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Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 5

Das Projekt M.

Am Tag, nachdem sie ihn verließ, hatte er sich in der Firma krank gemeldet. Man hatte es zur Kenntnis genommen, doch da man sich in der entscheidenden Bauphase befand, war es nur allzu klar, dass man in der Firma alles andere als erbaut war über seine Abwesenheit. Bei einem Projekt dieser Größenordnung mussten sämtliche Schritte sehr gut koordiniert werden. Es ging um eine Brücke, ein gewaltiges Bauvorhaben, das in seinen Größenverhältnissen seinesgleichen suchte. Die Brücke erstreckte sich über eine Distanz von fast zwölf Meilen vom südlichsten Zipfel Brooklyns bis zu dem Ort Atlantic Highlands im Bundesstaat New Jersey. Der Name des Projekts lautete M. Für Projekt M waren die besten und renommiertesten Architekten, Bauingenieure und Statiker aus aller Welt zusammengerufen worden. Eine Sache, die die Regierung als Aufbruch in eine neue Zeit verstanden wissen wollte. Eine Geste, die an die gesamte Welt gerichtet sein sollte.

Es war ein Jahrhundertprojekt, ein Objekt, das trotz seiner beeindruckenden Größe in vielerlei Hinsicht so filigran war, dass es tatsächlich auf Detailfragen ankam. Man konnte zum Beispiel die Elastizität einer Brücke nehmen. Und dazu musste man wissen, dass es da Formeln gab, nach denen sich alles optimal berechnen ließ. Diese Formeln waren dann allerdings in Abhängigkeit zu gewissen äußeren Einflussfaktoren zu setzen, die in der Regel ihrerseits wieder nur statistische Werte darstellten. Denn wie genau wollte man den Faktor Wetter, eine ziemlich unberechenbare Größe, mit einbeziehen? Man hatte also die durchschnittlichen Werte der vergangenen vielleicht dreißig oder vierzig Jahre, aber was konnte man daraus wirklich ersehen?

Dann war dies alles, also die gesamte Sicherheit, denn es ging letzten Endes immer um die Sicherheit, immer auch in Zusammenhang mit den Kosten zu setzen. Kein Projekt war in der Kostendimension nach oben offen. Es ging also letztlich immer nur um die Minimierung von Risiken. Garantien gab es nicht. Wie viel bedurfte es zudem an Schmiergeldern? Keine unwesentliche Frage!

Leute im Stadtrat mussten ihren Segen geben. Andere, diejenigen, die in den gewissen Positionen zum Beispiel der staatlichen Bauaufsichtsbehörde sitzen, hatten auch kostspielige Wünsche, und alle hatten sie ihren Preis in dieser gottverdammt korrupten Welt. Auch nicht gerade unwesentlich war der Faktor Zeit. Gab es irgendwelche terminlichen Festlegungen, wenn ja, waren dann terminliche Überschreitungen mit irgendwelchen drakonischen Konventionalstrafen belegt? Fragen über Fragen, Unwägbarkeiten über Unwägbarkeiten. Es war fast wie im richtigen Leben! Wenn man eine exakte Auflistung über die Kosten dieses Projektes aufgestellt hätte, und wer da am Ende alles daran verdiente, man wäre aus dem Staunen nicht mehr heraus kommen! Man konnte es ja sogar auf die Spitze treiben und zum Beispiel anführen, dass ein in unmittelbarer Nähe zur Baustelle befindlicher Drugstore über ganz andere Einnahmequellen während so einer Bauphase verfügte. Selbst daran konnte vielleicht ein abgehalfterter Gesellschaftsforscher Gefallen finden und irgendeinen Nutzen daraus für die Gesellschaft ziehen.

Am folgenden Tag hielt man sich bei seiner erneuten Krankmeldung nicht mal mehr damit auf, ihm eine gute Besserung zu wünschen. Die Sekretärin hatte ihn mit dem Projektleiter verbunden, und der hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er gefälligst zusehen solle, dass er wieder auf die Beine komme. Am dritten Tag kam er mit einem ziemlichen Brummschädel zur Arbeit. Auf der Arbeit kam er sich seltsam beobachtet vor. Er spürte Blicke in seinem Rücken, meinte, leises Getuschel zu vernehmen, sah sich als Gegenstand ihres Interesses.

»Herr Geiger, ich will die Sache ganz unvermittelt auf den Punkt bringen. Sie wissen, bei einem Projekt dieser Größenordnung können wir uns keine Ausfälle leisten. Zuviel hängt für unsere Firma von diesem Projekt ab. Ich will diese Brücke!« John Seymour, der Projektleiter, hatte Klartext gesprochen, und er war niemand, der das Gespräch mit seinen Untergebenen einfach so suchte. Es musste schon einen Anlass geben, der dringenden Klärungsbedarf verlangte. Sie nannten ihn »Die Klinge«, und das kam nicht von ungefähr. Seymour war ein Karrierehengst. Was er sich in den Kopf setzte, das bekam er. Er war ein Macher. Aber einer von der üblen Sorte. Zumindest hatte Philipp das so für sich entschieden. »Was ihre Person angeht, Herr Geiger, so war ich bisher überaus zufrieden mit ihrer Arbeit. Das sollten Sie wissen.« Das Wort »bisher« hatte er auf der ersten Silbe extrem forsch betont und auf der zweiten Silbe extrem lang gedehnt. Es war klar, was Seymour damit bezweckte. So unmissverständlich sprach sonst selten einer mit ihm. Wenn er je einen Kredit gehabt hatte, so hatte er ihn jetzt nicht mehr.

»Aber mein junger Freund, passen Sie auf sich auf!« Seymours Augen hatten sich zu engen Schlitzen zusammengezogen, wirkten so scharf wie Rasierklingen. »Ich wewewerde sie nicht entttäuschen, Sir.« Und da war es. Der Alptraum. Das Stottern, das seine Angst verriet. Das musste Seymour registriert haben, doch tatsächlich ließ er sich nichts anmerken. Zumindest nicht in dem Maße, als dass es Philipp besonders aufgefallen wäre. Doch auch das, und Philipp wusste darüber sehr wohl Bescheid, gehörte zu einem wie Seymour dazu. Das Pokerface. Sich niemals und zu keinem Zeitpunkt in die Karten schauen lassen. Das war eins der Gesetze der Macht. »Was tun Sie momentan, womit sind Sie gerade beschäftigt?« »Ich bbbin immer noch dabebei, die Trägerelemente B und C auf ihre Tragfffähigkeit hin zu beberechnen.« »Und das haben Sie im Griff?« »Ja, es läuft.« Philipp schluckte, ihm war heiß. Was hatte er zum jetzigen Zeitpunkt schon im Griff?


»Wissen Sie was, vergessen Sie das Ganze! Sie arbeiten ab sofort im Team von McGrogan.« »McCccombs, ist der ninicht für die Sisicherheit am Bau zezuständig?« »Genau das. McGrogan ist nur gerade für vier Tage in Kopenhagen. Beratungsgespräche mit Skjölsjard & Partner. Sie wissen schon, die Sache mit dem Elastizitätsdifferenzspektrum. Enorm wichtige Sache.« Am liebsten hätte er laut los gebrüllt. Wie konnte Seymour nur so mit ihm umspringen? Sicherheit war so undankbar. Es konnte so vieles schief gehen. Und weiterbringen konnte es einen auch nicht wirklich. Profilieren war da nun wirklich nicht drin. Und erst recht nicht im Team von McGrogan, dem Schweinepriester. Marty McGrogan, ein Kerl wie ein Bulle mit einem Kreuz wie ein 3-Tonnen-T-Träger, aber einer dünnen Fistelstimme, die so ganz und gar den Typen entfremdete. Ihm gehörig die Meinung zu sagen, diesem Seymour, das hätte er jetzt für sein Ego gebraucht, dann wäre es ihm besser gegangen. Sicherlich. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Statt dessen sagte er natürlich etwas ganz anderes, etwas devotes, wie es natürlich auch von ihm erwartet wurde. »Ich werde mich bemühen, meine Sache in seinem Team gut zu machen.«

»Lassen Sie sich von Dufèvre alle wichtigen Vorgänge erklären und handeln sie im Sinne des Unternehmens!« Im Sinne des Unternehmens. Wie sehr er diesen Spruch hasste. Im Sinne des Unternehmens hieß so viel wie »und legen sie notfalls eine, zwei oder falls erforderlich drei Nachtschichten ein, um sich mit den Dingen in ausreichendem Maße vertraut zu machen.« Aber das war eben der Anspruch an einen wie ihn, der seinerseits den Anspruch hatte, zur absoluten Elite vorzustoßen. So sehr ihm das auch teilweise das Gefühl vermittelte, eine wichtige Instanz darzustellen, oder zumindest war es in der Vergangenheit immer so gewesen, so erzeugte es auch das Gefühl in ihm, ein Leibeigener zu sein. Einer, dessen Seele verpfändet worden war.

»Gehen Sie nun und machen Sie sich an die Arbeit, es liegt einiges vor ihnen!« Ein scheinbar wohlwollendes, doch kaum ernst zu nehmendes Nicken von Seymour, nicht mehr wert als die Hand eines Taschendiebes zum Ehrenwort, begleitete seinen Abgang. Er verließ das Büro des Projektleiters und kam sich immer noch wie betäubt vor. Irgendwie neben sich stehend. Nichts hätte er in diesem Moment auf seine Selbstachtung gegeben.