Herbstgutachten 2012 der führenden Wirtschaftsinstitute
Die deutsche Wirtschaft wird durch die Eurokrise belastet. Daher wird die konjunkturelle Expansion vorerst schwach bleiben und erst im Verlauf des kommenden Jahr wieder leicht anziehen. Die Institute prognostizieren eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 0,8 Prozent für das Jahr 2012 und um 1,0 Prozent für das Jahr 2013.
Herbstgutachten 2012 - Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik
Für die öffentlichen Finanzen ist bedeutsam, dass die Struktur der gesamtwirtschaftlichen Expansion derzeit recht abgabenergiebig ist, da die Bruttolöhne und -gehälter und die nominalen privaten Konsumausgaben deutlich zulegen. Dadurch sind die Einnahmen des Staates bis zuletzt kräftig gestiegen. Zudem ist die Finanzpolitik in diesem Jahr restriktiv ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund erwarten die Institute für 2012 einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Im kommenden Jahr dürfte sich die Haushaltssituation nicht weiter verbessern, zumal der Konsolidierungskurs voraussichtlich unterbrochen wird.
Die vorliegende Einschätzung der deutschen Konjunktur basiert auf der Annahme, dass sich die Lage im Euroraum im Verlauf des Prognosezeitraums allmählich stabilisiert und dadurch die Zuversicht insbesondere der Investoren zurückkehrt. Dies ist indes keineswegs gesichert. Sollte sich die Lage im Euroraum weiter verschlechtern, würde auch die deutsche Wirtschaft getroffen. Über den gesamten Prognosezeitraum gesehen überwiegen die Abwärtsrisiken, und die Gefahr ist groß, dass auch Deutschland in eine Rezession gerät.
Die Wirtschaftspolitik wird weiterhin durch die Eurokrise bestimmt. Anfang September beschloss der EZB-Rat, am Sekundärmarkt unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihen zu kaufen, und zwar grundsätzlich in unbegrenzter Höhe. Eine langfristige wirtschaftspolitische Lösung der Krise zeichnet sich dennoch nicht ab, vielmehr bleiben die Stabilitätsrisiken hoch.
Damit die Staatsschuldenkrise überwunden wird, ist es notwendig, die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in den Krisenländern zu gewährleisten. Ist sie gefährdet, so hat ein Staat im Prinzip vier Möglichkeiten. Die erste besteht darin, dass er seinen Haushalt konsolidiert und durch strukturelle Reformen ein höheres Wachstum ermöglicht. Gelingt dies nicht, bleiben drei Optionen: Die Staatsschuld kann mittels Transfers von anderen getragen werden, sie kann durch eine Insolvenz oder Restrukturierung verringert oder sie kann durch Inflation entwertet werden. Vor dieser Wahl stehen letztlich auch die wirtschaftspolitischen Instanzen in Europa.
Die Strategie der wachstumsfördernden Reformen verbunden mit glaubwürdiger Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bleibt nach Ansicht der Institute der Königsweg, um das Vertrauen in die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen in den Krisenländern wieder herzustellen. In den vergangenen Monaten nahmen allerdings Zweifel zu, ob diese Strategie allein zum gewünschten Ergebnis führt. Gleichzeitig machte die innenpolitische Diskussion in Ländern wie Finnland und Deutschland klar, dass die Bereitschaft schwindet, Hilfskredite zu erhöhen oder Transfers zu leisten. Damit wird eine Transferlösung weniger wahrscheinlich.
Die Option einer staatlichen Insolvenz wurde von politischer Seite kategorisch ausgeschlossen. Damit bleibt keine geordnete finanzpolitische Alternative für den Fall, dass die Wachstums- und Konsolidierungsstrategie scheitert. Dabei wäre es ein geeigneter Lösungsweg, die Gläubiger an den Krisenkosten zu beteiligen. Dies sollte im Rahmen eines Insolvenzmechanismus für Staaten geschehen, den die Institute in früheren Gutachten wiederholt gefordert haben.
In Ermangelung einer anderen politisch akzeptierten Lösung ist die EZB nun ein weiteres Mal eingesprungen, um die Risikoaufschläge für Staatsanleihen der Krisenländer zu begrenzen. Mit der Entscheidung der EZB könnte nun auch der Grundpfeiler der Währungsunion ins Wanken geraten, nämlich das Ziel der Preisstabilität. So ist die EZB auch aufgrund der Konditionierung nicht mehr unabhängig von der Finanzpolitik, mit der Folge, dass die Verantwortlichkeiten zwischen den jeweiligen Politikbereichen verwischt werden. Die Unabhängigkeit einer Notenbank ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für eine langfristig stabilitätsorientierte Geldpolitik.
Auch vor diesem Hintergrund beurteilen die Institute das OMT-Programm kritisch. Sie sehen das Risiko, dass die Inflation mittelfristig steigt. Dieser Prozess kann dadurch ausgelöst werden, dass die EZB letztlich monetäre Staatsfinanzierung betreibt. In der Folge könnten die Bürger und die Akteure an den Märkten das Vertrauen in die EZB verlieren, nachhaltig für Preisstabilität zu sorgen. Früher oder später würden sich dann die Inflationserwartungen aus ihrer Verankerung lösen. Ferner ist die Gefahr groß, dass die EZB bei Abweichungen von den Anpassungsprogrammen dennoch weiterhin Anleihen kauft und übermäßig geldpolitisch stimuliert, was dann preistreibend wirken und zu einem Anstieg der Inflationserwartungen führen könnte. Da die Wiedergewinnung der geldpolitischen Reputation in einem solchen Fall langwierig sein kann und mit restriktiven Impulsen einhergeht, wäre mit hohen sozialen Kosten bei der Gewährleistung von Preisstabilität zu rechnen.
Unabhängig vom aktuellen Kurs der Notenbank hat eine anhaltend expansive Geldpolitik mittelfristig möglicherweise erhebliche Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Zwar liegt gegenwärtig keine Überhitzung vor, in der mittleren Frist ist eine Überauslastung der Kapazitäten jedoch zu erwarten. Daher besteht ein Risiko, dass es zu Übersteigerungen zum Beispiel im Immobiliensektor kommt. Allerdings erscheinen schuldenfinanzierte Übertreibungen in einem Ausmaß, wie sie in einigen Krisenländern des Euroraums zu beobachten waren, derzeit in Deutschland wenig wahrscheinlich. Außerdem ist die Kreditvergabe durch Banken in Deutschland traditionell an vergleichsweise hohe Anforderungen geknüpft. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es mittelfristig nicht zu Übertreibungen insbesondere im Immobiliensektor kommen kann. Die Wirtschaftspolitik sollte dies sorgfältig verfolgen und kann sich dabei an einer Reihe von Indikatoren orientieren, die im Gutachten analysiert werden. Da wirtschaftliche Übertreibungen zwar nach ähnlichen Mustern ablaufen, sich aber nie absolut gleichen, sollte dazu ein breites Spektrum von Indikatoren verwendet werden.