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Nettolohnquote erneut gesunken - Lohnanteil am Volkseinkommen von 38,8 Prozent

Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist auch im Wirtschaftsaufschwung weiter zurückgegangen. Das zeigt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Buchstabenwürfel ergeben das Wort: Gehälter, welches sich auf einer roten, glatten Oberfläche wiederspiegelt.

Nettolohnquote erneut gesunken - Lohnanteil am Volkseinkommen von 38,8 Prozent
Bonn, 05.12.2007 (wsi) - Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist auch im Wirtschaftsaufschwung weiter zurückgegangen. Das zeigt der neue Verteilungsbericht, den das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung kürzlich vorstellte. Die öffentliche Abgabenpolitik trage zur Einkommens-Ungleichheit bei, indem sie weiterhin vor allem die Masseneinkommen belaste, analysiert Studien-Autor Dr. Claus Schäfer. »Die Verteilungs-Schieflage und vor allem die wachsende Einkommens-Armut sind eine schwerwiegende Hypothek für Wirtschaft und Gesellschaft«, warnt der WSI-Verteilungsexperte.  


Die Wirtschaft hat zuletzt kräftig zugelegt. Doch den langjährigen Schwund beim Kaufkraftpotenzial der Arbeitseinkommen hat der Aufschwung nicht gestoppt. Das entsprechende Maß, die Nettolohnquote, ist erneut gesunken - auf 40,5 Prozent des privat verfügbaren Volkseinkommens im Jahr 2006 und 38,8 Prozent im ersten Halbjahr 2007, so der WSI-Verteilungsbericht, der auch in der neuen Ausgabe der WSI-Mitteilungen erscheint.

1991 lag die Nettolohnquote noch bei 48 Prozent, 1960 sogar bei knapp 56 Prozent. Ein weiterer Tiefstand: Die Kaufkraft der Arbeitseinkommen macht nur noch rund ein Viertel der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage aus. Zahlen, die zeigten, wie zweifelhaft eine »nachhaltige Entwicklung der Binnennachfrage« sei - »und wie labil der vom Export getriebene Aufschwung bleibt, je mehr sich erkennbare weltwirtschaftliche Risiken verstärken«, schreibt Verteilungsexperte Schäfer.



Eine echte Verteilungs-Trendwende ist nach Schäfers Analyse nicht absehbar - trotz des aktuellen Beschäftigungsaufbaus. Grund: Viele der neuen Stellen sind eher schlecht bezahlt, das verstärkt weiter wirkende »einkommensdämpfende Faktoren« wie die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Dagegen legen die Einkommensanteile aus Gewinnen und Vermögen erneut zu. 2006 machten diese Einkommen, die meist einer relativ kleinen Personengruppe zufließen, 33,8 Prozent des privat verfügbaren Volkseinkommens aus. Dazu tragen die - vor und nach Steuern - wieder hohen Gewinne vieler Unternehmen maßgeblich bei. Besonders Besorgnis erregend sei der anhaltende Anstieg der Einkommensarmut. So wuchs der Anteil der Menschen, die nach EU-Definition als arm gelten, weil sie weniger als 60 Prozent des gewichteten Medianeinkommens aller privaten Haushalte zur Verfügung haben, zwischen 1999 und 2005 von 12 auf gut 17 Prozent.

Verteilungsforscher Schäfer schätzt, derzeit müssten »rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung als arm gelten, wenn man zu den Personen mit a priori sehr niedrigem Einkommen auch jene hinzu rechnet, die wegen Überschuldung ebenfalls nur sehr wenig ausgeben können.« Zudem könne auch oberhalb der Armutsschwelle eine wachsende Zahl von Menschen nur über prekäre Einkommen verfügen, so Schäfer. »Untersuchungen zeigen, dass von diesen Entwicklungen insbesondere Kinder und Jugendliche betroffen sind.« Die Große Koalition versuche zwar, den sich zuspitzenden Verteilungsproblemen gegenzusteuern, etwa durch den verlängerten ALG I-Bezug oder den geplanten erweiterten  Kinderzuschlag. Doch bleibe die Regierung bei diesen und anderen Vorhaben viel zu zaghaft, erklärt der WSI-Verteilungsexperte.  Der grundsätzliche Kurs der Politik sei zu einseitig: Die Masseneinkommen würden, wie zuletzt mit der Mehrwertsteuer, belastet, die Gewinn- und Kapitaleinkommen demnächst durch Unternehmenssteuerreform und Abgeltungssteuer noch einmal besser gestellt. Dabei bewegt sich die durchschnittliche steuerliche Belastung der privaten Gewinn- und Kapitaleinkommen schon jetzt auf einem sehr niedrigen Niveau von rund sieben Prozent, zeigt der Verteilungsbericht.

Die Bundesregierung vergebe mit dieser fiskalpolitischen Orientierung viel Handlungsspielraum für die Zukunft, sagt Schäfer. Offenbar unterschätze die Politik immer noch die Folgewirkungen von Armut und sozialem Ausschluss. Menschen, die in Armut aufwachsen und leben, zeigten sehr häufig Defizite bei Bildung und Qualifikation. Diese gingen einher mit Defiziten der öffentlichen Infrastruktur, die auch jenseits von Bildungsausgaben unter »öffentlicher Armut« leide. Dadurch gerieten aber längerfristig das Produktionspotential und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft  in Gefahr. Um den sozialen und wirtschaftlichen Risiken zu begegnen, empfiehlt das WSI deutlich höhere Investitionen in Bildung sowie die Schaffung einer bedarfsdeckenden Grundsicherung gegen Armut, einschließlich Altersarmut.