Fenster schließen

Druckansicht http://www.wiwi-treff.de/Off-and-Online-Marketing/Politik-Marketing/Interview-zum-Thema-Marketing-und-Politik-Teil-2/Artikel-372/drucken

Off & Online-MarketingPolitik-Marketing

Interview zum Thema Marketing und Politik Teil 2

Aus Anlass der Bundestagswahl sprachen wir mit den Marketing-Experten Thomas Butter, Katharina Srnka und Dion Fuchs. Das Gespräch führte Marcus Ostermann.

Die Heterogenität der Zielgruppen (der WählerInnen) stellt enorme Anforderungen an das PM der großen Volksparteien, die für Bindung in einem breiten politischen Spektrum sorgen müssen. Welche Marketing-Instrumente nutzen die Parteien, um diese Bindung zu erreichen?

D. Fuchs: Die erfolgreiche Integration von Wählersegmenten mit unterschiedlichen politischen Interessen und Zielen stellt in der Tat enorme Anforderungen an Parteien, insbesondere an die großen Volksparteien. Da eine wählersegmentabhängige Differenzierung der politischen Leistung in Form unterschiedlicher politischer Positionen in unterschiedlichen Segmenten nicht möglich ist, führt dies zu einer marketingpolitischen Herausforderung im Hinblick auf die Positionierung, die durch den Einsatz kommunikativer Instrumente zur Beeinflussung der Wahrnehmung der Parteianhänger wohl am besten bewältigt werden kann.

K. Srnka: Ich stimme dem grundsätzlich zu, sehe aber durchaus innerhalb der Großparteien das Bestreben, möglichst viele Interessen einer sehr breiten Wählerschicht jeweils segmentspezifisch verpackt - insoweit also durchaus kommunikativ unterschiedlich herangetragen - zu „bedienen“. Hier wird aus meiner Sicht aber eher eine „Multiple Segment-Strategie“ gewählt, in deren Rahmen die verschiedenen Segmente aber sehr wohl jeweils mit ihren spezifischen Themen, also ganz dem Marketinggedanken entsprechend, angesprochen werden.

T. Butter: Ich denke auch, dass politische Parteien in Anbetracht der angesprochenen Zielgruppenheterogenität meist ähnlich wie große Konzerne reagieren: Sie sorgen für Produkt-Diversität. Gerade große Parteien decken durch ihr breites Personalspektrum auch unterschiedliche Wählerschichten ab.

K. Srnka: In diesem Zusammenhang kommt der Markenpolitik große Bedeutung zu, wobei es sehr stark auf eine gelungene Kombination aus Partei- und Personenmarke ankommt.

T. Butter: Sicherlich. Während allerdings der Spitzenkandidat einer Partei oft die integrierende Person ist, die auch den politischen Mainstream abdeckt, stellen besonders liberale oder besonders konservative Politiker der „zweiten Reihe“ Andockstellen für Wähler dar, die nicht zur Kernklientel gehören. Ähnliche Strategien können auch durch „thematische Ausreißer“ verfolgt werden, indem Randthemen, die jedoch für einige Zielgruppen hohe Bedeutung besitzen (und den Mainstream nicht allzu sehr verstören), besetzt werden.

Auch die oft zahlreichen, zielgruppenspezifischen Parteiorganisationen (Pensionisten, Jugendliche, Berufsgruppen) helfen Volksparteien ebenso wie die strukturierte Medienlandschaft, ihre zielgruppenspezifischen Strategien umzusetzen. Damit solch zielgruppenspezifischen Maßnahmen jedoch nicht zu allzu unscharfer Positionierung, Verunsicherung der Wähler und Verlust der Glaubwürdigkeit führen, sorgt gutes PM dafür, dass keine dieser Aktionen die ideologische Basis der Partei verlässt - ein wichtiger Unterschied zu kurzfristig orientiertem Wahlkampfmarketing ohne PM-Einbindung.

D. Fuchs: Ich möchte kurz noch einmal den Punkt „Marke“ aufgreifen. Der hohe Stellenwert der Markenpolitik von politischen Parteien ist auch gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden parteipolitischen Personalisierungsstrategien zu sehen. In dieser Hinsicht ist zu verhindern, dass das von den Wählern und Mitgliedern wahrgenommene Parteiimage zu sehr von den Images der jeweiligen Spitzenpolitikern abhängt. Ziel muss es sein, ein langfristig stabiles Markenimage parteipolitischer Führungsfähigkeit und Kompetenz aufzubauen und zu pflegen. Es soll Wahlpräferenzen beim Wähler schaffen, die von einzelnen Kandidaten und programmatischen Standpunkten weitgehend unabhängig sind.

Die durch unterschiedliche sachliche Interessen und Ziele, aber natürlich auch durch persönliche Rivalitäten, bedingten innerparteilichen Konflikte sind aus Marketingsicht vor allem auch deshalb negativ zu bewerten, weil sie aufgrund ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit ein Marketingvorgehen erschweren: Aufgrund des hohen wahrgenommenen (Wahl-)Risikos kommt der Wahrnehmung einer innerparteilichen Geschlossenheit eine erhebliche Bedeutung für den Wahlerfolg zu.

Offen ausgetragene Zielkonflikte erhöhen das wahrgenommene Wahlrisiko bei den Wählern und bieten Angriffsflächen für den politischen Gegner. So hat die Wahlforschung die große Bedeutung der wahrgenommenen parteipolitischen Glaubwürdigkeit als Determinante des Wahlverhaltens identifiziert und gezeigt, dass innerparteiliche Zerstrittenheit trotz geringer Attraktivität des konkurrierenden politischen Angebots einen mitunter wesentlichen Erklärungsfaktor für Stimmenverluste oder gar Wahlniederlagen darstellen kann.

K. Srnka: Vielleicht noch ein Punkt zum Thema „Kundenbindung“. Ich habe sehr stark den Eindruck, dass die großen Parteien ein wenig dem allgemeinen Trend, wie er auch im Konsumgütermarketing zu beobachten ist, folgen: Alles strebt auf die „jüngeren“ Zielgruppen. Dieser Trend wird im PM sicher noch dadurch verstärkt, dass die ältere Wahlbevölkerung tendenziell noch am ehesten „traditionell“ eine bestimmte Partei wählt, während unter den jüngeren Gruppen eine solche „hard core-loyality“ kaum noch zu begründen ist.

Somit erscheint es grundsätzlich logisch, sich verstärkt auf diese Gruppe zu konzentrieren (wenngleich auch hier der Grundsatz nicht vergessen werden sollte, dass die Mobilisierung bereitwilliger Stammwähler eindeutig weniger Ressourcen kostet als die Gewinnung und Bindung von unentschlossenen oder gar „Fremdwählern“). Dennoch ist es ein allgemeines Phänomen, dass vor allem langfristig bindende Marketingaktivitäten - hier steht insbesondere die Einbindung in Jugendorganisationen, Wahlkampfunterstützung usw. im Vordergrund - auf immer jüngere Gruppen abzielen.

Inwiefern unterscheidet sich das PM der kleineren Parteien von dem der großen?

K. Srnka: Ich weiß nicht, ob man in dieser Hinsicht tatsächlich so einfach „kleinere“ und „große“ Parteien unterscheiden kann. Faktum ist, dass die meisten Marketingaktivitäten viel Geld kosten, und wer mehr Geld hat, kann eben auch mehr in Marketingmaßnahmen investieren. Andererseits haben kleinere Organisationen allgemein den Vorteil der größeren Flexibilität - im Konsumgüterbereich ist in diesem Zusammenhang von „Guerilla-Marketing“ die Rede. Darunter versteht man ein nicht systematisches Setzen von Marketingmaßnahmen, die auf ein klar definiertes Ziel gerichtet sind und - vor allem für die Mitbewerber - immer wieder überraschend gesetzt werden. Die Grünen haben sich in der Anfangsphase durchaus einer vergleichbaren Taktik bedient. Heute sehe ich auch bei kleineren Parteien eine sehr starke Systematisierung und „Professionalisierung“ des Marketings.

T. Butter: Allerdings haben Kleinparteien sicherlich den Vorteil, bei ihren zielgruppenspezifischen Maßnahmen nicht so sehr auf potenzielle Inkonsistenzen in ihrem politischen Programm achten zu müssen, da sie oft auf wenige Kernthemen und -zielgruppen konzentriert sind. Hinzu kommt, dass sie oft nicht in der Regierung vertreten sind und daher deutlich aggressiver agieren und ihre Vorschläge unabhängig von den mühsamen Niederungen der Umsetzung machen können. Gleichzeitig müssen kleine politische Parteien auch wesentlich provokativer agieren, um in die redaktionelle Berichterstattung Eingang zu finden und damit den geringeren Werbedruck aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen auszugleichen.

D. Fuchs: Im Vergleich zu den großen Volksparteien stehen kleineren Parteien geringere finanzielle und personelle Ressourcen für Marketingaktivitäten zur Verfügung, so dass sie oftmals auf professionelles Know-how nicht in dem gleichen Ausmaß zurückgreifen können, wie dies bei den großen Parteien der Fall ist. Dies versuchen kleinere Parteien teilweise durch kreative, innovative Ansätze auszugleichen, z.B. maßnahmengebundenes Spendenmarketing, größere Bürgernähe oder auch Satellitenplakate, die nur bei einem PR-Event präsentiert und somit über die Berichterstattung der Medien verbreitet werden. Zudem fokussieren sich kleinere Parteien in der Regel auf überschaubare, gut definierte Wählersegmente und bestimmte Regionen. Sofern kleine Parteien nicht nur nach Protest, sondern auch nach politischer Verantwortung streben, müssen sie zudem mögliche Koalitionsbildungen verstärkt bei ihren PM-Entscheidungen berücksichtigen.

Herr Butter, in ihrer POLIT-Studie zur Situation des PM in Deutschland und Österreich werden die fünf Bereiche des PM-Mix näher beschrieben. Welche Bereiche sind das, und in welchem Maß werden sie von den befragten Marketingverantwortlichen genutzt?

T. Butter: Der Name POLIT setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der fünf Bereiche des PM-Mixes zusammen: Politik-Management, Objekt-Management, L okalisierungs-Management, Info- & Kommunikations-Management und Team-Management. Im kommerziellen Marketing lässt sich diese Einteilung grob auf die vier Ps des Marketing-Mixes sowie das People-P des Dienstleistungsmarketings umlegen. Politik-Management bezeichnet die inhaltliche und zeitliche Planung politischer Themen.

Typische Aufgaben dieses Instruments sind etwa die Themenplanung und -generierung für bestehende und neue Zielgruppen sowie die zeitliche und inhaltliche Koordination politischer „issues“ über die Legislaturperiode. Die POLIT-Studie, die auf den Antworten von 52 nationalen und Bundesländerparteien basiert, zeigte, dass der Prozess der Themenauswahl im politischen Marketing meist im Rahmen der Interaktion von Parteigremien (Funktionären) und Partei-Management geschieht. Dabei lassen sich die Akteure von Marktforschungsdaten, der Aktualität von Themen und strategischen Überlegungen leiten.

Zeitlich orientieren sich die Parteien jedoch wesentlich mehr an kurzfristigen operativen Erfordernissen wie „Erscheinungsterminen und Redaktionsschluss“ als an langfristigen Überlegungen zur Themenplanung. Objekt- und Lokalisierungsmanagement beschäftigten sich mit der Frage der Gestaltung und geographischen Aufteilung all jener Objekte, die nicht unmittelbar zu den Kommunikationsmaßnahmen gezählt werden können. Hauptanwendungsgebiet dieser Instrumente sind Parteilokale, etwa deren Gestaltung und Standortplanung.

Diese Aspekte werden von den Parteien jedoch nur sehr selten beachtet, was angesichts der recht hohen Anzahl von Parteilokalen und des langfristigen Charakters von Entscheidungen im Objekt- und Lokalisierungsmanagement recht kritisch erscheint. So sind gerade Parteilokale eine der wenigen Chancen für direkten Bürgerkontakt außerhalb des Wahlkampfes; zudem wirken sie etwa durch Gestaltung, Architektur und Design auch auf die eigenen Mitarbeiter. Wesentlich mehr Beachtung als Objekt- und Lokalisierungsmanagement findet bei den Parteien das Info- und Kommunikations-Management.

So waren auch knapp die Hälfte der Antworten, die Parteimanager auf die Frage nach den „Top 4“ PM-Aktivitäten der letzten Jahre gaben, diesem Politik-Instrument zuzuordnen. Die Parteimanager setzten vor allem auf Aktualität, Status der Akteure und Personalisierung, um ihre Nachrichten medial „unterzubringen“. Team-Management befasst sich mit der Organisation, dem Training und der Motivation des PM-Teams, das ja sehr heterogen aufgebaut ist und Politiker ebenso umfasst wie PM-Berater und Freiwillige. Während Funktionäre, bezahlte Mitarbeiter und Mitglieder von den Parteien im Regelfall bewusst motiviert werden, erfährt nur ein Drittel der Freiwilligen solche Zuwendung.

Dies verwundert besonders, sind es doch gerade sie, die ihre Arbeitsleistung unentgeltlich erbringen und besonderer Zuwendung und Ausbildung bedürften. Dies mag auch die geringe Beteiligung von Freiwilligen im PM erklären, denn jene Parteien, die bewusst Maßnahmen für Freiwillige einsetzten, profitieren davon deutlich bei der Anzahl der sie unterstützenden Freiwilligen.

Ein Ergebnis Ihrer Untersuchungen ist die Favorisierung dauernder Beziehungen zwischen Politikern und Wählern im Sinne eines „relationship marketing“ gegenüber dem zeitlich beschränkten Wahlkampf, um längerfristige „Kundenzufriedenheit“ zu erreichen. Wahlkampf wird aber umso wichtiger, je größer die Gruppe der unentschlossenen Wähler ist, und diese scheint weiter zu wachsen. Könnte man diese Klientel durch permanentes PM stärker binden?

K. Srnka: Wie ich schon sagte: Der Wahlkampf ist aus der Praxis des PM nicht wegzudenken. Aber: Er ist - in einem langfristig erfolgreichen und vor allem auch gesellschaftlich verantwortlichen („societal marketing“) Marketingansatz politischer Akteure - eben nur ein Element, das einer Einbettung in ein stimmiges System von Themen, Maßnahmen, Personen und Objekten sowie deren medialer und sonstiger kommunikativer Vermittlung bedarf. „Kundenzufriedenheit“ allgemein erlangt man grundsätzlich, indem man Erwartungen der Konsumenten bzw. Wähler erfüllt oder übertrifft. Das klappt durchaus auch kurzfristig.

Relevant ist jedoch, beim Wähler entsprechendes Vertrauen aufzubauen, das es erlaubt, im Sinne und zum Wohle der Bürger auch kurzfristig unpopuläre Maßnahmen im Hinblick auf ein langfristig wünschenswertes politisches Ziel durchzusetzen. Die Güte einer Beziehung wird letztlich dadurch bestimmt, wie rasch eine „Zuwendung“ (Abgabe der Stimme des Wählers für eine Partei) „belohnt“ werden muss. Gelingt es, eine stabile, auf Vertrauen in die Politik einer Partei und die agierenden Personen basierende Beziehung zum Wähler aufzubauen, können politische Sachziele wohl am besten durchgesetzt werden.

D. Fuchs: In einem schwieriger gewordenen politischen Wettbewerbsumfeld scheint die Umsetzung eines beziehungsorientierten PM-Ansatzes geeignet, um Wechsel- und Nichtwähler erfolgreich zu bearbeiten und langfristig zu gewinnen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass ein trotz fortschreitender PM-Professionalisierung weit verbreitetes Defizit darin besteht, dass sich der Wettbewerb um die Wähler meist nur auf die eigentlich Wahlkampfphase bezieht. Im Gegensatz hierzu ist „relationship marketing“ zu verstehen als ein langfristig ausgerichteter, permanenter Wettbewerb um die Gunst der Wähler.

Die Ausgestaltung eines solchen Ansatzes kann insbesondere durch einen ständigen, zielgerichteten Dialog - über die Medien, im Rahmen von ggf. ereignisbezogenen Veranstaltungen oder z.B. durch Bürgersprechstunden - mit den Wählerzielgruppen erfolgen, um so eine „Nähe“ zu diesen zu erzeugen. Wichtig ist dabei, die Bedürfnisse der Zielgruppen korrekt zu erfassen und zu analysieren, denn nur so können die wirkungsvollsten Marketingmaßnahmen identifiziert und eingesetzt werden. Der Beziehungsgedanke steht dabei über den grundlegenden PM-Anforderungen und eignet sich nicht nur für die Zielgruppe Wähler, sondern insbesondere auch für Mitglieder, Medienvertreter, Freiwillige usw.

T. Butter: Die Gruppe der unentschlossenen Wähler steigt aufgrund einer Vielzahl von Faktoren (Erziehung zu „mündigeren Bürgern“, sich ändernde Wertvorstellungen, soziale Nivellierung innerhalb der Gesellschaft usw.). Diesen Entwicklungen kann eine kontinuierliche Kommunikation mit den Wählern entgegenwirken. Um im Jargon amerikanischer Polit-Berater zu sprechen, kann der frühzeitige Einsatz von PM die eigene Klientel etwa gegen Aktionen der politischen Mitbewerber „impfen“ (unempfindlich machen) oder auch etwa bereits in wahlkampffreien Zeiten - in denen die mediale Konkurrenz und Nachrichtenhürde gering ist - Themen in der Wählerschaft verankern. Diese Themen können dann im Bedarfs-(Wahlkampf-)fall wieder „aktiviert“ werden.

Wahlkampf und langfristiges „relationship marketing“ stehen daher nicht in Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich, wenn auch in der Praxis die erstere Komponente überbetont wird. Denn auch Kommunikationsprozesse wie „agenda setting“ oder „framing“, die medial günstige Themen in den Medien platzieren und Bewertungsschemata in den Köpfen der Wähler verankern sollen, brauchen Zeit, um zu wirken.

Zum Interview Teil 1.