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Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 6

Strafversetzt! Das neue Projekt.

Sein Büro erreichte er schleichend. Gebückt wie ein alter Mann. Erschöpft und gegeißelt von dem Eindruck seiner eigenen Bedeutungslosigkeit. Er öffnete die Tür, setzte den Fuß über die Schwelle und war im ersten Moment sichtlich irritiert. Dort saß jemand auf seinem Stuhl. Das Gesicht kam ihm irgendwie bekannt vor. Hatte er den Mann nicht schon einmal gesehen? »Gehen Sie zu Etienne Dufèvre! Haben Sie gehört, Etienne Dufèvre! Zimmer siebzehn, Etage vier!“«

Was hatte das wieder zu bedeuten? Es war keine zwanzig Sekunden her, dass Seymour gesagt hatte, er solle Dufèvre aufsuchen. Ruhe bewahren! Das sagte sich jetzt zwar so leicht, doch Aufregung hätte nur Energie gekostet, und er hatte auf einmal das Gefühl, dass er die ihm verbliebene Energie in vollem Umfang brauchen würde. Einen kühlen Kopf bewahren. Also, Verwirrung nicht anmerken lassen und schnurstracks wieder raus marschieren.

Kurz darauf stand er vor dem Aufzug, der ihn zu Dufèvre in den vierten Stock bringen würde. Er drückte den Knopf. Die Anzeige verriet ihm, dass der Aufzug ein halbe Ewigkeit im einundzwanzigsten Stock steckte. Dann setzte er sich wieder in Bewegung, stoppte unterdessen noch zweimal und war dann bei ihm. Ein smarter Collegeboy in elegantem grauen Einreiher trat durch die Tür des Aufzuges direkt auf ihn zu. »Sie müssen Geiger sein, Dufèvre erwartet Sie!« »Woher wissen Sie? Ich meine, wer sind Sie?« »Das tut nichts zur Sache. Lassen Sie Dufèvre nicht warten. Ach, noch etwas.« »Ja bitte?« »Enttäuschen Sie uns nicht, Geiger!« »Wie bitte?« Ein schmieriges Lächeln klebte auf dem Gesicht des Collegeboys, als er an Philipp vorbei schritt. Im Gehen drehte er sich dann noch einmal um und hielt ihm den Zeigefinger seiner linken Hand entgegen. Der Arm, leicht angewinkelt, fuhr dabei auf und ab. Eine verbale Antwort blieb er ihm schuldig.

Ein kurzes Klopfen, dann wurde er herein gebeten. »Setzen Sie sich doch, Geiger! Sie sehen blass aus.« Philipp nickte nur. Was hätte er auch darauf erwidern sollen. Das war hier alles andere als eine Sitzung bei einem Psychologen. Es bestand kein wirkliches Interesse an seinen Problemen. Das war nicht vorgesehen. Allein vorgesehen war das Funktionieren. Zuverlässig und Maschinen gleich. Es war nicht viel, was er über Dufèvre wusste. Sie war eine attraktive Frau, die es geschafft hatte, sich in einer Männerwelt zu behaupten. Aber hatte sie Opfer bringen müssen, um das zu erreichen, was sie erreicht hatte?

Ihr platinblondes Haar hatte sie auf eine Länge von ungefähr sieben Millimetern getrimmt. Sie wirkte dadurch ganz bestimmt weniger feminin, doch mochte genau das ihrer Absicht entsprechen. Ihren stahlblauen durchdringenden Augen, ihrem bestimmenden Blick entsprang eine überlegene Ruhe.

» Zu McGrogan. Ich muss wohl kaum ein Wort darüber verlieren, was dieser Mann von ihnen verlangt.« Wenn sie in irgendeinem bestimmten Verhältnis zu Mc Grogan stand, so verriet weder der Ausdruck ihrer Stimme noch ihr bewegungsloser Blick etwas. »Sie werden Morgen nach Detroit reisen, Geiger!« »Nach Detroit?« »Saint Clair Shores genauer gesagt. Dort befindet sich der Sitz von McInnis, einer Firma, die sich auf das Konstruieren von Traversen spezialisiert hat, die extremen Belastungen stand halten.« »Moment, Mc Innis? Meines Wissens sind es hoch leistungsfähige Verdichtungselemente, die diese Firma produziert. Aber, Traversen, das ist mir neu!« Philipp Geiger machte bei seinen Worten ein äußerst angestrengtes, ungläubiges Gesicht. »Ich weiß zwar jetzt nicht, wovon sie reden, Geiger, aber es geht ganz sicher um Traversen und ganz sicher um McInnis.« Wieder schenkte sie ihm diesen Blick, der jede noch so fragwürdige Bürgschaft zu rechtfertigen schien, und fuhr dann in nahezu gleichgültigem Ton fort: »Ich habe die Pläne zusammengestellt, und Sie sollten sie im Laufe des heutigen Tages noch durchgehen. Darüber hinaus gibt es heute nichts mehr für Sie zu tun. Nutzen Sie also den Tag, machen Sie einen erholsamen Spaziergang und sehen Sie zu, dass Sie etwas an Frische zurückgewinnen. Das kann bei den anstehenden Verhandlungen sicher nicht schaden.«

Seiner Einschätzung nach würde es einiges an Zeit kosten, die Pläne vollständig durchzusehen. »Verhandlungen also? Worum geht es da im Speziellen?« »Das, lieber Geiger, entnehmen Sie bitte den zusammengestellten Unterlagen. Das ganze ist von McGrogan persönlich eingefädelt worden, und es sind nur noch einzelne Punkte, die einer Klärung bedürfen.« »Das klingt ja ...« »Ja bitte?« »Das klingt ... bescheiden in meinen Augen. Zumindest was die Informationen angeht.« »Geiger, was erwarten Sie von mir. Wenn Sie Näheres wissen wollen über die Sache, dann setzen sie sich mit McGrogan in Verbindung.« Ein kühles Lächeln überzog ganz leicht ihre Lippen. Und natürlich hatte sie eine Ahnung davon, dass er sich ganz bestimmt nicht mit McGrogan in Verbindung setzen würde. Dann überreichte sie ihm einen schwarzen Aktenkoffer und drückte ihm noch ein Flugticket in die Hand. Als Philipp schließlich im Begriff war hinauszugehen, schickte sie sich noch an etwas zu sagen.

»Ach noch was, Geiger. Im Holiday Inn, Highland Park, in der Nähe des Flughafens treffen Sie auf einen Mann, der Sie zu den Verhandlungen begleiten wird. Er heißt Ralph Frazier. Ich gebe Ihnen hier noch den Schlüssel eines Schließfaches am Flughafen, in dem Sie die Unterlagen ablegen werden, bevor Sie Frazier aufsuchen.« »Unterlagen ablegen in einem Schließfach? Wozu soll das gut sein?« »Anweisungen von McGrogan. Er befürchtet, dass durch irgendeinen dummen Umstand alles in falsche Hände geraten könnte, Sie verstehen schon!« Gar nichts verstand er. Fürsorge hin oder her, aber dieser Maßnahme ließ sich in seinen Augen verdammt noch mal kein Sinn abtrotzen. Als ob Dufèvre seine Gedanken erraten hatte, schloss sie mit den Worten: »Muss denn alles einen Sinn ergeben? Tun Sie einfach, was er wünscht!« »Wenn Sie es sagen!« Philipp zog die Augenbrauen bis kurz unter den Haaransatz, signalisierte noch einmal pures Unverständnis, schüttelte dann ganz leicht den Kopf und nahm den Schlüssel entgegen. Sein Blick musterte das blanke Stück Metall eingehend, als er sich zu gehen anschickte.

McInnis, verdammt. Er war sicher, dass diese Firma tatsächlich nichts mit Traversen zu tun hatte. Und dann erst die Sache mit dem Koffer und dem Schließfach. Das ergab alles überhaupt keinen Sinn. Derartige Vorsichtsmaßnahmen waren vielleicht beim Bau des Pentagons erforderlich gewesen, aber bezogen auf dieses Projekt schien es ziemlich übertrieben. Welche Rolle spielte im Zusammenhang mit den Verhandlungen dieser Frazier, von dem er allenfalls wusste, dass auch er für die Cymatrix Company arbeitete? Darauf konnte er sich beim besten Willen keinen Reim machen. Wenn die Sache nun also wirklich so unglaublich wichtig für McGrogan war, wie es den Anschein hatte, wieso hielt man sich dann mit Informationen so derart zurück? Da er sein eigenes Büro ja offensichtlich an irgendeinen anderen Mitarbeiter hatte abtreten müssen, war ihm im ersten Moment überhaupt nicht klar wohin er sich mit den Unterlagen zurück ziehen sollte.


Den Koffer unterm Arm, das Ticket und den Schlüssel in der Jackentasche verließ er das Büro. Seinen Wagen hatte er in der eigens von der Firma angemieteten Tiefgarage geparkt. Den Fahrstuhl verlassend betrat er durch helles, gleißendes Licht hindurch eine nahezu farblose, allenfalls graue Fläche. Unzählige Autos standen aneinandergereiht wie bei einer Perlenkette auf dem Parkdeck. Ein kurzer Druck auf seinen Schlüssel und dann folgte das schrille Signal, das verkündete, dass die Diebstahlsicherung des Wagens entschärft war. Philipp begab sich hinter das Steuer seines Audi TT, legte den Koffer auf den Beifahrersitz und beförderte dann den Wagen hinaus in die tosenden Straßenschluchten von New York. Ein leichter Regen hatte begonnen einzusetzen. Das kam kaum überraschend, denn schon früh am Morgen hatte sich ein dichter Wolkenteppich über die Metropole gelegt. Die Wolken hingen den ganzen Tag über so tief, dass die höchsten der Wolkenkratzer wie abgeschnitten schienen. Man hatte fast den Eindruck gewinnen können, dass das erst der Anfang war. Am Ende würden alle Gebäude und mit ihnen die gesamte Stadt aufgesogen.

Ihn überkam das dringende Bedürfnis Colin Delaney einen guten Freund, den er auf einem der Flüge von Hamburg nach New York kennen gelernt hatte, aufzusuchen. Einfach mit jemand über das Alles reden. Den unabhängigen Kommentar hören. Sich Bestätigen lassen, dass man nicht verrückt war und, dass das eigene Misstrauen keineswegs paranoide war. Der Versuch Colin über sein Handy zu erreichen war jedoch erfolglos. Einen Moment lang schien ihn Colins Abwesenheit zu grämen. Er war einer der wenigen zu denen er in seiner neuen Umgebung Vertrauen gefasst hatte. Irgendwie schon merkwürdig, dass er das nie zuvor realisiert hatte. Doch hatte er sich zuvor in absolutem Maße als Herr der Lage gefühlt, und deswegen wohl auch nie einen Gedanken daran verschwendet. Im Einklang mit einer höheren Macht. Begünstigt und auf der Sonnenseite.