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Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 21

Das erste was er tat, als er zu Hause in seiner Wohnung ankam, war, einen Blick in die Zeitung zu werfen.

Das erste was er tat, als er zu Hause in seiner Wohnung ankam, war, einen Blick in die Zeitung zu werfen. Am Morgen hatte er keine Zeit mehr dazu gehabt und den gesamten langen Tag über waren ihm andere Dinge im Kopf umher geschwirrt. Aber nun waren seinen Gedanken trotz alledem wieder bei dem Bombenmassaker und er wollte sich auch vergewissern, dass es stimmte, was sowohl Callahan und Seymour angekündigt hatten. Er wollte definitiv schwarz auf weiß lesen, dass die Ermittlungen auf der Stelle traten, man überhaupt nicht weiter kam. Und so war es dann auch. Zwar wurde davon gesprochen, dass angeblich mehrere nahezu identische Zeugenaussagen vorlagen, die den Täter zu identifizieren schienen, aber selbst das schien Philipp nicht zu beunruhigen. Die Beschreibung des potentiellen Täters passte in keiner Weise auf ihn.

Vielleicht war es Seymour gewesen, der über seinen Kontaktmann falsche Beweise und Aussagen erbringen ließ. Das war definitiv nicht zu sagen. Es wurde aber davon ausgegangen, dass es sich bei dem Bombenmassaker um die Tat eines einzelnen Verrückten handelte. Wenngleich er den nächsten Tag kaum erwarten konnte, glaubte er zum ersten Mal, wieder einigermaßen Ruhe finden zu können. Er erwartete keine Träume. Er erwartete auch keine Quellnymphen, die ihm während der Nacht erschienen und mit ihrer Anmut verzauberten. Aber er ging davon aus, nicht permanent von verzerrten Traumbildern und Traumwirklichkeiten aufgesucht zu werden.

Die vergangenen Nächte über hatte Blut, hatte die Farbe rot seinen Schlaf durchzogen. Er hatte das Gefühl, dass er von diesen Schreckensvisionen Abstand gewinnen konnte. Seymour war weiß Gott noch nicht entzaubert, sein charismatisches Auftreten hatte nichts von seiner dominanten Ausstrahlung verloren, doch vieles wirkte auf ihn nicht mehr ganz so mysteriös wie noch vor einigen Tagen. Er wusste schließlich, zu der schwarzen Seite hatte sich auch eine weiße gesellt. Noch schien er sich in seiner neuen Rolle zurecht finden zu müssen, noch wusste er nicht nach welchen Regeln da jetzt gespielt wurde, noch waren die Karten verdeckt. Nur hatte er das Gefühl ein Joker zu sein. Aber einer in dessen Besitz sich beide Seiten wähnten. Welcher Seite würde er aber letzten Endes wirklich Glück bringen?

Am Morgen des folgenden Tages hatte Seymour ihn in sein Büro gebeten. Es ging darum, dass Philipp im Innendienst den Grundstein für die Inbetriebnahme von Projekt M legen sollte. Giuliani hatte man den Auftrag erteilt, alle Abläufe vor Ort zu koordinieren. Seymour, so schien es jedenfalls, hatte bewusst Wert darauf gelegt, eine Eskalation des so offensichtlich schwelenden Konfliktes zwischen den beiden zu vermeiden. Er wusste schließlich um das Temperament des hitzköpfigen Italieners Bescheid. Für Giuliani kam es gewissermaßen einer Aufwertung seiner Position in der Firma gleich, denn vor Ort hatte er beim Bau der Brücke jetzt das Kommando. Einmal mehr hatte Philipp das Gefühl, das Seymour strategisch vorgegangen war. Er schien zu wissen was er zu tun hatte, um seine Angestellten optimal für seine Belange einzusetzen.

Giuliani ist da draußen auf der Baustelle. Er hat bereits die Traversen im letzten Bauabschnitt einbringen lassen. Sie, Geiger, werden gleich, sagen wir bis in spätestens zwei Stunden, die letzten Kontrollberechnungen durchgeführt haben, die zur Überprüfung der zulässigen Belastungsgrenzen für die Traversen dienen! Dann gehen die Berechnungen heute noch per Fax an den unabhängigen Gutachter raus. Sie kennen die ganze Prozedur ja zur Genüge, Geiger! Prinzipiell ein reiner Routinevorgang, aber sie wissen ja wie das ist. Das unabhängige Gutachten entscheidet letzten Endes über die Abnahme der gesamten Konstruktion. Bisher ist alles zu unserem Besten gelaufen, und es wäre verdammt schade, wenn das jetzt anders wäre. Aber ich hege keinen Zweifel daran, dass die Inbetriebnahme der Brücke fristgerecht stattfinden kann. Die notwendigen Unterlagen habe ich bereits auf ihren Schreibtisch legen lassen. Sie werden das doch wohl hinkriegen, oder?“

Der Ton in Seymours Stimme war alles andere als auf Gegenfragen ausgerichtet. Er hatte unmissverständlich klar gemacht, dass er nichts anderes als die prompte Erledigung vorsah. „Es ist machbar! Reiner Routinevorgang wie sie bereits sagten!“ Philipp machte auf dem Absatz kehrt und ging in Demut ausgesprochen angespannt zurück in sein Büro, wo er Seymour´s Worten gemäß die Unterlagen vorfand. In der Tat stellte es kein Problem für ihn da, dem Auftrag seines Chefs nachzukommen. So sehr er sich auch im Innern dagegen widersetzte, überhaupt noch irgend etwas Produktives für seinen Boss zu tun, so war er einmal mehr in dessen furchteinflößenden Bann geraten, und seine Furcht trieb ihn an. Nach zwei Stunden ging das Fax an den unabhängigen Gutachter raus. Dann überlegte Philipp was er wohl als nächstes tun könne. Frazier´s Tod hatte ihm nach wie vor keine Ruhe gelassen. Was hatte er gewusst, weshalb er sterben musste? Philipp wählte die Nummer von Etienne Dufèvre, um sie zum Lunch einzuladen.

Kurze Zeit später saß er der attraktiven Etienne Dufèvre in einem französischen Spezialitätenrestaurant gegenüber. Sie hatten „Coq au vin“ bestellt. Von Etienne wusste er, dass sie offensichtlich ein gutes Verhältnis zu Frazier gehabt hatte. Nicht nur, dass sie in seinem Team mitgearbeitet hatte, sondern sie hatten sich auch einige Male privat getroffen, wie er beiläufig im Gespräch erfuhr. „Etienne, ich weiß nicht wie sie zu John Seymour stehen. Aber ich empfinde jedes mal, wenn ich ihm irgendwo gegenüber sitze Spannungen im Raum. Und ich will ehrlich sein. Es sind in der Regel unüberwindbare Spannungen. Es ist nicht so wie ich mir das Verhältnis zu meinem Chef vorstelle, verstehen Sie?“

Sie blickte ihn einen Moment lang ergriffen an. In ihrem Blick lag so etwas wie eine Mischung aus Betroffenheit und Beklemmung. Dann fuhr Philipp fort, als er feststellte, dass sie offenbar nicht bereit war auf das Gesagte einzugehen. „Wie würden sie das Verhältnis zwischen Seymour und Frazier beschreiben? Haben sie jemals mitbekommen, dass die beiden sich ernsthaft gestritten haben?“

Philipp hatte das dringende Bedürfnis etwas herauszufinden und er starrte Dufèvre mit eindringlicher Miene an. Zuerst zögerlich, dann entschlossen begann sie zu reden. „Moment lassen sie mich nachdenken. Nein, nicht dass ich wüsste. Mir ist nichts dergleichen aufgefallen!“ „Sind sie sich sicher?“ „Ich denke schon!“ ließ Dufèvre verlauten, und versuchte sogleich wieder konzentriert, wie es schien, sich ihrem Essen zu widmen. Irgend etwas an Dufèvres Verhalten und der Art wie sie ihm geantwortet hatte, erschien ihm als nicht ganz astrein. „Das, was ich ihnen jetzt erzähle, behalten sie bitte für sich!“ Sein prüfender Blick war dabei auf Dufèvre gerichtet und hatte etwas sehr drastisches und unmissverständliches. „Aus gewissen Kreisen wird verlautet, dass das Bombenattentat am JFK allein Frazier gegolten hat!“ Sie wandte sich wieder zu ihm hoch, ihr Blick wirkte berührt und es lag darin eine Spur Unverständnis.


Wie meinen Sie das, Geiger?“ „So wie ich es sagte. Man hatte es auf Frazier abgesehen!“ „Aber wer soll das getan haben?“ „Das interessiert mich auch? Auf jeden Fall steckt, wenn man den Mutmaßungen Glauben schenken will, mehr dahinter als die Tat eines einzelnen Wahnsinnigen!“ Erneut ging sein Blick forschend in die Richtung von Dufèvre. Was hatten seine Andeutungen zum Mord an Frazier in ihr hervorgerufen? Vielleicht, und das konnte durchaus möglich sein, stand Dufèvre auf der Seite Seymours. Wenn dem so war, dann hatte er sich gerade sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Er hatte aber das Gefühl gehabt, etwas riskieren zu müssen. Zudem beschlich ihn das Gefühl, dass es bei der Sache um weit mehr ging als Geldwäsche und schwarze Konten wie Callahan und Delaney mutmaßten. Man musste etwas riskieren! Kurze Zeit später zahlten beide und verließen mit einem komischen Gefühl in der Magengegend das Restaurant. Vor dem Ausgang trennten sich fürs erste ihre Wege. Dufèvre gab vor, noch etwas dringendes erledigen zu müssen.

Als Philipp unmittelbar nach der Mittagspause durch die geräumige Empfangshalle der Cymatrix Company schritt, war er leicht irritiert. Überall lagen dort Kabel und waren Kameras aufgebaut. Zudem liefen Leute scheinbar in heller Aufregung kreuz und quer durch sämtliche Korridore. Es war laut. Was hatte das alles zu bedeuten, fragte sich Philipp. Was war passiert? Er ging also zum Empfangstresen hinüber, um sich zu erkundigen.

Man sagte ihm, dass es die Leute vom CNN wären, die eine Reportage über die Firma machen wollten. Die Brücke sollte schließlich in zwei Tagen eingeweiht werden, und folglich bestand ein großer Informationsbedarf. Ein einstündiges Special sollte alles darstellen angefangen von der zukunftsorientierten Vision, der maßgeblichen Idee, der grundlegenden Konzeption bis hin zur detail-getreuen Umsetzung. Darüber hinaus sollten innerhalb des Filmes die tragenden Säulen der Firma zu Wort kommen und von ihren Visionen und Träumen sprechen. Auch ihn wollten sie befragen. Er war schließlich der Mann, der die allerletzte Bauphase in ihrer Umsetzung betreute. Das kam überraschend für ihn.