Frühjahrsgutachten 2009 der führenden Wirtschaftsinstitute - Im Sog der Weltrezession
DieWeltwirtschaft befindet sich im Frühjahr 2009 in der tiefsten Rezession seit der Großen Depression. Der Abschwung verschärfte sich im Herbst zu einem regelrechten Einbruch, der rasch nahezu alle Länder der Welt erfasste.
Prognose für 2010
Für 2010 erwarten die Institute keine durchgreifende Erholung. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte um 0,5 Prozentsinken. Zum Jahresende ist mit knapp unter 5 Mill. Arbeitslosen zu rechnen. Das Verbraucherpreisniveau ist in der Tendenz rückläufig. Die gesunkenen Rohölpreise werden weiter auf die Preise für Erdgas und Strom durchwirken. Daneben werden die desolate Nachfragesituation und die unterausgelasteten Kapazitäten Druck auf die Kerninflation ausüben. Da sich diese Anpassungsprozesse aber nur allmählich vollziehen, ist für den Jahresdurchschnitt 2009 noch ein leichtes Anziehen derVerbraucherpreise um 0,4 Prozent zu erwarten. Im Jahr 2010 werden sie in etwa stagnieren. Die Konjunkturprogramme, die wegbrechenden Steuer- und Beitragseinnahmen sowie kräftig steigende Arbeitsmarktausgaben werden die öffentlichen Budgets erheblich belasten. Für das Jahr 2009 wird das Finanzierungsdefizit auf 89 Mrd. Euro hochschnellen, was einer Defizitquote von 3,7 Prozententspricht.Aufgrund weiter rückläufiger Produktion und steigender Arbeitslosigkeit erwarten die Institute für das kommende Jahr einen Fehlbetrag von 133 Mrd. Euro und eine Defizitquote von 5,5 Prozent. Die Prognose basiert vor allem auf der Annahme, dass es zu einer, wenn auch sehr langsamen, Gesundung des internationalen Bankensystems kommt, weil die staatlichen Rettungsmaßnahmen allmählich wirken. Diese Annahme ist mit großer Unsicherheit behaftet. Das globale Bankensystem hat weiter mit enormen Bilanzrisiken und Eigenkapitalproblemen zu kämpfen, die durch die Rezession und den damit zu erwartenden Anstieg der Zahl der Unternehmensinsolvenzen noch vergrößert werden dürften. Daher ist keineswegs auszuschließen, dass es zu einer erneuten Vertrauenskrise kommt. Die Folge könnte ein nochmaliger Einbruch bei Bestellungen und Produktion sein.Dann wäre ein Abgleiten in eine weltweite deflationäre Abwärtsspirale nicht unwahrscheinlich.
Es bestehen aber auch Aufwärtsrisiken, denn es ist ebenso gut möglich, dass sich die Konjunktur in Deutschland schneller erholt als prognostiziert.Könnte die internationale Bankenkrise rasch gelöst werden und die Kreditvergabe schon bald wieder annähernd wie in normalen Zeiten funktionieren, dann würde die expansive Geldpolitik voll wirken. In Deutschland könnte so der Anstieg der Arbeitslosigkeit erheblich gemildert werden, weil die Firmen bei wieder verbesserten Absatzperspektiven Entlassungen tendenziell vermeiden würden. Mit Blick auf die mittlere Frist besteht eine wesentliche Konsequenz der Finanzkrise darin, dass Kapital dauerhaft teurer sein wird, weil sich die Risikoeinschätzung der Marktteilnehmer nachhaltig ändert. Besonders in Mitleidenschaft gezogen wird dadurch die Sachkapitalbildung. Zudem ist die Produktionsstruktur der deutschen Wirtschaft gegenwärtig noch an einen weltwirtschaftlichen Nachfrageboom angepasst, der nach Ende der Rezession so nicht wiederkehren dürfte. Daher müssen das Produktionspotential und sein Wachstum derzeit deutlich niedriger eingeschätzt werden als noch vor einem Jahr. Für dieWirtschaftspolitik muss es Priorität haben, die volle Funktionsfähigkeit des Bankensektors wiederherzustellen. Zwar hat die Bundesregierung rasch mit einem Rettungspaket reagiert. Die Probleme im Bankensektor sind aber nicht beseitigt. Es besteht das Risiko, dass es zu einer regelrechten Kreditklemme kommt. Daher ist es die dringendste Aufgabe der Politik, die Rekapitalisierung der Banken voranzubringen. Durch ein Zuwarten könnte sich die Situation zuspitzen, zumindest würde die Krise sehr lange andauern. Damit drohte eine Entwicklung wie in Japan in den 1990er Jahren.
In den Industrieländern wurden unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt, um die Probleme im Bankensektor anzugehen, und sicherlich gibt es keine Blaupause für den bestenWeg. Es scheint jedoch unumgänglich, dass die Bundesregierung den Druck auf die Banken erhöht und sie notfalls zwingt, staatliche Hilfen anzunehmen. Selbst eineVerstaatlichung stellt ein geringeres Übel dar als ein Andauern der Schwierigkeiten. Je früher es gelingt, eine Normalisierung der Situation herbeizuführen, umso eher können andere Maßnahmen derWirtschaftspolitik die Konjunkturaussichten verbessern. Insbesondere würde die Wirksamkeit der Geldpolitik erhöht werden. Angesichts der Tiefe des konjunkturellen Einbruchs und der niedrigen Inflation im Euroraum sollte die Europäische Zentralbank den maßgeblichen Leitzins auf 0,5 Prozent senken. Jedoch wäre sogar ein Zins von null keine ausreichende Reaktion auf die Krise.Vielmehr sollte die EZB ihre Tendergeschäfte längerfristiger als bisher gestalten, wie sie es offenbar auch plant.Wenn ein nachhaltiger Rückgang der Kreditvolumina oder Geldmengenaggregate im Euroraum nicht anders verhindert werden kann, sollte die EZB zu einer Politik der quantitativen Lockerung übergehen, also Unternehmens- und Staatsanleihen kaufen. Zwar scheint eine Umgehung des Bankensektors 2005 bis 2010 weniger erfolgversprechend als etwa in den angelsächsischen Ländern. Zudem ist die Entscheidung, welche Staatsanleihen erworben werden sollen, für eine supranationale Zentralbank wie die EZB politisch brisant. Doch wenn dieWahl besteht,entweder Anleihen zu erwerben oder eine Deflation in Kauf zu nehmen,stellt ersteres das kleinere Übel dar.
Die Finanzpolitik hat mit zwei Konjunkturpaketen auf die Rezession reagiert. Sie enthalten mit den Investitionsprojekten, den Senkungen der marginalen Steuersätze und der Reduktion der Sozialabgaben Maßnahmen, die dasWachstum mittelfristig fördern können. Daher ist es vertretbar, sie vorübergehend über Verschuldung zu finanzieren. Dies gilt allerdings nicht für Maßnahmen,die kurzfristig den Konsum anregen sollen und dabei verzerrend wirken wie die »Abwrackprämie« für ältere Autos. Vor allem vor dem Hintergrund der absehbaren Zunahme des Budgetdefizits ist ein weiteres Konjunkturpaket unter den derzeitigen Umständen abzulehnen. Eine expansivere Finanzpolitik ist aus Sicht der Institute nur unter bestimmten Bedingungen vertretbar. Sollten die Bemühungen der Staaten des Euroraums um eine Sanierung des Bankensektors scheitern, und sollte sich deshalb die Finanzkrise europaweit zuspitzen und eine Kreditklemme entstehen, würden sich die wirtschaftlichen Aussichten abermals deutlich verschlechtern.Wenn selbst eine unkonventionelle Geldpolitik nicht in der Lage wäre, derWirtschaft Impulse zu geben, sollten zusätzliche Maßnahmen der Finanzpolitik diskutiert werden, die auf europäischer Ebene abzustimmen wären.
Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören an:
- ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München in Kooperation mit: KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
- Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel
- Institut für Wirtschaftsforschung Halle in Kooperation mit: Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung
- Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
- Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung bei der Mittelfristprognose in Kooperation mit: Institut für Höhere Studien Wien
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