WiWi Gast schrieb am 08.12.2023:
Man liest hier im Forum ja sehr regelmäßig Beiträge von Personen, die das WP Examen absolviert haben. Mir ist aufgefallen, dass in fast allen Kommentaren von (aus externer/unerfahrener Perspektive) relativ schlechten schriftlichen Noten, die nur knapp zum Bestehen ausreichen würden, berichtet wird. Fallen die schriftlichen Examen wirklich so schlecht aus oder gibt es auch immer einen Teil von Examenskandidaten, die nach der schriftlichen Prüfung praktisch schon sicher durch sind (mehr oder weniger unabhängig von der Performance in der mündlichen Prüfung)? Wie hoch ist dieser Anteil in etwa? Wäre sehr dankbar für ein paar Meinungen und/oder Berichte dazu!
Grds. ist die Notengebung im Examen nicht mit dem wie man es aus Schule oder Uni kennt vergleichbar. Im Examen lernen die meisten Kandidaten auf bestehen, anders ist dass aufgrund des gigantischen Stoffumfangs auch kaum möglich. Hierbei ist auch zu erwähnen, dass die Klausuren idR so gestellt sind, dass eine 100% korrekte Lösung in der vorgegebenen Zeit kaum zu schaffen ist, selbst wenn das notwendige Wissen vorhanden ist.
Während im Steuerberaterexamen eigentlich alles oberhalb einer 3,0 schon als außergewöhnlich gut gilt, gibt es im WP-Examen aber trotzdem auch gut und sogar sehr gute Noten.
Der Grund warum es im WP-Examen teilweise gut und auch sehr gute Noten gibt, liegt allerdings meist daran, dass Einzelthemengebiete sehr detailliert abgefragt werden und man somit den lucky punch haben kann, während im Steuerberater breiter abgefragt wird.
Außerdem werden im Steuerberater alle drei Klausuren im Durschnitt betrachtet, während im WP immer jeweils nur 2 bzw. in Recht nur eine Klausur betrachtet werden/wird.
Daher sieht man auch in WR die stärksten Ausreißer. Hier kommt auch dazu, dass die Klausur von allen bei den zeitlichen Anforderungen am angenehmsten ist. Man hat hier tatsächlich die Möglichkeit seine Lösung sauber und vollständig durchdacht zu formulieren.
In PW sieht man weniger Ausreißer, da hier meist zwar auch sehr hohe Detailtief abgefragt wird, aber trotzdem eine Vielzahl an Aufgaben und Themen thematisiert werden, sodass man, selbst wenn in allen Themen ausreichend vorbereitet, um überall volle Punktzahl zu hohlen, dies zeitlich im überwiegenden Anteil der Fälle nicht zu Papier zu bringen ist.
Um mal ein paar Noten-Beispiele zu nennen.
Im WP Examen hatte eine Kollegin von mir in WR 1,3, da ein BFH-Urteil abgefragt wurde, dass Sie am Abend vor der Klausur gelesen hatte und Sie entsprechend die Argumentationskette nahezu 1 zu 1 wiedergeben konnte. Das Urteil gab ca. 80% der Gesamtpunktzahl.
Meine eigenen Noten im StB waren:
Tag 1: 4,0
Tag 2: 4,0
Tag 3: 3,5
-> 3,83 was schon als recht gute Note gilt, der beste in meine mdl. Prüfung war mit 3,1 Vorbenotet was am Ende sogar vom Vorsitzenden noch lobenswert erwähnt wurde.
Im WP hatte ich folgende Noten:
WR: 3,0
PW: 4,0 & 4,5 -> 4,25
BWL: 1. Versuch: 4,5 & 4,5 2. Versuch 2,5 & 4 -> 3,25
In BWL saß ich in der mdl. Prüfung mit 1x 2,5 2x 3,0 Kandidaten und wir wurden mit "Sie sind ja Startruppe des heutigen Tages" begrüßt. Die Bekanntgabe der Gesamtnoten begann mit: "Machen wir es kurz, Herzlichen Glückwusch, war ja von Anfang an klar dass Sie alle bestehen".
Rechnerisch nicht mehr Durchfallen kann man im Steuerberater nur mit min. 2,3 in der Vornote, da die mdl. Prüfung 50% der Gesamtnote zählt. Praktisch wird man (außer man Verhält sich wie der letzte Vollidiot, Stichwort Berufsunwürdiges Verhalten) bei allem nahe der 3,5 keine Probleme mehr haben (Gesamtnote min 4,15).
Im WP kann man rechnerisch ab einer Vornote von: 2,6 nicht mehr durchfallen, da hier die mdl. nur 40% beiträgt (dafür muss die Gesamtnote min 4,0 sein). Auch hier kann Berufsunwürdiges Verhalten natürlich auch der Knock Out sein. Wobei man sich dafür schon sehr daneben benehmen muss.
Grds. bleibt aber Festzuhalten, dass beim Examen das Ziel das reine bestehen ist, die tatsächliche Note ist dabei nicht von belangen, da die Schwierigkeit darin besteht überhaupt zu bestehen, gute Noten sind idR ein Resultat aus glücklichen Umständen.
Diesem Umstand wird auch damit Rechnung getragen, dass sowohl beim StB als auch beim WP offiziell keine Gesamtnote bekannt gegeben wird und entsprechend auch nicht auf der Urkunde vermerkt ist. Man könnte somit auch die Auffassung vertreten wer mit besser als 4,0 bzw. 4,15 besteht hat ineffizient gehandelt ;)
Noch eine Randnotiz am Ende: Aufgrund der Modularisierung sieht man insb. in Recht und BWL nach meinem Empfinden auch deutlich häufiger gute Noten, da immer mehr Examenskandidaten dazu neigen sich nur auf Einzelmodule vorzubereiten. Ich habe BWL bspw. erst im zweiten Versuch bestanden (Erstversuch WR PW und BWL gemeinsam geschrieben) und da ich mich nur auf ein Modul vorbereiten musste, war hier tatsächlich gegen Ende der Vorbereitung die Zielsetzung nicht mehr bestehen, sondern so gut zu bestehen, dass man für die mdl. nicht mehr viel lernen muss.
Man sieht daher (gefühlt) insb. in BWL und WR inzwischen eine stärkere Schwere zwischen gut bestehen und gar nicht bestehen, insb. in BWL ist das Anforderungsniveau im Vergleich zu Alt-Klausuren die teilweise mehr eine Matheklausur aus der 6. Klasse geähnelt haben deutlich angestiegen.
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