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Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 2

Was war geschehen? Wie war es ihm gelungen, dem Henker noch einmal zu entkommen? Er ahnte nichts Gutes.

„Wann, sagen Sie, hat er die Augen geöffnet?“ - „Vor etwa fünf Minuten!“ Der Arzt, den ein kleines Schild an seinem Arztkittel als Dr. Buromy auswies, nickte behäbig. Einen Moment lang schien er in Überlegungen vertieft, dann fuhr er fort: „Es könnte sein, dass er Schmerzen hat. Bei dem, was er durchgemacht hat, wäre das zumindest nicht auszuschließen. Ich denke, wir sollten ihm ein leichtes Schmerz- und ein Beruhigungsmittel geben! Was denken Sie, Dr. Peterson?“

„Ich denke, damit liegen Sie richtig!“ sagte der jüngere, offensichtlich ein Assistenzarzt, Dr. Buromy zugewandt. „Bereiten Sie also die entsprechende Medikation vor!“

Dr. Peterson nahm diese Anweisung mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis. Philipp, der sich unverändert in unbehaglicher Unkenntnis der vorangegangenen Ereignisse befand, versuchte daraufhin, sich bemerkbar zu machen. Zu reden war ihm aber nicht möglich. Das Gipskorsett erstreckte sich nicht zuletzt fast über sein komplettes Gesichtsfeld. Er brachte ausschließlich einige undefinierbare Laute hervor. Daraufhin versuchte er, mit der linken Hand auf sich aufmerksam zu machen. Es war vergebens. Trotzdem schien Buromy zu verstehen.

Ich weiß, dass Ihnen vieles durch den Kopf geht, Herr Geiger! Wichtig ist aber jetzt erst einmal, dass Sie sich Ruhe gönnen. Schonen Sie sich, und kommen Sie wieder zu Kräften!“ Die Antwort von Dr. Buromy war mehr als unbefriedigend. Aber es gab nichts, was Philipp tun konnte. Wenig später war er wieder allein. Allein mit einem Berg von Fragen. Allein mit der zermürbenden Ungewissheit. Und je länger er über die möglichen Zusammenhänge und Verflechtungen der unmittelbaren Ereignisse nachdachte, umso mehr besann er sich darauf, dass er den Schlüssel der Erkenntnis wahrscheinlich in der jüngsten Vergangenheit suchen musste. Denn zu allem, was auf Erden geschah, gab es eine Vorgeschichte. Nichts war losgelöst zu betrachten. Ereignisse verwiesen auf Ereignisse. Das war ein fundamentaler Bestandteil des Seins.

Er war immer noch in Gedanken versunken, als sich noch einmal die Tür zu seinem Zimmer öffnete. Es war die Krankenschwester, die ihm seine Medikation verabreichte. Wenig später wurde er erneut von der Müdigkeit überwältigt. Doch die Gedanken trug er mit hinüber in einen unruhigen Halbschlaf.

Wie sollte er nur diesen Tag überstehen? Wie das Unfassbare endlich als unumstößliche Wahrheit begreifen? Aber was war schon Wahrheit, wenn doch alles um ihn herum Abbild einer Realität, ein Konstrukt also, zu sein schien. Jemand hatte einmal zu ihm gesagt, er müsse sich der Wahrheit stellen. Ein Davonlaufen würde nur eine Flucht vor der Realität bedeuten. Dieser Jemand war kein anderer als sein Vater gewesen.

Die letzten zwei Wochen hatten ihn an den Rand des Abgrundes getrieben. Er hatte seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen, hatte versucht, den Schmerz, der in seinem Innern tobte, abzuschalten, doch musste er sich eingestehen, dass dies unmöglich war. All die Drinks, die er in sich reingeschüttet hatte, vermochten sein inneres Ungleichgewicht nicht auszuloten. Und getrunken hatte er auch nur, weil er einen Drang danach verspürte, sich selbst zu bemitleiden, und weil es seiner Ansicht nach dem gängigen Klischee entsprach. Es war ein äußerst klischeehafter und abgegriffener Weg, seinen Problemen die Stirn zu bieten.

Wie viele Filme hatte er gesehen, in denen die gebeutelten Hollywoodhelden zur Flasche griffen. Wie oft hatte er mit ihnen gelitten. Den Mel Gibsons, Sean Penns, Brad Pitts oder Nicolas Cages. Seine Helden, die ihm auf diese Weise verbunden zu sein schienen. Die Scherben zerschmissener Gläser, nicht mehr und nicht weniger als ein Spiegelbild seiner inneren Zerrissenheit. Etwas, das er zu verantworten hatte. Sowohl das eine, die zerstörten Gläser, als auch das andere, sein maroder, von Verzweiflung gekennzeichneter Zustand seiner Seelenwelt. Aber da gab es keinen Barmann, der ihm aufmunternd auf die Schultern klopfte und einen guten Spruch parat hatte. Etwas wie, „geh erst mal nach Hause, schlaf eine Nacht darüber, und du wirst sehen, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus!“ Vielleicht wäre es ein so banaler Satz gewesen, der die Wende gebracht hätte, aber wer wusste das schon?


Es war nun exakt zwei Wochen her, dass Megan ihn verlassen hatte. Eine bittere, nötigende Ewigkeit! Wie lang einem die Stunden, Minuten und Sekunden ohne nennenswerten Inhalt werden konnten. Der Inhalt seines Lebens, das wurde ihm auf einmal bewußt, war sie gewesen, und nicht seine Arbeit, zu der er sich immer berufen gefühlt hatte. Nicht das Konstruieren von Gebäuden, gewaltigen Stahlkonstruktionen, deren Statik bis ins kleinste Detail ausgeklügelt und berechnet war. Allem, was da kommen wollte, trotzend.

All diese imposanten Konstruktionen schienen einem höheren Plan zu folgen. Erweckten den Eindruck, im absoluten Einklang mit einer höheren Macht zu stehen. Und genauso hatte er sich gefühlt. Im Einklang mit einer höheren Macht. Begünstigt und auf der Sonnenseite. Keine von diesen vielen gesichtslosen, unbedeutenden Schattengestalten. Aber was das wichtigste war, frei von Zweifeln. Denn das ganze Leben war voll von Zweifeln. Er hatte sie alle verbannt, hatte eine Immunität dagegen aufgebaut, war sich so stark vorgekommen. Gerade diese Losgelöstheit von zweiflerischen Momenten hatte seine positive Grundhaltung bestimmt und ihn auf die Spur des Erfolges geführt. Eine Spur, die nur dem Gewinner zu eigen war. Nur dem, der den ungebremsten Drang nach der Verwirklichung wahrhaft großer Dinge in sich spürte. Aber auch eine Spur, die von der Realität, von allen anderen Dingen um ihn herum abgelenkt, sie wie ein brutaler Filmschnitt irgendwann einfach ausgeblendet hatte. Die Erkenntnis über die Unumkehrbarkeit der Ereignisse, die zu diesem Dilemma geführt hatten, traf ihn wie ein Schlag. Er hatte das Gefühl, sein Schicksal aus der Hand gegeben, keinerlei Kontrolle mehr über den Lauf der Dinge zu haben.