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Konstruktion - Der Wirtschafts-Thriller: Teil 9

Und einen Moment lang hatte Philipp das Gefühl, dass alles um ihn herum wieder in bester Ordnung war.

Das Taxi hatte sich bereits wieder in den Verkehr eingefädelt, als er das melodiöse Klingeln seines Handys vernahm. Er bestätigte die Taste, die sein mobiles Telefon in Gesprächsbereitschaft versetzte, und vernahm die Stimme eines ihm unbekannten Mitarbeiters seines Unternehmens. »Geiger, wie mir John Seymour mitteilen lässt, wurde Ihr Auftrag, lassen Sie es uns einfach mal so nennen, leichten Modifikationen ausgesetzt. Es wird Ihnen zukommen!« Im Moment dieser Aussage betrachtete Philipp drei Männer im Gegenlicht der Sonne, die kurz zuvor auf der anderen Straßenseite aus einer Limousine gestiegen waren. Einer von ihnen war am Telefonieren und sprach mit gleichbleibender Gestik und unveränderter Mimik in sein Handy.

»Sagen Sie schon! Was ist mit der Sache, was ist mit Detroit?«, brachte Philipp gepresst hervor. »Das wird Ihnen Seymour persönlich sagen, warten Sie, ich verbinde!« In ebendem Augenblick, als Seymour zu sprechen begann, registrierte Philipp, dass das mobile Telefon an den Mann in der Mitte weitergereicht worden war. Vielleicht hätte ihn das alarmieren sollen, aber irgend etwas in ihm wollte da keinen Zusammenhang zwischen dem Telefonat und der soeben beobachteten Handlung erkennen.

»Seymour hier. Die Situation ist durch eine unvorhergesehene Komponente verändert. Für Sie bedeutet das, Geiger, dass Sie sich auf die neue Ausgangssituation einstellen müssen. Ich erwarte strikte Einhaltung, was die Anweisungen, die ich Ihnen jetzt zukommen lasse, angeht. Sie werden nicht den Flieger nach Detroit nehmen, sondern lediglich den Koffer am Flughafen an Ihre Kontaktperson, Frazier, übergeben.« »Und wann soll das passieren?« Seymour zögerte, schien zu überlegen und brachte dann seine Vorstellungen vor. »In, sagen wir, zirka einer halben Stunde. Ich lasse ihnen einen Wagen schicken, der sie in Kürze zum Flughafen bringen wird.« »Und wie werde ich wissen, wer er ist?« »Sobald es so weit ist, werde ich Sie in Kenntnis darüber setzen. Das heißt, dass ich Sie gleich wieder anrufen werde! Ach, noch etwas, Sie sehen schlecht aus, Sie sollten mal eine ordentliche Mahlzeit zu sich nehmen!« Dann wurde das Gespräch von einem Knacken in der Leitung abgebrochen. In eben diesem Moment sah er die drei Männer in dem anliegenden Versicherungsgebäude verschwinden.

Was hatte Seymour da genau zuletzt zu ihm gesagt, schoss es ihm durch den Kopf. Er würde schlecht aussehen? Aber wie konnte er das beurteilen? Irgend etwas gefiel ihm an dieser Aussage nicht. Es steckte mehr dahinter als ein gut gemeinter Ratschlag, da war er sich ganz sicher. Wenngleich ihm das Erlebte auf eine ganz spezielle Art und Weise sonderbar vorkam, so konnte er dennoch keine Verbindung ziehen. Dann war es ein abruptes Bremsen und ein lang gezogenes Hupen, die ihn aus seinen Gedanken rissen. Es war der Wagen, der ihn, wie Seymour gesagt hatte, zum Flughafen bringen sollte. Was in ihm starkes Misstrauen weckte, war der Aspekt, dass es dieselbe Limousine zu sein schien, aus der kurz zuvor die drei Männer ausgestiegen waren.

Auch dieses Mal stiegen drei Männer aus. Aber dieses Mal offenbarte sich ihm all das, was zuvor sein Bewusstsein nur als vage Vermutung heimgesucht hatte. Es war John Seymour, der, flankiert von zwei Mitarbeitern, aus dem Wagen stieg. Ein kalter Schauer bahnte sich sogleich seinen Weg. »Geiger!«, sagte Seymour in kaltem, einsilbigem, aber bestimmendem Ton. »Ich habe hier noch etwas zu erledigen. Aber Sie werden jetzt einsteigen, und man wird Sie zum Flughafen bringen.« Mit einer kompromisslosen Geste, unterstützt von einem durchdringen Blick, hielt er Philipp die Tür des Wagens auf. Während Philipp einstieg, hatte er das Gefühl, nicht bloß seinen Fuß in einen Wagen zu setzen. Nein, er hatte das Gefühl, eine Schwelle zu überschreiten. Die Schwelle in eine neue Dimension des teuflischen Spiels, die Pforte zum Vorhof der Hölle.

Die Blicke von Seymour und Philipp trafen sich. Das gegenseitige Fixieren war getragen von einer mystischen Spannung, nahezu isoliert von Raum und Zeit. Wie unter Hypnose. Philipp ließ sich in die samtweichen, tiefblauen Sitze des Wagens fallen. Seymour schloss die Tür. Ein Choral so dunkel wie der Abgesang auf das Sein lag ihm in den Ohren. Tatsächlich war es wohl der Wind, der durch die Straßen von New York fegte. Dann vernahm er das Surren eines elektrischen Scheibenhebers und war alsbald befreit vom fesselnden Anblick Seymours, doch irgendwie gefangen im schwarzen Gefährt düsterer Phantasien. Wenn er einen Moment lang das Gefühl gehabt hatte, einem Choral zu lauschen, so schien auch dieser Eindruck schnell verblasst. Im Radio hatte der Moderator durch seine verwegen schmierige Ansage ein neues Klageszenario eingeläutet. Aus den Lautsprechern tönte der unverkennbare Sound der Rolling Stones. Es war Sympathy For the Devil. Und einen Moment lang hatte Philipp das Gefühl, dass alles um ihn herum wieder in bester Ordnung war.

Die Fahrt zum Flughafen verlief wortlos. Der Fahrer des Wagens hatte seine Augen hinter einer dunkel getönten Brille verborgen. Mit der einen Hand trommelte er lässig im Rhythmus des Liedes auf das Armaturenbrett. Der ganze Verkehr schien sich diesem Rhythmus angepasst zu haben. Alle schienen sie in sich etwas zu haben, das sie gewissermaßen einem Takt unterwarf und alles in einer einzigen Phase zusammenkommen ließ. Es war so, als wäre diese Phase ein Zugeständnis an eine höhere Macht. Wenig später erreichten sie den Flughafen. Hier sollte sich also gleich die Übergabe des Koffers vollziehen. Es würde nicht lange dauern, nur einen klitzekleinen Moment, und das war gut so, befand Philipp. Er wollte gar nicht mehr wissen, was den Koffer so bedeutungsvoll machte bzw. gemacht hatte. Er würde aus der durch den Koffer bestimmten Phase austreten. Sollten doch andere das Spiel spielen. Wenn Seymour ihm die Möglichkeit anbot, auf einen anderen Zug aufzuspringen, so würde er in jedem Fall ohne weitere Überlegung genau das tun.

Mit dieser für ihn recht erfreulichen Aussicht betrat er die zentrale Halle des Flughafens. Geschäftiges Treiben bestimmte hier das Geschehen. Die Menschen, die den Flughafen hier so zahlreich frequentierten, entstammten so ziemlich jeder Nationalität. Von oben, aus einer kompletten Draufsicht, musste das Ganze wirken wie eine vielgestaltige, ständig sich verändernde Patchworkarbeit. Philipp orderte noch schnell an der Theke eines Bistros einen Kaffee und ein Croissant. Da er selbst den Anruf von Seymour jeden Moment erwartete, wirkte es so, als ob er das Croissant nahezu in einem Stück runterzwängen wollte und den Kaffee darauf schüttete.

Dann ließ ihn das Läuten seines Handys hochschrecken. »Geiger, begeben Sie sich jetzt direkt zu den Schließfächern und entnehmen Sie den Koffer dem Fach! Ich werde gleich noch einmal sicher stellen, dass unser Mann am vorgesehenen Treffpunkt zur Übergabe erscheint. Sobald davon auszugehen ist, werde ich Sie informieren.« »Warum sagen Sie mir nicht gleich, wo ich mit dem Koffer hin soll? Würde das nicht alles erleichtern?« »Hören Sie, Geiger, ich bin es, der hier das Geschehen koordiniert. Also bin ich es, der am ehesten darüber entscheiden kann, was dazu beiträgt, damit die Sache reibungslos über die Bühne geht! Hab ich mich klar ausgedrückt?« In jedem Fall hatte Seymour das, keine Frage. Seine unmissverständliche Anweisung duldete in ihrer Kompromisslosigkeit keinerlei Widerspruch. Das war Seymour mehr als bewusst. »Ja, Mr. Seymour, Sie haben sich klar ausgedrückt.« »Halten Sie sich also in, sagen wir, fünf Minuten bereit für meinen nächsten Anruf!«


Fünf Minuten hatte Philipp also Zeit, die Schließfächer aufzusuchen und sich des Koffers zu bemächtigen. Auch wenn er das geheimnisvolle Gehabe Seymours nicht so recht verstehen wollte, so schien es ihn jedoch nicht weiter zu irritieren. Das scheinbar Irrationale war in seiner unentwegten Permanenz zum Rationalen geworden. Je eher er sich damit zurecht fand und es akzeptierte, umso mehr würde es ihm beim Verrichten seiner Arbeit zu Gute kommen. Davon war auszugehen. Er hatte den Koffer gerade aus dem Schließfach befördert, als die nächste Anweisung von Seymour ihn über sein Mobiltelefon erreichte.

»Unser Mann wartet im Terminal sieben am Gate 16 auf Sie. Er wird sich gegenüber vom Schalter der United Express aufhalten. Sobald Sie dort eintreffen, wird er auf Sie zugehen. Nach der Übergabe begeben Sie sich unverzüglich zurück zum Terminal acht. Dort gibt es einen Blumenladen, McKenny´s Flower Power World. Ich habe dort einen Blumenstrauß für einen scheidenden Mitarbeiter in Auftrag geben lassen. Den werden Sie bitte noch mitbringen, danach können Sie für heute nach Hause gehen.« »Okay, ich habe verstanden!«, erwiderte Philipp. Dann begab er sich zum Terminal acht.

Tatsächlich, es war so, wie Seymour es gesagt hatte. Frazier kam ihm entgegen, begrüßte ihn mit einem kurzen Handschlag und dem Anflug leichter Skepsis im Blick. Das war Philipp nicht entgangen, aber was es bedeutete, konnte sich ihm unmöglich erschließen. Die beiden Männer, die einander nicht kannten, tauschten den Koffer mit den Unterlagen aus und gingen in entgegengesetzte Richtungen auseinander.