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Der schwierige Weg zur Freihandelszone in Nord- und Südamerika

Von freiem Handel versprechen sich viele Regierungen mehr Wohlstand für alle. Dennoch zögern die meisten Länder, den Schutz ihrer eigenen Wirtschaft zu mindern und Handelsbarrieren abzubauen. Der Tübinger Volkswirtschaftswissenschaftler Prof. Heinz Gert Preuße hat unterschiedliche Prozesse der freien Handelspolitik in den Staaten Nord- und Südamerikas näher untersucht.

Machu Picchu, die berühmte Inkastadt in Südamerika.

Der schwierige Weg zur Freihandelszone in Nord- und Südamerika
Tübingen, 17.11.2004 (idw) - In der Handelspolitik wird viel taktiert: Staaten wollen ihre eigenen Produkte oder Dienstleistungen exportieren. Sie zögern aber, die eigenen Märkte für andere Staaten im selben Maß zu öffnen. Dennoch gab es immer wieder auch Bemühungen, Zollunionen zu schließen und Handelsbarrieren abzubauen. In der Sprache der Volkswirtschaftswissenschaftler heißt Regionalisierung die Entwicklung hin zu offenem Handel für eine begrenzte Zahl von meist regional eng beieinander liegenden Staaten. Prof. Heinz Gert Preuße vom Wirtschaftswissenschaftlichen Seminar der Universität Tübingen hat die wirtschaftspolitischen Entwicklungen in Nord- und Südamerika untersucht, die einen deutlichen Trend zur Regionalisierung zeigen. Der Forscher hat aber auch festgestellt, dass der freie Handel in dieser Region noch lange nicht Wirklichkeit geworden ist.

»In Europa gab es mit der Europäischen Gemeinschaft und der EFTA erste Bemühungen seit den 1950er-Jahren zu mehr Regionalisierung«, erklärt Heinz Gert Preuße. In der EFTA (European Free Trade Association) und der EG gilt seit 1967 prinzipiell Zollfreiheit. In den USA, so Preuße, sei die Wende zum Regionalismus erst in den 1980er- und 1990er-Jahren vollzogen worden, mit der Gründung der NAFTA (North American Free Trade Agreement). Dieser Nordamerikanischen Freihandelszone, die im Jahr 1994 in Kraft trat, gehören die USA, Kanada und Mexiko an. »Zuvor ist man in den USA in der Handelspolitik zweigleisig gefahren: Zum einen hat man mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) einen multilateralen Weg verfolgt, zum anderen hat man versucht, unilateral den Zugang zu anderen Märkten zu forcieren«, sagt Preuße.

Anfang der 80er Jahre sei als dritter Weg die regionale Option hinzugekommen. Im GATT seien Zollunionen zwischen einzelnen Ländern eigentlich nur als Ausnahmetatbestand zugelassen, erklärt Preuße: »Hintergrund ist, dass das GATT, als eine dem Multilateralismus verpflichtete Institution das Prinzip verfolgt, kein Land im Handel zu diskriminieren.« Regionalisierung bedeute aber, Nichtmitglieder auszuschließen. Ein besonderes Problem der Ausweitung des Regionalismus besteht darin, dass die Abkommen in unterschiedlicher Weise ausgestaltet werden und sich in ihren handelspolitischen Regelungen überlappen. Ein solches Durcheinander verschiedener handelspolitischer Ansätze ist auch in Amerika zu beobachten. Es hat den US-Ökonomen Jagdish N. Bhagwati dazu bewogen, vom »spaghetti bowl regionalism« - Spaghettischüssel-Regionalismus - zu sprechen, eben einem schwer entwirrbaren Durcheinander vieler (Anreiz)Stränge.


Andenpakt, Mercor und NAFTA
Versuche zur Schaffung gemeinsamer Märkte gab es in Amerika viele. In Lateinamerika folgte parallel zum Andenpakt und dem mittelamerikanischen Markt der Mercosur (Mercado Común del Cono Sur - Gemeinsamer Südamerikanischer Markt), in dem sich mit Inkrafttreten 1991, einer Zollunion seit 1995, Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zusammengeschlossen haben, assoziiert sind Chile und Bolivien. »Der Mercosur sollte Brasilien und Argentinien auch politisch enger aneinander binden«, erklärt Preuße. »Im Norden versuchten die USA, mit der NAFTA zur Stabilisierung der politischen und ökonomischen Situation in Mexiko beizutragen. Auch Mexiko wollte die eigenen Reformen absichern. Denn ein überstaatliches Gebilde kann einem Staat manchmal helfen, sich gegen starke Interessengruppen im eigenen Land durchzusetzen und so ein entwicklungsfreundlicheres Klima aufzubauen.« Mexiko wollte nach Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers Ende der 1980er-Jahre ursprünglich die Handelsbeziehungen zu Europa stärken, um seine Abhängigkeit von den USA abzubauen. Dort war man jedoch durch den Fall der Berliner Mauer mit sich selbst beschäftigt. So versuchte Mexiko über die NAFTA, sich einen Markt in den USA zu sichern.

Bei NAFTA und Mercosur lief die zeitliche Entwicklung unterschiedlich. »In der NAFTA hat sich ein auch Nichtmitgliedern gegenüber offener Regionalismus entwickelt. Der nordamerikanische Handel ist zu etwa 95 Prozent von Zöllen befreit«, sagt Preuße. Ökonomisch sei die NAFTA ein Erfolg, politisch aber unpopulär. Wirtschaftliche Misserfolge würden allgemein in den USA und Mexiko der NAFTA angelastet. »Die Grundstimmung in den USA zeigt dadurch erkennbare Tendenzen gegen den internationalen Freihandel«, meint der Forscher. Der Mercosur sei in den ersten Jahren sehr erfolgreich gewesen.

»In Lateinamerika wurden die Handelsschranken in bewundernswerter Weise niedergerissen«, berichtet Preuße. Doch durch externe Schwierigkeiten wie die schweren Krisen in Asien und Russland sowie auf Grund erneuter eigener Fehlentwicklungen sei das ganze Projekt ins Stocken geraten. »In entscheidenden Fragen wie zum Beispiel beim Automarkt ist man zu alten Regelungen zurückgekehrt und erhebt noch immer hohe Zölle. Mit der Brasilienkrise 1999 und dem Crash in Argentinien 2001 drohte auch der Mercosur zu scheitern«, so der Wissenschaftler. Nach diesen Erfahrungen sei offen, ob das Konzept der offenen Regionalisierung in Lateinamerika überhaupt noch lebensfähig sei. Dennoch sei die Regionalisierung zumindest theoretisch schon weiter gedacht worden: Auf dem ganzen amerikanischen Kontinent - ausgeschlossen ist nur Kuba - soll eine gemeinsame Freihandelszone entstehen, FTAA - Free Trade Area of the Americas. »Das Abkommen ist in Europa nicht sehr bekannt und auch noch nicht ausdiskutiert, soll aber bereits zum Januar 2006 in Kraft treten«, sagt Preuße.
 


spaghetti bowl regionalism
Offen bleibt, ob die Freihandelszonen und die weiterführenden Integrationsabkommen ihren Namen verdienen und tatsächlich zum Multilateralismus führen werden. Als eine große Gefahr sieht Preuße den »spaghetti bowl regionalism«. So sind in Amerika bereits groteske Situationen zu beobachten: NAFTA ist eine Freihandelszone zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Kanada unterhält eine weitere Freihandelszone mit Chile. Mexiko und die USA jeweils auch, aber Chile durfte bislang nicht in der NAFTA sein. Die Crux sei, dass zwar der Freihandel propagiert werde, aber überall Ausnahmen von diesem Prinzip definiert werden. Dabei steigen die Transaktionskosten im Handel.

Zum Beispiel werden in der Freihandelszone Ursprungsregeln aufgestellt, nach denen ein Produkt zu einem bestimmten Prozentsatz in den Mitgliedsländern produziert sein muss, um zollfrei zu bleiben. »Nun hat ein Kontinent vielleicht 20 oder 30 Freihandelsabkommen; der Nachweis der Einhaltung der Ursprungsregeln wird dann oft so teuer, dass mancher Ex- und Importeur lieber gleich die Zölle zahlt, statt den Nachweis zu erbringen.« So könnte sich der Regionalismus selbst ad absurdum führen. »Mit der amerikanischen Freihandelszone FTAA könnte man dem begegnen, wenn es gelänge, auf diese Weise das spaghetti bowl-Syndrom zu überwinden«, meint der Forscher. Wenn es schlecht läuft, kommt allerdings nur eine neue Portion Nudeln in die Spaghettischüssel - und das steht nach Ansicht von Preuße durchaus zu befürchten.

Weitere Informationen
Prof. Heinz Gert Preuße
Wirtschaftswissenschaftliches Seminar
Volkswirtschaftslehre - Wirtschaftspolitik
Melanchthonstraße 30
72074 Tübingen
Tel.: 07071. 297 41 50
Fax: 07071. 295 534

Prof. Heinz Gert Preuße hat sein Forschungsprojekt zum amerikanischen Regionalismus auch als Buch veröffentlicht:

The New American Regionalism
von Heinz G. Preuße Edward Elgar Publishing
ISBN 1-84376-612-4