Fenster schließen

Druckansicht http://www.wiwi-treff.de/Off-and-Online-Marketing/Bundestagswahl/Interview-zum-Thema-Marketing-und-Politik-Teil-1/Artikel-350/drucken

Off & Online-MarketingPolitik-Marketing

Interview zum Thema Marketing und Politik Teil 1

Aus Anlass der Bundestagswahl sprachen wir mit den Marketing-Experten Thomas Butter, Katharina Srnka und Dion Fuchs. Das Gespräch führte Marcus Ostermann.

WiWi-TReFF: Im aktuellen Bundestagswahlkampf treten die Mechanismen stark in den Vordergrund, mit denen die Parteien die Wähler überzeugen wollen. Kann man in diesem Bereich eine zunehmende „Professionalisierung“ der Politik beobachten, oder ist lediglich das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Mechanismen gewachsen?

Katharina J. Srnka: Zweifelsohne ist die Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber Ausmaß, Art und Stil des Kommunikationsauftritts politischer Akteure in der letzten Dekade erheblich gestiegen. Schließlich ist der Begriff „Politisches Marketing“ in den Medien immer stärker präsent, und dem Begriff „Marketing“ haftet, vor allem wenn es um Aspekte nicht unmittelbar ökonomischer Natur geht (das gilt insbesondere auch für „social marketing“ und andere Bereiche des „nonprofit marketing“), doch irgendwie etwas „Suspektes“ an.

Das Marketing politischer Akteure ist in den letzten Jahren auf jeden Fall enorm „professioneller“ geworden. Dies gilt nicht nur für Wahl und Einsatz der Kommunikationsinstrumente, für die in immer stärkerem Maße Experten zu Rate gezogen werden, sondern auch im Hinblick auf die verstärkte Ausrichtung an den Wählerwünschen und -erwartungen. Letzteres ist allerdings durchaus differenziert zu betrachten: So birgt die steigende „Kundenorientierung“ in der Politik die große Chance, eine solide Grundlage für ein „relationship marketing“ zu schaffen. Andererseits steigt, bei einer kurzsichtigen Betrachtungsweise, aber auch die Gefahr des reinen „campaigning“. Genau hier setzt auch unser Beitrag „Vom Wahlkampf zum POLIT-Marketing“ im Sammelband „Moderner Wahlkampf“ von Thomas Berg an.

Thomas Butter: Auch ich denke, dass die Professionalität des Politischen Marketings in den letzten Jahrzehnten beträchtlich gestiegen ist. Als Gründe für diese Professionalisierung ist zunächst der „Liberalisierungsprozess“ am Wählermarkt zu nennen. Die Anzahl der unentschlossenen Wähler kurz vor Wahlen steigt in den westeuropäischen Demokratien, d.h. es ist mehr Wählerpotenzial „am Markt“, um das es sich zu kämpfen lohnt.

Weiters verfügen politische Akteure über zunehmend geringeren Handlungsspielraum, da wichtige Entscheidungen zunehmend aus den Händen der Politiker auf supranationale oder wirtschaftliche Ebenen verlagert werden und Politik in hohem Maße auf Sachzwänge reagiert. Durch die dadurch geringer werdenden inhaltlichen Differenzierungsmöglichkeiten gewinnt die Differenzierung per Image und Emotion an Bedeutung. Die bereits angesprochene Bedeutung der Massenmedien verlangt ebenfalls eine mediengerechte, d.h. inhaltlich fokussierte und strategisch ausgerichtete Kommunikationspolitik.

Aus all diesen Entwicklungen ergibt sich die Notwendigkeit zu PM. Wenn wir einen historischen Blick wagen, so ist das zunehmende öffentliche Interesse an Politischem Marketing eindeutig mit der Entwicklung der modernen Medienlandschaft verbunden. Die an Umfragen, Wahlkampfstrategien und PM-Techniken orientierte Berichterstattung (im Amerikanischen treffenderweise oft als „horse race-journalism“ bezeichnet) erfüllt eines der wichtigsten Kriterien für Nachrichtenwert: „Konfliktträchtigkeit“. Über den leicht nachvollziehbaren „sportlichen Wettkampf“ der Kandidaten erschließt sich Politik eben für viele leichter als über oft komplexe Inhalte.

Obwohl daher Marketing in der Politik zunehmend thematisiert wird, gibt es Marketing im politischen Umfeld natürlich schon sehr lange - übrigens auch in nichtdemokratischen Staatsformen. Die „Brot und Spiele“-Politik im alten Rom kommt einem hier ebenso in den Sinn wie etwa auch die Stilisierung König Ludwigs XIV. zum „Sonnenkönig“, der so seine Macht zu legitimieren versuchte. Denkt man etwa an eine Leni Riefenstahl, so zeigt sich, dass auch die Macht der Bilder im politischen Umfeld schon früh erkannt wurde. 1952 wurden dann in den USA schon die ersten Fernsehspots ausgestrahlt. Letztlich begann auch mit der Entwicklung der elektronischen Massenmedien das, was wir heute oft im Sprachgebrauch als Politisches Marketing verstehen.

Dion Fuchs: Die Professionalisierung der Politik ist auf jeden Fall eng mit einem durch sozialen Wandel (Abnahme der Bindung von Wählern an Parteien, Abwendung von Politik, alternative nicht-parteipolitische bürgerliche Beteiligungsformen) und technologische Entwicklungen (Dominanz der Politikvermittlung über das Fernsehen, Verbreitung des Internets) verschärften politischen Wettbewerbsumfeld verbunden. Sie zeigt sich insbesondere auch im zunehmenden Einfluss von externen Wahlkampfmanagern, Demoskopen oder Werbe- bzw. PR-Agenturen, die die Wahlkampfführung von Parteien und Kandidaten immer mehr beeinflussen bzw. bestimmen, zumindest aber unterstützen. Weitere Stichworte in diesem Zusammenhang sind Kampagnen- und Kommunikationsfähigkeit, Spendenmanagement, Online- sowie Echtzeitwahlkampf.

Was ich aber Bezug nehmend auf Ihre Frage grundsätzlich sagen wollte: Konflikte, Strategien, Macht und Personen besitzen für die journalistischen Darstellungsmuster der massenmedialen Wahlkampfberichterstattung und -kommentierung traditionell einen hohen Stellen- bzw. Nachrichtenwert. Deshalb verwundert es nicht, wenn gerade diese Aspekte im Wahlkampf in den Medien bevorzugt thematisiert werden. Gleichzeitig ist in Deutschland seit einiger Zeit unbestritten eine kontinuierliche - häufig als Amerikanisierung bezeichnete - Professionalisierung der Akteure im politischen Wettbewerb zu verzeichnen. Dabei soll insbesondere die Wahlkampfführung - aber zunehmend auch die öffentliche Amtsausübung im Sinne eines „permanent campaigning“ - durch den systematischen Einsatz von Marketingmethoden und -instrumenten wirkungsvoller und effizienter gestaltet werden.

Die Bedeutung der Professionalisierung der Wahlkampfführung in der Praxis zeigt sich aber nicht nur in den Massenmedien, sondern auch am gestiegenen Interesse der Wissenschaft. So haben die Themen Politisches Marketing und Wahlkampfmanagement seit einiger Zeit besondere Konjunktur in der wissenschaftlichen Diskussion, wobei die Themen sowohl aus Sicht der politischen Akteure als auch aus Sicht der Politik bzw. Gesellschaft beleuchtet werden.

Auch wenn der Wahlkampf sich mehr und mehr von Inhalten zu lösen scheint: Geht diese Entwicklung tatsächlich mit einem schwindenden Interesse für politische Inhalte einher, oder geben diese bei der Wahlentscheidung letztlich doch den Ausschlag?

T. Butter: Auch wenn es zu diesem Thema divergierende Einschätzungen gibt, so gehen auch die selbstbewusstesten Politischen Marketer in der Regel von maximal einstelligen prozentualen Änderungen in der Wählergunst durch Politisches Marketing im Wahlkampfzeitraum aus. Diese wenigen Prozent können zwar vielfach wahlentscheidend sein, langfristig werden jedoch reine Kommunikationsmaßnahmen, hinter denen keine entsprechende Politik steht, nicht zum Ziel führen. Dies zeigt sich auch am kurzfristigen Erfolg populistischer Parteien, der meist endet, sobald sie neben ihrer Kommunikationsarbeit Regierungsverantwortung übernehmen müssen.

Größere Wählermassen sollten durch langfristiges (nicht nur zu Wahlkampfzeiten ausgeübtes) PM, das stimmig mit politischen Inhalten ist, kommuniziert werden. Denn PM ist nicht losgelöst von politischen Inhalten zu betrachten. Genausowenig wie im kommerziellen Umfeld Werbung ein schlechtes Produkt auf Dauer pushen kann, gelingt dies im Umfeld der Politik.

K. Srnka: Auch wenn ich dem grundsätzlich beipflichte, denke ich, dass es im politischen Bereich aus Kunden- bzw. Wählersicht nicht immer so eindeutig ist, welches Produkt (im Sinne der von der Partei/dem Politiker erbrachten „Leistung“) wirklich gut ist. Der Anteil der sogenannten „credence qualities“ ist hier sehr hoch. Der Begriff „credence“ steht hierbei für „glauben, vertrauen“ - der Wähler muss darauf vertrauen, dass die politischen Vertreter der Partei, für die er sich entscheidet, die kommunizierten Ziele tatsächlich auf bestmögliche Weise im Sinne und zum Vorteil der Bürger durchzusetzen versuchen. Hier, meine ich, gibt es unter der Bevölkerung vor allem anlässlich diverser Skandalfälle immer wieder berechtigte Zweifel. In diesem Zusammenhang ist auch die große Bedeutung der Personalisierung im PM zu erklären. Ein Aspekt übrigens, der vielfach sehr kritisch gesehen wird, vom psychologischen Standpunkt gesehen aber ganz logisch ist, denn: Eine Persönlichkeit verspricht Kontinuität im Handeln, und genau das erhofft und erwartet sich ein Wähler, wenn er sich für eine bestimmte Partei entscheidet.

Was die Relevanz politischer Inhalte betrifft, so sind hier demographische Aspekte, vor allem die Bildung, von Relevanz. Auch wenn es nicht die Massen sind, die sich intensiv mit politischen Themen auseinander setzen: Der einzelne Bürger merkt sehr wohl, ob sich der Alltag für sie/ihn besser gestaltet (Arbeitsplatzsicherheit, Kinderbetreuungsmöglichkeiten etc.), und das spielt bei der Wahlentscheidung in Anbetracht schwindender „Traditionswähler“ natürlich eine Rolle.

Problematisch wird es allerdings, wie wir wissen, bei unpopulären, langfristig aber notwendigen Maßnahmen (z.B. Kostenbeteiligung im Gesundheitswesen, Studiengebühren oder Änderungen bei den Pensionsregelungen). Genau hier setzen Wahlkampfmaßnahmen, vor allem der Opposition, ja vielfach an. Hier ist es, im Sinne eines langfristig orientierten POLIT-Marketings wichtig, sich nicht auf kurzfristig ausgerichtete Wahlkampfrhetorik einzulassen und zu hoffen, dass „der Wähler schnell vergisst“, wenn man erst die Wahlen gewonnen hat. Das mag jetzt sehr „theorielastig“ klingen. Faktum ist, der Konsument formt immer stärker konkrete Erwartungen, wird sich seiner Rolle als „Kunde“ immer mehr bewusst und ist immer mehr bereit, seiner Unzufriedenheit Luft zu machen. Dass dies nicht nur im klassischen Marketing der Fall ist, zeigen die zahlreichen, z.T. massiven Beschwerden von FPÖ-Wählern über die parteieigene Telefon-Hotline nach dem kürzlich erfolgten Rücktritt der österreichischen Vizekanzlerin, Frau Dr. Susanne Riess-Passer.

D. Fuchs: Die Frage, welche Einflussfaktoren in welcher Weise genau den Ausschlag bei der Wahlentscheidung geben, ist aus meiner Sicht aufgrund der hohen Komplexität des Entscheidungsprozesses des Wählers nicht eindeutig zu beantworten. Hier wirken viele kurz- und langfristige, rationale und nicht-rationale, bewusste und unbewusste Einflussfaktoren, die in ihrer Gesamtheit kaum zu erfassen sind. Die abnehmende Bedeutung von Inhalten - also insbesondere parteipolitischen Programmen und Themenstandpunkten - hängt stark mit (den in der vorherigen Frage bereits angeführten) veränderten Rahmenbedingungen des politischen Wettbewerbs zusammen. Dazu zählt insbesondere der weitreichende gesellschaftliche Wandel, in dessen Rahmen sich die traditionellen, einer bestimmten Partei verbundenen sozialen Milieus vielfach aufgelöst haben.

Durch den Rückgang stabiler Parteibindungen sowie die Zunahme von Wählern, die sich der Politik „verdrossen“ abwenden, hat sich das Potenzial an Wechsel-, Nicht- sowie Protestwählern erheblich erhöht. Eine Folge des politischen und gesellschaftlichen Wandels besteht zudem darin, dass sich parteipolitische Inhalte in wesentlichen Bereichen heute vielfach nicht mehr grundlegend unterscheiden und eine Ausrichtung hin zur politischen „Mitte“ zu verzeichnen ist. Parteien stehen deshalb vor der Herausforderung, sich im Wettbewerb nicht genügend über politische Inhalte positionieren bzw. differenzieren zu können. Dies erfordert neue Formen der parteipolitischen Kommunikation, um Wählerpotenziale zu erschließen bzw. auszuschöpfen.

Schließlich ist eine weitere Ursache für die Zurückdrängung von Inhalten in der zentralen Rolle der Massenmedien - insbesondere des Fernsehens - bei der Vermittlung von Politik zu sehen. Massenmediale Darstellungsformate (z.B. die knappe zur Verfügung stehende Zeit) eignen sich weitaus besser für symbolische Politikinszenierungen als für eine Darstellung abstrakter, komplexer politischer Entwürfe und Sachverhalte, die die Aufnahme- und Urteilsfähigkeit der Wähler weit überfordern.

T. Butter: Vielleicht noch ein Punkt dazu: Die oft überhöhten Erwartungen in die Macht des PMs dürften sich unter anderem dadurch ergeben, dass diese Darstellungen es den Medien erlaubt, auch Wahlkämpfe mit in der Wählergunst weit auseinander liegenden Parteien noch als spannend darzustellen. Andererseits liegt es natürlich auch im Interesse der PM-Berater, ihr Licht zumindest nicht unter den Scheffel zu stellen. Gutes PM kann jedoch auf die bestehenden inhaltlichen Stärken politischer Akteure hinweisen und helfen, jene Aspekte zu betonen, die - den demoskopisch erhobenen - Interessenlagen der Bevölkerung entsprechen. Werden jedoch unglaubwürdige, mit dem Akteur unstimmige Inhalte vermittelt, so wirkt PM meist kontraproduktiv, da es das höchste Gut eines Politikers - dessen Glaubwürdigkeit - unterminiert.

Sie als WirtschaftswissenschafterInnen betrachten Wahlkampf unter dem Aspekt des Politik-Marketings (kurz PM). Was ist darunter zu verstehen? Was unterscheidet PM von anderen Formen des Marketings? Welchen Stellenwert hat Wahlkampf im PM-Mix?

D. Fuchs: Gegenstand des PM ist in erster Linie die Anwendung von Marketingkonzepten und -methoden auf politische Akteure, insbesondere Politiker und politische Parteien. Dabei steht der Wahlkampf - also der Wettbewerb um Macht durch Mehrheit - traditionell im Mittelpunkt der Betrachtungen. Der Übertragung des Marketingansatzes auf politische Akteure liegt dabei insbesondere die Annahme grundsätzlich gleichartiger Austauschprozesse im kommerziellen und nicht-kommerziellen Bereich zugrunde, also z.B. Geld für eine Leistung versus Stimmabgabe für politische Leistungsversprechen.

Global betrachtet impliziert die Übertragung der Marketingkonzeption auf Parteien dabei sowohl eine Ausrichtung der parteipolitischen Aktivitäten an den Bedürfnissen und Interessen des Wählerpotenzials - unter Berücksichtigung der parteipolitischen Konkurrenz - als auch eine zielgerichtete Beeinflussung bzw. Steuerung des Wählerverhaltens. Insbesondere die Ausrichtung der Leistungsgestaltung an den Bedürfnissen und Interessen der Wähler unterscheidet das Marketing auch in diesem Zusammenhang von einem reinen Verkauf, dessen Ziel es ist, Käufer (oder auch Wähler) von einer bestehenden Leistung zu überzeugen und zum Kauf zu bewegen.

T. Butter: Politisches Marketing kann man vielleicht zunächst am besten definieren, indem man darüber spricht, was es nicht ist. Politisches Marketing ist nicht nur Kommunikation. Politisches Marketing ist auch keine Checklisten-Sammlung für Wahlkämpfe. Und Politisches Marketing stellt auch nicht vorrangig den Schlamm für die Wahlkampfschlacht zur Verfügung. Auch wenn die Kommunikationsinstrumente ein wichtiger Teil der politischen Marketinginstrumente sind, auch wenn operatives Wahlkampfmarketing so wichtig ist wie die Torausbeute im Fußball, und auch wenn „opposition research“ - das politische Pendant der „competitive intelligence“ - an Bedeutung gewinnt, so sind all dies nur Teilaspekte des Politischen Marketings.

D. Fuchs: Die Unterschiede zu anderen Formen des Marketings ergeben sich aus den besonderen Eigenschaften der politischen Leistungen und des politischen Wettbewerbs. Als Anbieter von komplexen politischen Dienstleistungen müssen Parteien z.B. verstärkt den Besonderheiten von Dienstleistungen Rechnung tragen. So impliziert beispielsweise die Immaterialität bzw. Nichtgreifbarkeit von Dienstleistungen und das dadurch bedingte hohe wahrgenommene (Wahl-) Risiko, den Wählerzielgruppen Kompetenz und Glaubwürdigkeit durch eine geeignete Kommunikations- und insbesondere auch Markenpolitik zu signalisieren und dabei ein positives Image aufzubauen.

Die Bedeutung von Personalisierungsstrategien im PM ist dabei eng mit der Immaterialität und Komplexität von politischen Leistungen bzw. der Unsicherheit über deren spätere Umsetzung verbunden. Obwohl der veränderte politische Wettbewerb mittlerweile zu einem erhöhten Bewusstsein für die Bedeutung des Marketingansatzes im parteipolitischen Bereich beigetragen hat, besteht bei politischen Entscheidungsträgern mitunter noch immer eine ausgeprägte skeptische bzw. ablehnende Haltung gegenüber einer systematischen Anwendung des Marketingansatzes bei politischen Parteien, die jedoch meist durch ein falsches Verständnis der Marketingkonzeption bedingt ist. In diesem Sinne wird PM häufig als Versuch verstanden, Parteien oder Kandidaten „wie Waschmittel zu verkaufen”. Ein zentraler Kritikpunkt ist dabei, dass die vom Marketing geforderte konsequente Orientierung an den Bedürfnissen und Wünschen der Wähler nicht mit den elementaren Aufgaben und Zielen politischer Führung vereinbar sei. Die grundlegende Befürchtung besteht vor allem darin, dass sich marketingorientierte Parteien zielgruppenpopulistisch und wahltaktisch verhalten und dabei langfristig gesellschaftlich erforderliche, aber unpopuläre politische Entscheidungen und Maßnahmen vernachlässigen.

Eine solche Auffassung vom Marketingansatz verkennt jedoch, dass eine Ausrichtung der Parteipolitik an den Bedürfnissen der Wähler nicht unmittelbar mit einer Anpassung an bestehende Bedürfnisse gleichzusetzen ist. Marketing ist vielmehr als eine Leitidee zu verstehen, die zum einen eine fundierte Analyse der Bedürfnisse und Einstellungen der Wähler und zum anderen eine Beeinflussung dieser Bedürfnisse und Einstellungen im Sinne der Notwendigkeiten politischer Führung erfordert. Darüber hinaus wirkt der Marketingansatz einem kurzfristigen und zielgruppenpopulistisch ausgerichteten parteipolitischen Verhalten entgegen, da er dem Aufbau und der Pflege von Glaubwürdigkeit und dem Image von Problemlösungskompetenz eine hohe Bedeutung für den langfristigen Erfolg von politischen Akteuren im Wettbewerb beimisst.

T. Butter: Richtig. Sichtweisen, die Politisches Marketing auf Wahlkampf oder kurzfristige Werbeaktionen verkürzen, führen zu inkonsistenten und oft nicht situationsangepassten Fehlschlägen. Vielmehr stellt politisches Marketing einen - in der Wirtschaft erprobten - strategischen Rahmen bereit, der es erlaubt, die Einzigartigkeit jeder PM-Situation zu analysieren, Zusammenhänge verschiedener PM-Prozessschritte zu erkennen und zu nutzen und auch dem langfristigen Charakter der Beeinflussung von Meinungen gerecht zu werden. Dazu stellt es auch eine Reihe von Instrumenten bereit, die aus der Wirtschaft übernommen, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten eingesetzt werden.

Wichtige Unterschiede des Politischen Marketings zum Marketing im Konsumgüterbereich sind etwa die geringe Anzahl der Mitbewerber sowie die enorme Bedeutung der relativen Stärke, was das besondere Konkurrenzverhältnis erklärt. Hinzu kommt natürlich auch die Besonderheit des zeitlich extrem konzentrierten Ressourceneinsatzes zu Wahlkampfzeiten sowie die Komplexität des Produkts Politik, welche die Notwendigkeit von langfristigen PM-Maßnahmen, die den Wahlkampf ergänzen, schafft. Der Politische Marketer ist oft auch mit einer wesentlich flüchtigeren Umwelt konfrontiert als sein „kommerzieller“ Kollege, da auf Attacken der Mitbewerber, gesellschaftliche und politische Ereignisse, Naturkatastrophen usw. reagiert werden muss. Der oft lange Zeitraum zwischen Wahlen erhöht zudem das Risiko im PM beträchtlich, denn die nächste Chance ist meist noch weit weg.

K. Srnka: Nach den sehr ausführlichen Stellungnahmen meiner Kollegen zum Politischen Marketing allgemein und dem Stellenwert des Wahlkampfs im PM im Besonderen, denen ich insgesamt beipflichte, möchte ich eigentlich nur noch eine zusammenfassende Einschätzung zu dieser Frage anbringen:

Der Wahlkampf ist sicher wichtig, sehr wichtig sogar. Dennoch schafft ein langfristig konsistentes, strategisch ausgerichtetes und laufend auf seine Zielorientierung einerseits und Stimmigkeit andererseits geprüftes PM die Grundlage für einen erfolgreichen und glaubwürdigen Auftritt in der Wahlkampfphase. So können vor allem in der Zeit zwischen den Wahlkämpfen politische Themen überdacht und - sofern notwendig - entsprechend adaptiert oder erweitert sowie neue Problem- und Aktionsfelder identifiziert werden. Standorte von Parteilokalen, aber auch solche für kurzfristige öffentliche Auftritte und Events, können überprüft, verändert, erneuert oder ergänzt werden, um in der „heißen“ Wettbewerbsphase vor den Wahlen gerüstet zu sein.

Dasselbe gilt für das Objektmanagement, vor allem aber auch für das Teammanagement. Jeder, der Mitarbeiter führt oder sonst in einem Team arbeitet, weiß: Motivation und Einsatzbereitschaft schafft oder erkauft man sich nicht kurzfristig; sie entwickeln sich über die Zeit der Zusammenarbeit. Selbst der kommunikative Auftritt in den Medien hat - besonders vor dem Hintergrund einer zunehmend sensibilisierten Öffentlichkeit (hier sind wir wieder bei dem in der ersten Frage angesprochenen Thema) - eine andere Qualität, je nachdem, ob es sich um einen kurzfristig massierten oder einen langfristig „vorbereiteten“ und immer wieder unterstützten Auftritt handelt. Schon rein psychologisch gesehen schafft laufende Präsenz - sofern nicht von Irritation begleitet, wohlgemerkt - höhere Sympathie!

Zur Fortsetzung Interview Teil 2.

 

Kurzporträt der Gesprächspartner

Dr. Katharina J. Srnka, Universitätsassistentin am Lehrstuhl für Marketing des Betriebswirtschaftszentrums an der Universität Wien. Im Jahr 2000 promoviert mit einer Arbeit über Ethik im Marketing. Katharina Srnka wurde mit dem Würdigungspreis des Österreichischen Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst sowie dem Dr.-Franz-Silbermayr-Preis ausgezeichnet.

Dipl.-Kaufm. Dion Fuchs, wiss. Mitarbeiter am Institut für Marketing und Handel der Universität St. Gallen. Seine Diplomarbeit befasste sich mit Dienstleistungsmarketing von politischen Parteien.

Mag. Thomas Butter verfasste seine Abschlussarbeit zum Thema Politisches Marketing. Derzeit ist er Inhouse Consultant im Trainee Team bei Philips Austria.

Literaturhinweis: Dion Fuchs / Thomas Butter / Katharina Srnka, Vom Wahlkampf zum POLIT-Marketing: Lehren aus verwandten Marketingbereichen, in: Thomas Berg (Hrsg.), Moderner Wahlkampf. Blick hinter die Kulissen, Opladen 2002 (ISBN 3-8100-3532-7), S. 231-258.