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Köhler-Rücktritt - Eine Frage der Ehre

General-Anzeiger: Gut möglich, dass Horst Köhler diesen Schritt einmal bereuen wird.

Ein Ausschnitt vom Schloß Bellevue in Berlin mit der Deutschland- und Europaflagge.

Köhler-Rücktritt - Eine Frage der Ehre
Bonn, 31.05.2010 (ots) - Horst Köhler wollte nicht mehr. Er war tief getroffen, verletzt. Horst Köhler hat aufgegeben, mit Tränen in den Augen. Horst Köhler lässt ein Land, seine Bürgerinnen und Bürger und die politisch Verantwortlichen ratlos und fragend zurück. Es kann doch nicht wirklich sein, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Bundespräsident zurücktritt, nur weil er wegen seiner in der Tat ungeschickten Äußerungen zur Afghanistan-Politik kritisiert wird. Dieser Vorgang ist nicht der Grund des Rücktritts. Dieser Vorgang darf es auch nicht sein, weil er im politischen Koordinatensystem nicht wichtig genug für eine derart bedeutende Entscheidung ist. Nein, der Afghanistan-Streit war nicht die Ursache des Rücktritts, er war nur der Auslöser. Dieser letzte Tropfen brachte das Fass zum Überlaufen.

 

Horst Köhler, der Bürger-Präsident, ist bei den Menschen beliebt. Als er 2004 antrat, kannten ihn die wenigsten. Er hatte sich bis an die Spitze des Internationalen Währungsfonds gearbeitet. Doch das ist kein Posten mit großer Außenwirkung. Plötzlich war er da - und überzeugte. Er mischte sich ein, authentisch und glaubwürdig. Er scheute keine Konflikte, auch nicht mit der Bundeskanzlerin. Seine erste Amtszeit verlief unterm Strich erfolgreich, weil er ein Gespür für die Nöte und Sorgen der Menschen mit ins Amt brachte, weil er widersprach, weil er etwa in der Finanzkrise mit klaren Worten die Auswüchse der weltweiten Börsenzockerei kritisierte und verbindliche Regeln forderte. Doch seit seiner Wiederwahl fand Köhler nicht zu seinem Rhythmus zurück. Wo ist Köhler? Eine Frage, die in den vergangenen Wochen und Monaten mehr als einmal im Land gestellt wurde. Es gelang dem Bundespräsidenten nicht, Visionen zu entwickeln, Perspektiven aufzuzeigen. In Zeiten der Wirtschafts-, Finanz- und Eurokrise drang er nicht mehr durch, er war nicht präsent.

 

Der Respekt vor dem Menschen Horst Köhler gebietet es, seine Entscheidung zu respektieren. Der Respekt vor der Würde des Amtes hingegen muss die Frage erlauben, ob ein Bundespräsident auf diese Art und Weise aufgeben darf. Horst Köhler hat alles hingeworfen und lässt das Land in einer schweren Krise allein zurück. Insofern hat er dem Amt möglicherweise mehr geschadet als die harsche Kritik der Opposition an seinen Afghanistan-Äußerungen. Andererseits lässt seine Entscheidung auch Rückschlüsse auf den Grad der Entfremdung zwischen Bundespräsidialamt und Bundeskanzleramt zu. Schwarz-Gelb hatte ihn einst ins höchste Staatsamt gebracht, jetzt musste Köhler mit ansehen, wie "seine" Bundesregierung in die Amtsperiode stolperte.

 

So muss es für den Finanzexperten und aufrechten Mann Köhler ein Graus gewesen sein, wie sich die Politik in den Monaten zwischen der Bundestagswahl und der NRW-Landtagswahl um Entscheidungen drückte, wie die Bundesregierung in der Steuerdiskussion lavierte und aktuell eine dramatische Kehrtwende von der Steuersenkungs- zur Steuererhöhungsdebatte vollzieht. Was bedeutet Horst Köhlers Schritt für die Bundeskanzlerin und ihre Regierung? Zunächst einmal hat Angela Merkel mit der Nachfolge-Frage eine weitere große Herausforderung vor sich, die ihr in Zeiten fundamentaler Entscheidungen in der Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik sehr ungelegen kommt. Zudem ist die Kanzlerin angeschlagen. Die NRW-Wahl war für sie eine schallende Ohrfeige, der schlechte Start von Schwarz-Gelb in Berlin wird auch ihr angelastet, im Griechenland-Euro-Streit machte sie keine gute Figur, und der angekündigte Abgang von Roland Koch hinterließ einen faden Beigeschmack. Denn nach Friedrich Merz verlässt mit dem hessischen Ministerpräsidenten erneut einer der kompetenten, streitbaren CDU-Hoffnungsträger die Politik - sicherlich auch, weil er zu den konservativen Politikern gehört, die in der Partei unter Führung von Angela Merkel keine politische Heimat mehr sehen.

 

Da schließt sich der Kreis zum Rücktritt Horst Köhlers: Welchen Anteil hat die Politik der Bundesregierung unter Angela Merkel an der Entscheidung des Bundespräsidenten? Eine Frage, die sich derzeit noch nicht beantworten lässt, die aber im Raum steht und der Kanzlerin nicht gefallen wird, weil sie weitere, seit langem latent vorhandene Fragen provoziert: nach ihrem Führungsstil und der inhaltlichen Ausrichtung der Christdemokraten. Die Entscheidung über die Nachfolge könnte ein Signal auf der Suche nach den Antworten sein. Der Rücktritt des Staatsoberhauptes trifft das Land, die Bundesregierung und damit die Bundeskanzlerin in einer schweren Zeit. Gut möglich, dass Horst Köhler diesen Schritt einmal bereuen wird.

 

Von Andreas Tyrock

Foto: Kugler, Steffen