Man sollte hier endlich mal differenzieren. Von 2007 bis 2015 ist die Studienanfängerquote von ca. 33% auf fast 60% gestiegen und hält sich seitdem auf dem Niveau. Das heißt 6 von 10 jungen Leuten studieren und 87% schaffen ihren Abschluss auch.
Ein großer Teil studiert davon BWL. Da die angesprochenen 60% erst 2015 erreicht wurden, ist dieser große Teil noch gar nicht auf dem Markt. Wer den jetzt schon kritisch sieht, wird sich in ein paar Jahren umsehen, denn dann wird aus der Flut ein Ozean, der nicht mehr versiegt.
Gleichzeitig sind es aber messbar nicht mehr echte Trainee- oder Einstiegsstellen geworden, sondern tendenziell weniger. Dabei klammere ich ganz bewusst die "Programme" aus, bei denen einfach die Ausbildung zum Traineeprogramm umbenannt wurde, weil man keine Azubis mehr bekommt, da die alle studieren. Das ist dann einfach Etikettenschwindel. Die Arbeit ist die gleiche. Die Bezahlung ähnlich mies, wenn nicht sogar mieser, wenn man die effektive Arbeitszeit berechnet, die ein Trainee hat, während der Azubi 2/5 der Zeit in der Berufsschule verbringt.
Bei den "richtigen" Einstiegspositionen gibt es dagegen seit ca. 2012 einen Trend, die Anforderungen immer mehr zu erhöhen und oft bereits einen Master zu fordern, was einfach daran liegt, dass man mit dem Qualitiätsniveau der gängigen Bachelors vollkommen unzufrieden war. Es geht hier wohlgemerkt nicht um jeden Bachelorabsolventen, sondern um die Kenntnisse der breiten Masse. Hinzu kam, dass es heute praktisch keine schlechten Noten mehr gibt und Noten daher immer weniger zur Segmentierung taugen. Credo: Es wird heute völlig anders ausgewählt, als noch vor 10 Jahren, weil die Noten und ein Studienabschluss immer weniger Aussagekraft haben, da die Anforderungen daran extrem gering sind.
Ein weiterer und immer wichtigerer Grund, warum es weniger echte Einstiegsstellen gibt, muss aber auch genannt werden. Das ist die Digitalisierung, die gerade im kaufmännischen Bereich, zu dem auch ein BWL-Studium gehört, immer mehr Stellen automatisiert und wegrationalisiert werden. Das nicht unbedingt durch Entlassungen. Oft läuft es so, dass ein Mitarbeiter in Rente geht und die Stelle einfach nicht mehr besetzt wird, weil man alles automatisieren kann. Dieser Trend wird sich die nächsten Jahre noch verfestigen und, glaubt man den Studien, 20 - 30% aller Arbeitsplätze kosten.
Da wir mitten in dieser beschriebenen Entwicklung stehen, ist es noch nicht sicher, wo alles endet. Der Trend geht aber dahin, dass wir eine akademisierte Jugend bekommen, die auf dem Papier zwar studiert hat, aber doch nicht ausreichend für den "neuen" Arbeitsmarkt qualifiziert ist und auch nicht nachgefragt wird.
Gleichzeitig fehlen diese "Neu-Studierten" in den anderen Lehrberufen und dort wird innerhalb von ein paar Jahren ein gigantischer Fachkräftemangel entstehen, wenn die Generation der Baby-Boomer der 50er- und 60er- Jahre endgültig in die Rente geht.
Das Einstieggehalt für einen BWLer jenseits der absoluten Spitzenleute wird daher tendenziell sinken und er wird nehmen müssen, was noch da ist. Gleichzeitig werden Fachkräfte in anderen Bereichen mehr verdienen als je zuvor. Für viele wäre daher eine Umorientierung absolut sinnvoll. Bereits heute sieht es bei allen Akademikern, die den Einstieg geschafft haben, für die ersten 2 Berufsjahre so aus:
- 14% arbeiten dauerhaft im Niedriglohnsektor
- 26% arbeiten für unter 15k
- 23% arbeiten für unter 36k
- 37% arbeiten für über 36k
Der Anteil derjenigen, die den Einstieg nicht geschafft haben, wird hier nicht berücksichtigt, denn sie werden in den Statistiken gar nicht erfasst, weil sie keinen Anspruch auf ALG I haben.
Für gut 63%, die den Einstieg geschafft haben, hat sich das Studium daher erst einmal nicht gelohnt. Man hätte mit einer Lehre vermutlich genauso viel oder mehr rausholen können. Bei den 37%, die über 36k in den ersten Jahren verdienen, verdient nur die Spitzengruppe das, was hier oft als Standard angenommen wird.
Hier muss man sich heute wirklich überlegen, ob man nicht auf das falsche Pferd gesetzt hat. Zumindest wenn man nicht zur Top-Gruppe gehört oder über Vitamin B besitzt.
Es wird allerdings noch Jahre benötigen, bis diese Realität in den Köpfen der Leute ankommt. Bis dahin gilt der "Studierte", dank des Images von vor Jahrzehnten, der ja irgendwann die Mehrheit der Bevölkerung stellt, als etwas Besonderes und genau dieses "Image" wird viele davon abhalten, sich neu zu orientieren und Jahre lang im fast-prekären Bereich aufzuhalten. Ein Traum für den Arbeitgeber, der so für einfachste Bürojobs freie Auswahl hat.
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