Re: Arbeitszeugnis Formulierungen
Hallo Thorsten,
gerne werde ich Deiner Bitte entgegen kommen und Dir meine Eindrücke schildern.
Nach mehrmaligem Durchlesen ergibt sich für mich ein sehr wohlwollender Gesamteindruck. Dennoch existieren gravierende Mängel: Das Zeugnis selbst wurde meines Erachtens von unkundiger Hand unter ausschließlicher Zuhilfenahme eines Buches der Zeugnisliteratur geschrieben. Indizien sind hier über einen sehr ungewöhnlichen und charmanten Formulierungsstil hinaus vor allem aber in stilistischen Mängeln hinterlegt, die in falscher Komponentenanordnung, Wiederholungen und den Ansätzen von Widersprüchen münden. Das so genannte „Innere Gefüge“ des Zeugnisses ist schwach ausgeprägt, da die einzelnen Komponenten nicht zweifelsfrei miteinander harmonieren. Der Schreibstil ist insgesamt wenig fließend, dem Zeugnis mangelt es gewissermaßen an der geforderten „schlichten Eleganz“. Es wirkt daher auf mich - insbesondere durch seine behelfsmäßige Aneinanderreihung von Formulierungen – auch nicht sehr authentisch und persönlich. Dies wird dem Autor beim Verfassen jedoch sicherlich nicht bewusst gewesen sein und für einen kundigen Personaler in Gänze schnell ersichtlich.
Sehr interessant – aber für eine Analyse hier nicht maßgeblich – wäre natürlich der gesamte Zeugnistext gewesen, da ich angesichts des semiprofessionellen Zeugnisstils Zweifel hege, dass sich die Anforderungen der beschriebenen Aufgaben mit den vorgenommenen Bewertungen und Persönlichkeitsumschreibungen sinnstiftend decken. Stil und gewählte Formulierungen lassen mich bereits eingangs zu dem Schluss kommen, dass es sich bei vorliegender Schrift wahrscheinlich um ein Zeugnis der öffentlichen Hand handelt. Wenngleich eine Zuordnung schwer fällt, würde ich den Aussteller aufgrund einiger markanter Details auf die Bundeswehr eingrenzen. Aber das nur als Vermutung am Rande, was sagt das Zeugnis im Einzelnen aus?
Die ersten beiden Sätze entstammen überwiegend dem Bereich der Arbeitsmotivation. Der Eingangssatz beginnt dabei durchaus ungewöhnlich mit einer Persönlichkeitsbeschreibung. Die verwendeten Signalwörter des gesamten Konstrukts lassen dabei Raum für Noten von „gut“ bis „gut – sehr gut“. In einem professionellen Zeugnis würde man die offene Aussage
„Herr XXX ist ein ruhiger ausgeglichener Mitarbeiter“ nur sehr unwahrscheinlich vorfinden. Gleiches gilt für den folgenden Satz, der sehr unglücklich konstruiert wurde, da man hier hinein interpretieren könnte, dass die Sorgfalt gerade einmal den Anforderungen entsprach – das ist jedoch sicherlich nicht gemeint gewesen. Die letzten beiden Sätze in diesem Abschnitt befassen sich mit dem Fachwissen, den beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten. Die Intention des Autors wird hier in einer „guten“ Note liegen, die jedoch leicht abgeschwächt wirkt.
Der nächste Absatz beginnt mit Aussagen, die das Kind beim Namen nennt, „stets über unseren Erwartungen“ lässt sich aufgrund des Kontextes mit „gut“ deuten. Dem nächsten Satz, der vor allem Aussagen zur Belastbarkeit und Ausdauer trifft, eine eindeutige Note zuzuordnen, fällt nicht ganz leicht, da hier (wie an anderen Stellen auch) Beurteilungselemente („voll belastbar“ = gut ) auf rudimentäres Zeugnisdeutsch treffen. Wahrscheinlich sollte hier tatsächlich ein „sehr gut“ vergeben werden. Der Absatz schließt mit der Hervorhebung einiger Merkmale bei der Arbeitsweise ab. Insgesamt fallen in diesem Teil des Zeugnisses gleich zwei Wiederholungen auf, die schnell aufzeigen, dass der Autor keine aufeinander abgestimmten Formulierungen vorgenommen hat und somit keine homogenes Bild aufzubauen vermag. Gerade dies jedoch mindert die Aussagekraft eines Zeugnisses. So stehen „absolut zuverlässig“ und „zuverlässig“ im nächsten Satz notentechnisch nicht im Einklang, zumal eine Wiederholung redundant ist. Auch wiederholt sich der Begriff der „Sorgfalt“ aus dem ersten Absatz. Dabei entstammen weder „nötige Sorgfalt“ noch „Akribie und Genauigkeit“ einem Fundus, der ein wohl formuliertes Zeugnis ergibt.
Der dritte Absatz verschlüsselt „gute“ bis „sehr gute“ Noten zur Arbeitsweise und zum Arbeitsergebnis. Die unbeabsichtigte Einschränkung durch „im Rahmen seiner Befugnisse“ sowie die unkonventionelle Verwendung der Wörtchen „stets“ und „immer“ im gesamten Zeugnistext unterstreichen übrigens die fehlende Kompetenz des Autors. Angedacht war hier sicherlich, aufzuzeigen, dass der Mitarbeiter keine ungesunde Selbstständigkeit an den Tag legte. Wäre dies der Fall, würde ein professioneller Zeugnisschreiber allerdings mithilfe perfiderer Techniken und Verschlüsselungen eine Aussage hinterlegen (z.B. durch ständige Wiederholung der hohen Selbstständigkeit aber mit Widersprüchen im Arbeitsergebnis oder auch z.B. durch die Formulierung „Er arbeitete sehr nach eigener Planung“ = jedoch nicht nach der des Arbeitgebers), weswegen die Einschränkung hier obsolet und als Sicherheitsdenken des Arbeitgebers, sich bloß nicht aus Versehen falsch auszudrücken, auszulegen ist.
Gerade dieser Absatz wirft für mich die Frage auf, ob die Position des Mitarbeiters und die Aufgaben derart hoch und verantwortungsvoll waren, dass die „sehr gute[n] Ergebnisse ... wesentlich (!!!) zum Erfolg beitrugen“ oder ob es sich hierbei nicht eher um eine Standardformulierung eines Buches handelt, die vielleicht doch nicht so passend ist... Da dem gesamten Zeugnis übrigens eine zusammenfassende Leistungsbeurteilung fehlt, muss das Arbeitsergebnis diese Lücke füllen.
Der vorletzte Absatz mit Formulierungen zum Sozialverhalten enthält Elemente, die eine „gute“ Note nahe legen. Das Wort „anerkannt“ wird jedoch zumeist bei befriedigenden Noten verwendet und ist daher fehl am Platze. Der Schlussabsatz ist klassisch, ihm ist nichts hinzuzufügen.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass der Autor ein Zeugnis im Notenspektrum von „gut“ bis „sehr gut“ erstellen wollte, aufgrund der fahrigen Vorgehensweise lässt sich jedoch nur ein positiver Gesamteindruck aufwärts der Note „gut“ mit Gewissheit verzeichnen.
antworten