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Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 12

Es wunderte ihn kaum, dass er am Eingang des Parkhauses von zwei uniformierten Polizisten angehalten wurde.

Es wunderte ihn kaum, dass er am Eingang des Parkhauses von zwei uniformierten Polizisten angehalten wurde. Sie hatten anscheinend Anweisung bekommen, jeden Wagen zu kontrollieren. Oder war er ihnen am Ende sogar verdächtig vorgekommen? Jetzt kam es ihm wie ein Riesenglück vor, dass er noch ein Sakko hinten im Wagen hängen gehabt hatte, das er überziehen konnte. Andernfalls hätte er sicher, zugestaubt wie er war, ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Davon war auszugehen. Er versuchte jedenfalls mit den Polizisten ins Gespräch zu kommen. Vielleicht weil er sich auch davon versprach, dass er ihnen wichtige Informationen entlocken konnte.

Ist irgend etwas passiert? Ich meine, dieses Polizeiaufgebot ist doch nicht gerade normal, oder?“ „Im Terminal sieben ist vor ungefähr einer halben Stunde eine Bombe hoch gegangen.“ sagte der ältere von beiden, der auch einen höheren Rang besaß. „Was sagen sie? Eine Bombe? Ist denn irgendwer getötet oder verletzt worden?“ „Bisher hat es wohl vierundvierzig Tote gegeben. Verletzt sind so an die vierundzwanzig. Ich sag ihnen, das muss wahrhaftig ein Killerding gewesen sein, diese Bombe!“ „Was, ja ist denn irgend etwas über die Täter bekannt?“ „Es soll aller Voraussicht nach ein Einzelner sein, auf dessen Konto das ganze Gemetzel hier geht, aber wir tappen bei unseren Ermittlungen bisher im Dunkeln.“ „Na, dann wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg bei ihren Ermittlungen!“

Der jüngere Polizist hatte während der Unterhaltung die Papiere von Philipp geprüft. „Sie heißen Philipp Geiger?“ „Das ist richtig!“ „Sie kommen aus Deutschland und arbeiten hier in New York?“ „Genau, das ist ebenfalls richtig!“ „Was arbeiten Sie hier, wenn ich fragen darf?“ „Ich bin bei der Cymatrix Company.“ „Ah, verstehe, sie sind bei einer der größten Baufirmen New Yorks beschäftigt.“ „Genau.“ „Gut, ich hätte dann keine Fragen mehr, sie dürfen weiter fahren!“ „Danke sehr.“ Philipp setzte den Wagen in Bewegung und fuhr dann in Richtung seiner Wohnung. Das Chaos, das den gesamten New Yorker Flughafen für Stunden zum Erliegen gebracht hatte, schien auf genauso verhängnisvolle Weise vom gesamten Verkehrssystem der Stadt Besitz ergriffen zu haben. Die ganze Innenstadt war verstopft.

In seinem Kopf herrschte ebenfalls ein vollkommenes Wirrwarr. Die Lage war ziemlich vertrackt. Er war ohne dass er darauf Einfluss nehmen konnte zum Spielball der Gewalten geworden. Er brauchte Stunden bis er seine Wohnung erreicht hatte. Doch als er sie endlich betrat, sollte er auch dort keinen Ruhe finden.

Auf allen Kanälen brachten sie das verhängnisvolle Ereignis. Unvorstellbar schien indes wie viele Kameras aufgefahren worden waren und wie viele Perspektivenwechsel die einzelnen Sender herbeizuführen im Stande waren. Die Gesichter des Todes waren allgegenwärtig geworden. Inzwischen war die Zahl der Toten auf sechsundvierzig angestiegen, und zwei weitere Menschen kämpften um ihr Leben. Selbst aus den OP´s flimmerten die Bilder schonungslos hinein in die Wohnzimmer der Metropole.

Die Bilder, die aus dem Fernsehen über Philipp hereinbrachen, waren ihm zwar alle bekannt, zogen ihn aber doch in ihren Bann. Der Schmerz, den er am Anfang, kurz nachdem es direkt vor seinen Augen passiert war, empfand, schien betäubt. Er hatte das Gefühl eine Überdosis genommen zu haben, denn je länger er die Reportagen und Berichte vom Ort des Schreckens auf sich einwirken ließ, um so weniger spürte er jenen Druck seiner Eingeweide. Er zappte weiter, doch es gab kein Entkommen. Das Ereignis schien in kleinste Bestandteile seziert worden zu sein. Hundert oder gar tausend Fragmente weckten den Eindruck, am Ende willkürlich über den Bildschirm zu wandern. Alles war scheinbar beliebig austauschbar, und das zeugte davon, dass es offensichtlich kein Entkommen gab, dass man sich in einem Teufelskreis befand. Ihm war so als sollte die Beliebigkeit der Bilderfolge darauf verweisen, dass er keinen Einfluss darauf hatte, wo er sich selber gerade befand. Ein Umschalten auf einen der anderen Kanäle bedeutete nur so etwas wie eine Phasenverschiebung. Ein Sequenzensprung, bei dem die Richtung nicht mehr zu erkennen war. Ging es vor oder zurück? Wo befand man sich? Das Ereignis war plötzlich losgelöst von Raum und Zeit, weit weg von einem übergeordneten Ordnungsprinzip. Zeigten die Bilder das Attentat direkt im Moment nach der Detonation oder stellten sie die Situation dar, wie sie sich Minuten später zugetragen hatte. Alles war fließend und hatte dennoch den Charakter von Bruchstücken. Der Wechsel auf der Ebene der Perspektiven, der in äußerster Rasanz erfolgte, ließ das Ganze aber auch zum Teil so fern der Realität erscheinen wie ein in seinen schnell wechselnden Handlungsverläufen abgespulter Actionfilm.

Die Schnitte erinnerten an die Machart Hollywoods, doch das Wissen, dass es auf Realem beruhte, löste doch wieder ein Gefühl der Beklemmung und absoluter Hilflosigkeit aus. Sein Empfinden war schließlich geprägt von Widersprüchlichkeit. Denn die Phasenverschiebung fand schließlich auch in seinem Kopf statt. In einem Moment hatte er das Gefühl alles noch einmal zu erleben und im nächsten Moment baute sich in ihm eine erschreckende Distanz zu all dem auf. Er konnte diese Phasen weder steuern, noch war er in der Lage seinen Blick vom Bildschirm abzuwenden. Immer wieder dieselben Bilder durchtränkt von blauen, roten und grell weiß flackernden Lichtern. Immer wieder dasselbe Blut, dieselben Schreie, dieselben von Panik verzehrten Gesichter. Die Bilder hatten eine lähmende Wirkung. Ihm war so als wäre ihm ein Narkotikum injiziert worden, das seinen gesamten Körper in eine Starre versetzte.

Dann plötzlich, er glaubte seinen Augen kaum zu trauen, vermeinte er sich zu sehen. Er sah sich unter all den leidenden Menschen mit den verstörten Blicken. Tatsächlich, das war er. Konnte das sein? Es war direkt nach der Detonation. Er lag noch am Boden mit zusammen gekrampften Fäusten in einer Art Embryonalhaltung. Die Augen weit und starr aufgerissen, den Blick einen kurzen Moment direkt in die Kamera gewendet. Dann kniete sich eine Person neben ihn, reichte ihm die rechte Hand, wollte ihm anscheinend auf die Beine helfen. Es war ein Mann, gut gekleidet, Ende vierzig. Aber die Person war von der Kamera abgewandt, so dass er sie nicht erkennen konnte.

Den Bruchteil einer Sekunde später drehte der Mann seinen Kopf leicht zur Seite in die Kamera. Doch kurz bevor sein Profil für Philipp sichtlich erkennbar auf dem Bildschirm erschien, war das Bild gestört. Nur einen kurzen Augenblick lang war da dieses Rieseln auf dem Bildschirm zu erkennen. Dann wieder nur den Bruchteil einer Sekunde später, war da wieder nur dieser Mann in von der Kamera abgewandter Haltung zu erkennen. Er hatte seine Arme um Philipps Kopf gelegt. Es war so als würde er ihn stützen wollen; fast zärtlich wie einen Sohn. Philipp schien ihm dann direkt in die Augen zu sehen. Wenn sich ihre Blicke trafen, so war es aber keine Begegnung aus der Zuversicht erwuchs. Ein nahezu lautloser Schrei löste sich von Philipps Lippen. Daraufhin beugte sich der Mann weit zu Philipp herunter, so dass sich ihre Wangen einen Augenblick lang offensichtlich berührten.

Kälte durchfuhr in wie ein Stoß in die Rippen mit einer kalten Klinge. Und wieder nur einen kurzen Moment später war es so als hätte der Mann ihm nahezu in versöhnlicher Weise einen Kuss auf die Wange gedrückt. Doch Philipp hatte nicht das Gefühl von etwas erlöst zu sein, etwas wie eine Versöhnung zu erleben. Er war mitten drin in einem Feuer speienden Szenario. Dann setzte urplötzlich wieder ein grelles Flimmern und Flackern ein. Philipp versuchte sich zu konzentrieren, seine Gedanken auf das wieder einsetzende Bild zu bündeln, es gewissermaßen durch seinen kontrollierten Willen herbeizuholen, aber es war vergebens. Umsonst hatte er auf eine Auflösung gewartet.

Doch nichts dergleichen kam. Statt die Bilder fortlaufen zu lassen, hatte der Sender seine Berichterstattung für Werbung unterbrochen. Eine Werbung für Hundefutter. Riesengroße, gigantisch wirkende Hunde mit gewaltigen Mäulern, archaisch triefendem Speichelfluss und gierigen martialischen Blicken waren über einen riesigen Napf gebeugt. Der gesamte Napf war voll mit blutroten Fleischbrocken, die einen seltsamen Glanz entfachten. Die Bilder der fleischesgierigen Meute, die ihren scheinbar unaufhörlichen Hunger stillten, waren von einem einzigen Satz begleitet. „Every tail tells its own story!“ Jeder Schwanz erzählt seine eigene Geschichte. Das Leben schien scheinbar doch nur aus Fressen und Gefressen werden zu bestehen. Und irgendwo da war das Ende der Nahrungskette. Und da war er, Philipp, der sich leer und ausgebrannt vorkam. Sein Kopf begann zu dröhnen und zu hämmern. Sein Gehirn schien gegen die Innenwand seines Schädels gepresst. Es schien heraus zu wollen aus seinem beengenden Behältnis und sich von seinen Fesseln befreien zu wollen, die es daran hinderten, die Übermacht peinigender Bilder und Gedanken hinter sich zu lassen.

Erst das Klingeln seines Telefons ließ ihn aus seiner Bewegungsstarre, seinem apathischen Zustand erwachen. Er hätte nicht einmal sagen können ob er wach gewesen war oder geschlafen hatte. Es kam ihm selber vor wie ein Dämmerzustand, aus dem er jetzt heraustrat. Genau wie in dem Ausschnitt der Berichterstattung hatte er mit angezogenen Beinen auf der Seite gelegen. Wie lange er da gelegen hatte, hätte er nicht einmal schätzen können. Das Gefühl für Raum und Zeit hatte ihn verlassen. Das Telefon klingelte zweimal, dreimal, ja viermal, bevor sich sein Anrufbeantworter einschaltete.

Es war sein Freund Colin Delaney. Zuerst schien er sich darüber aufzuregen, dass Philipp nicht zu Hause war. Er sagte, dass sie sich unbedingt treffen müssten. Weshalb er ihn sehen wollte, das ließ er allerdings offen. Colin erwähnte dann so etwas wie, dass er am Telefon unmöglich darüber sprechen könnte und machte auch sonst einen eher mysteriösen Eindruck. Seine Stimme wirkte da auch noch unterstützend, da er zwar nicht hektisch sprach, aber die kurzen, abgehackten Sätze irgendwie ein bisschen heraus presste. Zudem klang er irgendwie geheimnisvoll, was sich durch die Andeutungen noch verstärkte. Er gab ihm zu verstehen, dass es ausgesprochen wichtig sei, dass quasi kein Weg daran vorbei führte, dass es zu einer unmittelbaren Begegnung kommen musste. Etwas, das man nicht aufschieben konnte, so drückte sich Colin aus, ja, darum ginge es. Philipp hatte Mühe, sich aus seiner starren Haltung zu befreien. Doch allein die Stimme seine Freundes vermochte ihn aus seiner massiven Lethargie zu befreien. Der nahezu chronische Schmerz in seinem Kopf, das Stechen, hatte indes nicht nachgelassen. Aber etwas in ihm mahnte ihn, sich aufzurappeln. Zwar hatte Colin nicht so geklungen als wäre er selber persönlich in Bedrängnis geraten, doch was hieß das schon. Colin konnte so etwas gut verbergen, zumal er nie zu extremen Gefühlsausbrüchen neigte.

Es dauerte eine Weile bis er die Nummer seines Freundes gewählt hatte. „Delaney.“ „Philipp hier.“ Er stockte. „Was ist denn los? Geht´s Dir nicht so blendend?“ „Scheiße! Blendend? Ich und blendend? Nee, davon bin ich weit entfernt! Eh scheiße, Mann, ich habe nicht mal das Gefühl richtig atmen zu können. „Oh, verdammt!“ erwiderte Colin, „ich hätte es ahnen müssen!“ „Was sagst Du da?“ „Ach mir war so als hätte ich in den letzten Tagen das Gefühl gehabt, dass sich alles über Dir zusammenbraut. Dann hatte ich also recht mit meiner Vermutung!“ „Weißt Du Colin, es ist noch weitaus schlimmer als Du denkst! Ich werde langsam paranoid. Ich drehe durch!“ „Oh Shit! So schlimm?“ „Noch weitaus schlimmer als Du glaubst! Ich befinde mich in einer ganz üblen Situation. Und jedes Mal, wenn ich denke, beschissener gehts nicht mehr, dann wird’s noch schlimmer.“ Die Worte von Philipp waren von einem langgezogenen Seufzer begleitet. „Okay, ich komme vorbei, sagen wir in einer dreiviertel Stunde!“ „Klar, also, bis dahin!“