"Ich sehe also hier das Problem mit dem Niveauverfall nicht. Solange die Art und Weise, wie an der Hochschule gelehrt wird, nicht geändert wird, ist ein Studium immer noch ein Studium, auch wenn 50% eines Jahrgangs teilnehmen. "
Genau das ist aber der Fall.
Gerade in den Geisteswissenschaften hat es sich enorm geändert wie gelehrt wird! Die Seminare sind nach meiner Beobachtung deutlich größer geworden (ja, das kennen Wiwis nicht so. Also "Seminare" im echten Sinne, mit Textlektüre und Diskussion und so...) und durch die Bachelorisierung sitzen in Seminaren viele drin, die eben drin sein müssen, weil sie dieses Modul noch brauchen. Man kann sich leicht vorstellen, wie motivierend das für einen Dozenten ist udn wie es die Lehre verändert.
Bevor ich weiter schreibe zu meinem Hintergrund: ich habe Dipl. BWL studiert und anschließend erst Magister Philosophie, Geschichte, Physik begonnen, dann aber gewechselt auf einen Bachelor Philosophie, Soziologie und hab den während meiner Promotion in VWL abgeschlossen. Kurzum ich hab einiges an der Uni gesehen in den vergangenen 15 Jahren sowohl als Studierender, als auch als Dozent.
Nun zurück zu einigen Schilderungen in verschiedenen Fächerkulturen. Zu den Seminaren. Früher konnte man als Dozent in höheren Semestern davon ausgehen, dass jene Studenten, die nach den ersten vier Wochen des Semesters noch im Seminar waren, im Seminar waren, weil sie das Thema persönlich interessiert hat. Und nicht, weil ihnen eben noch eine Veranstaltung in VM3a (Modul) fehlt und diese Veranstaltung die einzig passende ist, die dieses Semester angeboten wird. Zugegeben, das stimmte für die Geisteswissenschaften schon immer eher als für die BWL, ist aber auch dort eine nicht von der Hand zu weisende Entwicklung.
Heute ist das nicht mehr so. Das hat zur Folge, dass das Niveau sinkt. Zum einem, weil ich als Dozent weniger motiviert bin, wenn ich merke, dass die Studierenden die Texte nicht lesen und kein Interesse haben, sich tiefergehend mit den Sachen zu beschäftigen. Als Folge biete ich eben 08/15 Kost an. Zum anderen werde ich als Dozent nicht mehr gefordert. Ich kann etwas vorsetzen und das wird abgearbeitet. Da kommen nur noch wenige, die sagen "Moment, das stimmt so doch nicht! Ich habe [aus Interesse] auch mal das und das gelsen und der und der sagt dazu aber das und das!" Von diesen Exkursen profitierte meist das ganze Seminar. Der Input, der bei einer solchen Interaktion generiert wird, kann ein Dozent alleine gar nicht erbringen - selbst wenn er wollte.
Befördert wird das noch durch das "Schulklassensystem". Dass es Studierende aus dem 10. Semester gibt, die in einer Veranstaltung des 5. sitzen oder aus dem 4. welche im 1. das gibt es kaum noch. Heute werden nach meiner Beobachtung vor allem in der BWL "Jahrgänge" durchgeschleust, die sich allenfalls in den letzten zwei Semestern etwas vermischen. Dadurch gibt es aber auch keinen studentischen Wissenstransfer mehr und keine Anleitung von wegen "hey, wenn Dich die Diskussion eben interessiert, mach mal das Seminar bei dem und dem, das hab ich vor zwei Jahren mal gemacht..."
Zu den Vorlesungen. Sie seien beliebig skalierbar hieß es. Das scheint auf den ersten Blick und im Vergleich zu Seminaren richtig. Allerdings ist die Sache nicht so einfach. ich will einige Beispiele für eine innere Entwicklungslogik geben, die von außen nicht so leicht ersichtlich sind.
Ich erinnere mich an die nicht allzu weit zurückliegende Einführung in die Soziologie. Die musste ich besuchen, weil sie im Bachelor eben vorgeschrieben war. Die Veranstaltung war inhaltlich haarsträubend. Insbesondere unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten. Das monierte ich erst schriftlich und sodann in der Sprechstunde. Dort hieß es dann beinahe entschuldigend von der eher jungen Professorin "ja die Evaluierungen wären so schlecht gewesen, als sie in ihren ersten beiden Jahren mehr Theorie gemacht habe und es säßen ja auch so viele Nebenfächler und Lehrämtler drin, die das machen müssten -- wegen der Bachelorordnung -- und von denen kann man das alles ja nicht verlangen. Das Kollegium hätte ihr auch nahe gelegt "andere Schwerpunkte" zu setzen und zu bedenken gegeben, dass der Fachbereich pro Student Zuwendungen erhält und die Einführungsveranstaltung hinsichtlich der Durchfallquoten sehr kritisch sei".
Statt also einer sauberen wissenschaftstheoretischen und ideengeschichtlichen Einführung in die Soziologie -- was verdammt langweilig sein kann -- gibt es nun als backe-backe-kuchen Gender-Diskriminierungs-Kapitalismuskritik-Feuilleton-Veranstaltung für erstis mit einer Garantie zu bestehen. Ich habe nichts gegen Kapitalismuskritik oder Genderforschung. Aber im ersten Semester läuft sowas immer auf Stammtischparolen raus. Und bei solchen Einführungsveranstaltungen bleibt das auch so. In der Philosophie muss man auch erst mal alle die wieder raus bekommen, die meinen Philosophie studieren heißt den ganzen Tag vor sich hin zu philosophien und anderen die Welt zu erklären. Its science! Deal with it or leave!
Und jetzt sage noch mal jemand, das Niveau sei nicht gesunken.
Um ein Beispiel aus den Wirtschaftswissenschaften zu geben. Studenten sind eben der Meinung, dass sie in einer Einführung in die VWL keine Wissenschaftstheorie (und gerade der Methodenstreit würde sich anbieten und ist von gewisser Aktualität) brauchen, dass Ausführungen darüber, was Institutionen und Verträge sind, was Geld ist, wie sich die Neoklassik entwickelt hat und was der Unterschied zwischen Ricardo und Sraffa ist oder schlicht was die Rolle der Sozialen Frage für die Entwicklung des eigenen Faches war irrelevant ist. Warum sagen sie das? Weil kaum etwas davon mit Mikro1 oder Makro1 zu tun hat, wo sie rauf und runter irgendwas ableiten, null setzen und umstellen oder fleißig Kurven verschieben und Gleichungen aufstellen. Das machen sie aber entweder Parallel oder im darauffolgenden Semester und dort heißt es "kennen Sie ja aus der Einführung" --> schlechte Evaluierung, weil nein DAS habe ich da so nicht kennen gelernt.
Was hat das mit dem Thema Niveauverlust zu tun? Viele Studenten erkennen am Ende des Bachelors oder im Master den Wert dieser Veranstaltung. Quasi dann, wenn sie rückblickend in ihr die Matrix erkennen, auf der alles, was sie danach gelernt haben verortet werden kann. Oder wenn sie in Statistik auf einmal merken warum man eine Null-Hypothese so und nicht anders aufstellt. Unmittelbar nach der Veranstaltung bringt ihnen dieses Wissen in Mikro1 und Makro1 aber nichts.
Wenn sie das nicht aus der Einführung kennen, sind sie gegenüber jenen, die die Einführung bei jemand anderem gehört haben im Nachteil was die Noten angeht. Deswegen gibt es Druck und die Vorlesungen werden angepasst. In dem beschriebenen Fall bedeutet das eine Anpassung nach unten und zugleich eine Anpassung an das, was in den unmittelbar darauf aufbauenden Vorlesungen gefordert wird. Denn heute können sich Studenten nicht mehr unbedingt aussuchen, wann sie was bei wem hören.
Ich bin keiner der involvierten Dozenten, kenne die Thematik aber, weil ich die Vorlesung seinerzeit selbst mal hörte, dann über die Fachschaft die Evaluierungen oft machte und es schließlich als Doktorand mit gutem Kontakt zur Fachschaft mitbekam.
Zu meiner Zeit kam noch dazu, dass die Note derVeranstaltung eh nicht in die Diplomnote zählte. Da hat man als Student eben gesagt "viel zu viel Inhalt, zu schwer und brauch ich nicht unmittelbar - fand ich aber mal interessant, war gut gelesen und die Note ist mir eh egal"... und ohne es wirklich schon schätzen zu können, hat man enorm viel Wissen auf hohem Niveau mitgenommen.
Das fallende Niveau zeigt sich meiner Meinung auch einfach daran, wie Studierende schreiben. Und ich rede nicht nur von Rechtschreibung. Das Schreiben ist sicherlich noch mal ein eigenes Thema. Im Gegensatz zur Philosophie und in gewissem Maße der Soziologie ( hinsichtlich des Umgangs mit Quellen ist die Geschichte hervorzuheben) wird in der VWL nach meinen Beobachtungen heute - im Gegensatz zu früher - kaum noch Wert darauf gelegt die Leute Aufsätze schreiben zu lassen. In meinen Augen ist der Verlust der Fähigkeit sich klar auszudrücken und eine klare Argumentationsstruktur zu haben in der Tat ein Niveauverlust. Dass das heute nur noch schwer möglich ist, liegt an den Studierendenzahlen aber gleichermaßen an der Befähigung der Studierenden. Man unterhalte sich mal mit Lehrenden und vor allem Tutoren in den Rechtswissenschaften. Was die sprachlich aufgetischt bekommen ist einfach unfassbar.
Um nun noch etwas Grundsätzliches zu sagen:
Jetzt kann man bei allen meinen Beispielen sagen: Ist doch ohnehin nicht berufsrelevant. Warum muss ein Betriebswirt wissen, was Positivismus ist? Nun, der einzige Maßstab, an dem die Qualität einer akademische Ausbildung zu messen ist, ist die Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten. Wissenschaft als Beruf - na wer hats gelesen?
Es hat sich meiner Meinung nach gezeigt, dass es für eine moderne und innovative Wirtschaft nur von Vorteil ist, wenn der akademische Bereich sich ganz eigenbrötlerisch darauf beschränkt Akademiker, also zum Wissenschaftsbetrieb befähigte Leute, auszubilden. Letzten Endes sind das die Fähigkeiten, die sich universell und konjunkturunabhängig auch in der Wirtschaft durchsetzen, die aber in der wirtschaftlichen Logik gerade nicht zu erlernen sind. Beinahe eine Abwandlung von Wildes "nichts was es wert ist gelernt zu werden, kann gelehrt werden". Für alles andere gibt es Beraufsausbildungen.
Es ist aber auch so, dass nun mal nicht alle dazu geeignet sind. Ist das elitär? Ja. ist das schimm? Nein. Die Frage ist doch eher sind nun 20 oder 60% der Menschen geeignet diese Ausbildung zum Akademiker zu schaffen. Das ist in der Tat ein Problem. Sobald man aber eingesteht, dass es keine 100% sind, hat man nun mal sowas wie eine Elite. jedenfalls wenn sich Elite so definiert, dass sie etwas kann, das andere qua Befähigung nicht können.
Eine soziale Marktwirtschaft sollte so gestaltet sein, dass sie die Elite zulässt, ihre Erträge aber auch den anderen zu Gute kommen. Sprich es geht mit Elite allen besser. Der Elite weil sie ihre Fähigkeiten ausleben kann und der Mehrheit, weil sie davon profitieren ihnen das zu erlauben. Da ist einiges aus dem Lot gekommen. Es verlieren aber alle, wenn man keine Niveauspitzen mehr zulässt, um so alle gleicher zu machen. Das steht aber auf der politischen Agenda.
Anders formuliert: Wenn Gerechtigkeit als Gleichheit verstanden wird, dann lässt sich Gerechtigkeit auf jedem (noch so niedigen) Niveau etablieren.
Erliegt man nicht dieser Logik, dann müsste man auch als nicht-Elite aufstehen und sagen: es ist ungerecht, dass die, die dazu fähig sind nicht ihren Fähigkeiten gemäß sich bilden können und (mehr als ich!) gefördert werden, denn erstes würde ich das auch wollen, gehörte ich dazu und zweitens würde ich doch davon profitieren, wenn sie das könnten! Die anderen und ich selbst werde also um etwas gebracht - wie kann das gerecht sein? Oder, um es Wiwi-kompatibel auszudrücken: Wie kann das Pareto-Optimal sein?
Gerechtigkeit als Gleichheit gibt es in einer Marktwirtschaft nicht. Schön und modern auch bei John Rawls nachzulesen. A Theory of Justice - Gerechtigkeit als Fairness.
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