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Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 4

So hatte es seinen Anfang genommen.

»Warum hat Andy die Campbells Dose für seine Retrospektive gewählt? Was meinen Sie?« Sie neigte den Kopf leicht zur linken Seite, ohne sich dabei umzudrehen. Es wirkte, als wollte sie das Bild in eine andere Perspektive rücken und auf diese Weise einem neuen gedanklichen Zugang Raum verschaffen. Der rechte ihm zugewandte Halsmuskel war leicht angespannt. Er hatte das Gefühl, ihren Herzschlag zu hören. So bestimmend, so persönlich und so überaus intim. Nicht weniger erregend war der exotische Duft ihres Parfums.

»Wissen Sie, es gibt da eine überaus interessante Theorie.« Sie drehte sich zu ihm herum, sah ihn einen Augenblick lang prüfend an. »Wenn man die Motivationen von Kunstrichtungen verstehen will, sollte man eine einzelne Kunstrichtung herausgreifen und sie als Puzzlespiel begreifen. Im Gegensatz zu einem realen Puzzlespiel werden die Teile des Puzzles allerdings von allen möglichen Seiten eingebracht.« »Sie meinen, dass es Abhängigkeiten gibt, die mal bewusst und mal unbewusst die Richtung der Kunst beeinflussen.« »Ja, man könnte es so ausdrücken. Betrachten Sie die verschiedenen Kunstrichtungen als Phänomene, die sich aufgrund gewisser Ähnlichkeiten allesamt ein und demselben Oberbegriff zuordnen lassen. Es gibt Klassifikationstheorien, die auf gewisse übereinstimmende Muster verweisen. Ähnlich wie bei der Aufklärung eines Verbrechens durch das sogenannten Profiling.« »Aber was ist mit Andy und seinen Tomatendosen?«, wollte sie nun von ihm mehr über die Sache wissen. »Ja. Wissen Sie, ein Kunsthistoriker aus Wien will vor einigen Jahren herausgefunden haben, dass Andy irgendwann völlig abgebrannt bei einem alten Freund untergekommen ist. Der hatte in seinen Küchenschränken nichts anderes als Eierkartons, Campbellsdosen und Ginger Ale. Die Masse der Campbellsdosen muss Andy wohl so sehr beeindruckt haben, dass er beschloss, der Campbellsdose innerhalb seines Lebenswerkes eine übergeordnete Rolle zu geben.«

Sie wusste, dass jede Kunst von einer Reihe mehr oder weniger absurden Entstehungstheorien begleitet wurde. Es gefiel ihr, dass er offensichtlich auch eine Schwäche für das zu haben schien, was dahinter stand. Die Formation einer Idee, die das Werden des Produktes antrieb, begleitete und ihm einen Sinn gab. Sie war gespannt auf seine weitere Argumentation.

» Ich denke eher, Andy war fasziniert von dem Gedanken, ein Objekt gefunden zu haben, dem er, gewissermaßen in einem Prozess der Veredelung, eine Seele geben konnte.« Erwartungsvoll schaute sie ihn an und nickte ihm dann bedeutungsvoll zu. Er hatte das Wort. »Ja da liegen Sie vielleicht richtig. Doch ohne den Blick in den Schrank hätte es diesen gewinnbringenden Blick auf ein Symbol des amerikanischen Traumes unter Umständen nie gegeben.« »Ja aber hat es denn diesen Blick überhaupt je gegeben?«, fragte sie mit ungläubigem Ausdruck. »Angeblich hat man in einem seiner Sakkos eine Rechnung gefunden. Eine Rechnung über 69 Campbellsdosen!« »Ja, aber beweist das irgendetwas?« »Nicht unbedingt, aber das allein ist noch nicht genug. Die alte Dosenrechnung passt exakt vom Datum in eben diese Zeit, in der Andy bei diesem Freund gewohnt haben soll. Es kommt aber noch besser. Der Laden, aus dem die Rechnung stammt, befand sich direkt einen Block die Straße runter, an der das Haus des Freundes gelegen hat. Was sagen Sie nun? Alles Zufälle, die sich ganz unverhohlen die Hand geben, oder steckt da mehr dahinter?«

» In der Tat sehr beeindruckend. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Lassen Sie uns gemeinsam einen Kaffee im Museumscafé trinken gehen. Ich bin übrigens Megan.« »Angenehm. Ich bin Philipp. Gute Idee, das mit dem Kaffee. Also, worauf warten wir noch. Der Kaffee könnte ja kalt werden!«, sagte er mit einem Schmunzeln. So hatte es seinen Anfang genommen.

Eine Woche später war sie zu ihm gezogen, und es war ihm so selbstverständlich vorgekommen. Sie hatte seine Drucke, die überwiegend imposante Brückenkonstruktionen zeigten, von den Wänden entfernt und sie gegen solche von Andy Warhol ausgetauscht. Und es war, als hätte der gute Andy die Verbindung zwischen ihnen erst möglich gemacht. So wie Brücken Verbindungen schaffen, so war Andy das verbindende Element zwischen ihnen gewesen.

Es war sein Beruf, oder vielmehr seine Berufung. Das Konstruieren von Gebäuden und der Bau von Brücken. Etwas zu schaffen, das Menschen zueinander führte, war ihm seit jeher ein Bedürfnis. Eine ähnliche Funktion konnte der Kunst zu Teil werden. Sie vermochte bei verschiedenen Betrachtern ähnliche Emotionen hervorzurufen und auf diese Weise eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Nichts war ihm in seiner Wohnung fremd erschienen. Nichts hatte sein Bedürfnis nach räumlicher Harmonie gestört. Das, was er schließlich bewusst wahr genommen hatte, war die Tatsache, dass keines der Bilder noch an den Wänden gehangen hatte, an dem Tage, als er ihre Nachricht auf dem Küchentisch gefunden hatte. Statt dessen hingen dort wieder in exakt derselben Anordnung seine Drucke von Brückenkonstruktionen. Alles kam ihm so irreal vor. Harte Zeiten würden da kommen.


Er lag rücklings auf der Erde und ließ seinen Blick über die Zimmerdecke seines Apartments schweifen. Einen Moment später sprang er auf, verließ den Raum und betrat über den Flur sein Arbeitszimmer. Er fand zuerst nicht den Lichtschalter, stolperte über eine Zimmerpflanze. Dann schaltete er seinen PC ein. Es dauerte nicht lange, da hatte er sie. Die Fotos.

Er hatte sie allesamt eingescannt, um sie diversen Bekannten und Freunden zu senden. Er hatte vor drei Wochen eine Party gegeben, und die Bilder von dem Fest lagen noch immer auf seinem Rechner. Tatsächlich, er hatte Recht gehabt. Zu dem Zeitpunkt, als die Bilder aufgenommen worden waren, hatte sich schon der Bruch zwischen ihnen vollzogen. Einige der Warhol-Bilder hingen noch an den Wänden, das belegten die Fotos. Andere hingegen waren schon ausgetauscht worden. Es war davon auszugehen, dass sie nach und nach ausgewechselt worden waren und sich dieser Prozess über mehrere Tage hin vollzogen hatte. Aber warum in Gottes Namen war ihm nichts von alledem aufgefallen? Hatte er seine Umwelt und vor allem Megan nicht mehr wahrgenommen? Was hatte er überhaupt noch wahrgenommen? Wofür hatte er gelebt? Es hatte der Signale also einige gegeben. Es war so ähnlich wie bei einem Adventskalender. Jeden Tag wurde ein Türchen geöffnet und am Ende stand man dann vor der ganz großen Tür. Nur war es hier nicht um das Öffnen von Türen gegangen, sondern um sich mehrende Zeichen, die nach und nach in Erscheinung traten, um dann in letzter Instanz den Totentanz anzukündigen.

Wie unsensibel, das musste er sich immer wieder fragen, war er denn Gott verdammt noch mal gewesen, dass ihm komplett entgangen war, was da gespielt wurde?