängstigt sich vor schmerzlichen Einschnitten. Dabei folgt das eine gar nicht zwangsläufig aus dem anderen. Allen Zweiflern sei der Blick ins Ausland, speziell nach Irland empfohlen. Das Land bietet besten Anschauungsunterricht dafür, dass ein ordentliches Wirtschaftswachstum den Lebensstandard der gesamten Bevölkerung zu heben vermag. Zählte die grüne Insel doch Mitte der achtziger Jahre noch zu den Armenhäusern Europas und trägt nun nicht von ungefähr den Spitznamen keltischer Tiger.

 

Irland steigerte seine Wirtschaftsleistung binnen zehn Jahren bis 2004 um satte 86 Prozent. Das sind im Schnitt 6 Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr. In der Europäischen Union nahm das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im selben Zeitraum nur um 25 Prozent zu, in Deutschland sogar nur um 16 Prozent. Mit dem Wirtschaftsboom schmolz die Arbeitslosigkeit dahin. Im vergangenen Jahr betrug die Arbeitslosenquote in Irland nur noch 4 Prozent - 1994 hatte sie noch bei 14 Prozent gelegen. Es ist den Iren damit innerhalb von sechs Jahren gelungen - ausgehend von einer höheren Arbeitslosigkeit als der momentan in Deutschland herrschenden - praktisch Vollbeschäftigung zu erreichen.
 

 

 

Wirtschaftspolitik und DemographieDass es für Irland so gut lief, hat sehr viel damit zu tun, dass die Iren die sich bietenden wirtschaftlichen Chancen beim Schopf zu packen wussten:

 

 

Allerdings leben heute 200.000 Kinder und Jugendliche weniger in Irland als Mitte der achtziger Jahre. Das könnte in Zukunft Probleme mit sich bringen - zurzeit hat es sein Gutes: Das Verhältnis der Erwerbsfähigen zu Kindern und Senioren hat sich beträchtlich zugunsten der arbeitenden Bevölkerung verschoben. Dadurch ist es leichter, das soziale Netz zu finanzieren. Beflügelt hat den wirtschaftlichen Aufschwung der keltischen Raubkatze zudem der Umstand, dass immer mehr Frauen arbeiten und es viele qualifizierte Kräfte aus dem Ausland auf die Insel zog.
 

 

Lohnzurückhaltung und Steuersenkungen
Die Wirtschaftspolitik agierte in dieser Wachstumsphase klug. Zu frisch war noch die schmerzliche Erfahrung aus den achtziger Jahren, als deutlich wurde, dass die Staatsverschuldung mit höheren Steuern nicht in den Griff zu bekommen ist. Daher haben Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften 1987 begonnen, zentrale Abkommen für drei Jahre zuschließen. Im Kern sahen sie vor, den Haushalt zu sanieren, indem Ausgaben gekürzt werden. Zugleich verpflichteten sich die Gewerkschaften zu Lohnzurückhaltung. Im Gegenzug senkte der Staat die Steuern so weit, dass die Nettolöhne trotzdem beträchtlich stiegen.

Während der Hauptaufschwungsphase von 1994 bis 2001 stiegen die Nettolöhne in der Industrie preisbereinigt um 42 Prozent, obwohl es brutto real nur 16 Prozent mehr gab. Das schlug zwei Fliegen mit einer Klappe: Der Standort blieb attraktiv für Investoren und das Arbeitsangebot weitete sich aus.
 


Anti-Armuts-Strategie
Obwohl der Fokus der Wirtschaftspolitik auf der Wettbewerbsfähigkeit lag, hat der keltische Tiger 1997 als erstes euro europäisches Land eine Anti-Armuts-Strategie entwickelt, die eine konkrete Zielvorgabe für die Armutsquote enthielt. Der irische Armutsindikator setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Zum einen werden die zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen betrachtet, zum anderen werden Mängel im Lebensstandard direkt erfasst. Ein solcher Kombi-Indikator spiegelt am besten die Armut nach Definition der Europäischen Union wider. Demnach gilt als arm, wer über so geringe Mittel verfügt, dass er von der Lebensweise ausgeschlossen ist, die im jeweiligen Mitgliedsstaat als Minimum gerade noch hinnehmbar ist. Es genügt also nicht, allein auf die relative Einkommenssituation zu schauen, wie dies die gebräuchlichen Armutsindikatoren tun, sondern es kommt darauf an, ob ein im Verhältnis gesehen niedriges Einkommen auch einen unzureichenden Lebensstandard zur Folge hat.

Der irische Indikator macht die Erfolge bei der Armutsbekämpfung sichtbar. Im Jahr 1994 galten 15 Prozent der Iren als arm, sieben Jahre später, als sich der Boom abzuschwächen begann, waren es gerade noch 5 Prozent. Das ist vor allem eine Folge des enormen Wohlstandsgewinns. Der Median des so genannten bedarfsgewichteten Einkommens, den die Hälfte der Einkommensbezieher über- bzw. unterschreitet, erhöhte sich in den Boomjahren um 62 Prozent. Damit ist der materielle Lebensstandard in weiten Teilen der Bevölkerung enorm gestiegen. Ein Armutsbegriff, der sich ausschließlich an den Einkommensrelationen orientiert, ist daher mit Vorsicht zu genießen. Denn er zeigt nicht, ob und wie sehr sich die Lebenssituation der Armen tatsächlich verändert.