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Studienstart & StudiumStress

Uni-Stress: Studenten gestresst und überfordert, Wirtschaftsstudenten relaxter

Die Studenten stehen unter Stress – in erster Linie verursacht durch Zeitdruck, Leistungsdruck, Angst vor Überforderung und zu hohen Ansprüchen an sich selbst. Statt gezielt zu lernen, lassen sich Studenten oft ablenken und verschenken wertvolle Zeit. Wirtschaftsstudenten sind deutlich weniger gestresst, als die meisten Kommilitonen anderer Studiengänge. Das zeigt eine Studie der Universität Hohenheim im Auftrag des AOK-Bundesverbands.

Eine junge Frau sitzt am Schreibtisch mit einem Makierer über einem Text und hält sich die Stirn.

Uni-Stress: Studenten belastet und überfordert, Wirtschaftsstudenten relaxter
Berlin, 13.10.2016 (aok) - Durch Zeitdruck und Zukunftsängste fühlen sich Studierende in Deutschland nach einer aktuellen Umfrage insgesamt stärker unter Stress als Beschäftigte im Job. Studentinnen leiden unter dieser Situation mehr als ihre männlichen Kommilitonen, an staatlichen Hochschulen ist das Überforderungsgefühl höher als an den privaten, und Bachelor-Studenten klagen darüber häufiger als die schon reiferen Master-Kandidaten. Stress-Studienfach Nummer eins ist Tiermedizin, am Ende der Skala stehen die Sportwissenschaften. Studierende der Wirtschaftswissenschaften sind weniger belastet als der Durchschnitt der Studenten.

53 Prozent leiden unter hohem Stresslevel
All dies geht aus einer Online-Befragung von mehr als 18.000 Teilnehmern hervor. Der AOK-Bundesverband hatte Wissenschaftler der Universitäten Potsdam und Hohenheim mit der bisher größten repräsentativen Erhebung zum "Studi-Stress" beauftragt. "53 Prozent geben ein hohes Stresslevel an", resümierte die Potsdamer Studienleiterin Prof. Uta Herbst. Eine vergleichbare Erhebung aus dem vorigen Jahr habe gezeigt, dass der Anteil der in der Arbeitswelt Beschäftigten mit hohem Stresslevel bei "nur" 50 Prozent liege.

Top Stressfaktoren im Studium

Top Stressfaktoren von Studenten während des Studiums in Prozent

Bologna-Reform fördert das Stressgefühl
Ein Grund für das hohe Belastungsgefühl von Studenten sei die "Bologna-Reform" von 1999 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes, die mit erhöhtem Prüfungsstress einherging, so das Fazit der Experten. In Deutschland sei die "Stressresilienz" (Widerstandsfähigkeit im Umgang mit Belastungen) bei Studierenden wohl sehr gering ausgeprägt, sagte Herbst. Viele junge Leute kämen heutzutage eher unselbstständig zur Uni, viele plagten sich mit überhöhten Erwartungen an ihren Studienerfolg herum.

"An erster Stelle ist es hochschulbezogener Stress, der Studierenden zu schaffen macht", bilanzierte der Hohenheimer Marketing-Professor Markus Voeth. "Dazu zählen neben Vorbereitungszeiten auf Prüfungen und dem Anfertigen der Abschlussarbeit die allgemeine Arbeitsbelastung durch das Studium sowie der Stoffumfang in Lehrveranstaltungen." Weniger ins Gewicht fielen dagegen "bekannte Stressoren des Alltags wie die Pflege von sozialen Kontakten oder die ständige Erreichbarkeit durch die modernen Medien".

In NRW studiert es sich besonders stressig
Differenziert nach Bundesländern, steht Nordrhein-Westfalen an der Spitze der Stresswert-Tabelle, vor Sachsen-Anhalt, dem Saarland und Sachsen. Offenkundig geht es in Bremen, Brandenburg, Bayern und Rheinland-Pfalz für Studierende insgesamt ruhiger zu. In NRW liegt der durchschnittliche Stresswert 6,5 Prozent oberhalb des Bundesdurchschnitts und 18 Prozent über den der Studierenden in Rheinland-Pfalz.

Stresslevel von Studenten bezogen auf die deutschen Bundesländer

Uni-Stress verursacht gesundheitliche Probleme
Kommt im Studium Stress auf, äußert sich dieser bei den Betroffenen in unterschiedlicher Form: Am häufigsten wurden Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten sowie Lustlosigkeit genannt. Abhilfe könne durch mehr Unterstützung von außen geschaffen werden, sagte AOK-Vorstandschef.

Martin Litsch: "Die Hälfte der Studierenden wünscht sich den Ausbau von Beratungsangeboten zur Stressbewältigung durch die Hochschule und externe Organisationen." Angesichts drohender Gesundheitsprobleme durch Stress oder möglicher Suchtgefahren müssten die Krankenkassen das Thema ernst nehmen, "es geht hier nicht nur um Befindlichkeiten".

Work-Life-Balance bereits im Unialltag wichtig
Die AOK-Studie stellte außerdem fest, dass Mehrfachbelastungen von Studierenden nicht automatisch zu noch mehr Stress führen müssen. Studenten mit einem Nebenjob seien "nicht mehr, teilweise sogar weniger gestresst als Studenten, die sich ausschließlich aufs Lernen fokussieren", hob Kassen-Vorstandschef Litsch hervor. Ähnliches gelte für Studenten mit Kindern. Hier zeige sich offenbar, dass eine gute "Work-Life-Balance" zwischen dem Studentenleben und der Ablenkung durch andere Dinge durchaus stressreduzierend wirken könne.

Studenten sind besonders an Fachhochschulen gestresst
Rund 56 Prozent der Studierenden an Fachhochschulen haben ein hohes Stresslevel. An Universitäten sind es rund 52 Prozent mit hohem Stresslevel. Unterschieden zeigen sich in der Studie auch zwischen privaten und staatliche Studierenden. Der überdurchschnittliche Stresslevel bei Studenten an einer staatlichen Hochschule liegt bei 100,3 Prozent, an privaten Hochschulen liegt er darunter mit 97,3 Prozent. Erfahrungen im vorhergegangen Studium scheinen Studenten zugutezukommen. Bachelor-Studenten sind gestresster, unter weniger Stress leiden Promotionsstudierende.

Stresslevel der Studenten bezogen auf die Hochschuleformen

Studenten der Wirtschaftswissenschaften unterdurchschnittlich gestresst
Das Stresslevel von Studierenden der Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften liegt mit 98,8 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Verglichen mit dem Stresslevel von Veterinärmedizin-Studenten sind Wirtschaftsstudenten 6,8 Prozent weniger gestresst. Das geringste Stresslevel weisen Sportstudenten auf. Der durchschnittliche Stresslevel liegt hier bei 87,2 Prozent.

Stresslevel der Studenten bezogen auf die Studienfachrichtungen


Download AOK-Studie [PDF, 85 Seiten - 5,0 MB]
Studierendenstress in Deutschland - eine empirische Untersuchung


Bildquelle: AOK-Mediendienst

Stress im Studium - Psychologe Hans-Werner Rückert von der Freien Universität Berlin im Gespräch
Wer es nicht alleine schafft, mit den Belastungen positiv umzugehen, sollte sich Hilfe organisieren. Der Leiter der Studienberatung und Psychologischen Beratung der Freien Universität Berlin, Diplom-Psychologe Hans-Werner Rückert bespricht die Ängste und Nöten von Studenten im Interview.


Wissenszuwachs hat nicht nur positive Seiten. Bei einem Teil von Studierenden löst er erheblichen Stress aus. Die aktuelle AOK-Studie belegt das. Statt gezielt zu lernen, lassen sich Studenten oft ablenken und verschenken wertvolle Zeit, beobachtet auch Hans-Werner Rückert: Er kennt einfache Wege, Stress zu vermeiden. Der Diplom-Psychologe berät Studierende an der Freien Universität Berlin.

Hans-Werner Rückert: Nicht alle sind bereit, sich zu disziplinieren und das Handy auszuschalten, sondern viele versuchen alles unter einen Hut zu bringen. Und im Zweifel ist natürlich der Griff zum Smartphone, um zu gucken, was sich auf Facebook tut, das klassische neue Medium... ´als ob das ein Verhalten ist, dass wirklich etwas bringt.

Als ein Problem erweist sich auch die Leistungsdichte mancher Studienfächer. Obwohl die Leistungen erst am Ende eines Semesters geprüft werden, kann das bereits zu Studienbeginn Stress und Ängste auslösen.

Hans-Werner Rückert: Die Anforderung ist ja 180 Leistungspunkte in drei Jahren zu erbringen, und die Angst, auch die irrationale Angst, die im System ist, lässt Studienanfänger schon fragen, was passiert, wenn ich nur 28 Leistungspunkte erbringe? Fliege ich dann raus oder was geschieht dann eigentlich?

Belastend wird auch die Umstellung von Studiengängen- und abschlüssen auf einheitliche europäische Norm wahrgenommen. Die als Bologna-Prozess bekannte Neuausrichtung bei Hochschulen und Universitäten erleben Studenten ganz unterschiedlich. Aber im Endergebnis überwiegen für sie die Nachteile.

Hans-Werner Rückert: Einerseits, insbesondere in den Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften wegen der Stofffülle. Man hat ja damals am Anfang der Bologna-Reform einfach die alten Diplomstudiengänge in kürzere Studiengänge reingequetscht. Mit dem Ergebnis einer völligen Überfrachtung. Und die Geistes- und Sozialwissenschaftler leiden zum Teil darunter, dass ihre Wahlfreiheit beschnitten wurde, dass sie nicht so frei sich bedienen können wie sie es gern tun würden.

Bemerkenswert sind Ergebnisse der AOK-Studie, wonach Studenten, die neben ihren Vorlesungen einem Teilzeitjob nachgehen, sich nicht mehr und teilweise sogar weniger gestresst fühlen als Kommilitonen, die nicht arbeiten gehen. Das legt nahe, dass Erwerbstätigkeit zumindest in geringem Umfang dazu anhält, sich seine Zeit gut einzuteilen. Diesen Tipp gibt Diplom-Psychologe Hans-Werner Rückert auch Studierenden, die bei ihm Rat nachsuchen.

Hans-Werner Rückert: Wenn jemand glaubt, ich kann 24 Stunden arbeiten, ist das ein inflationärer Gebrauch der Zeit. Wenn ich mich darauf einigen kann, dass ich drei Stunden Qualitywork machen will und das gut platziere, meine Arbeit gut vorbereite, habe ich dann einen sorgfältigeren und besseren Umgang mit der Ressource Zeit.

Stress im Studium wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. So sind im Durchschnitt Studentinnen gestresster als männliche Kommilitonen. An staatlichen Universitäten ist man gestresster als an privaten Einrichtungen, und Bachelorstudenten fühlen sich mehr belastet als Studierende anderer Abschlussarten. Auch darüber gibt die Studie der AOK Auskunft.