Hallo Ingo,
heute wie versprochen eine Aussage zu Deinem Zeugnis.
Die Analyse Deines Dienstzeugnisses muss aus einem ganz anderen Blickwinkel erfolgen. Der Gesamteindruck des vorliegenden Schriftstücks zeigt dem Personaler schnell auf, dass dieses Zeugnis von unkundiger Hand geschrieben wurde, sprich der Aussteller nicht mit der Zeugnissprache als solche vertraut war. Daher kann hier nicht der gleiche, strenge Maßstab angelegt werden, mit denen sich Zeugnisse der freien Wirtschaft messen lassen müssen, wie z.B. das von Nicole.
Daher eingangs meine Beschwichtigung: Das Zeugnis liest sich mit der Note „gut“. Vom Umfang und auch weitgehend von den Inhalten her ist dieses Zeugnis Deiner Position und den damit verbundenen Aufgaben entprechend als angemessen einzustufen. Deine Verantwortung als Personalsachbearbeiter kommt zum Tragen, im Bewertungsteil werden Dir im Wesentlichen Organisationsvermögen, aus dem Kontext heraus ein gutes Fachwissen, gute Einsatzbereitschaft und Flexibilität, verbunden mit Selbstständigkeit und Belastbarkeit attestiert. Im Sozialverhalten werden Dein motivierendes Verhalten und Deine Zusammenarbeit hervorgehoben.
Dennoch lässt sich auch hier einiges konstatieren, weswegen ich Deinem Disziplinarvorgesetzten oder dem S1-Offizier das Zeugnis (damals) unmissverständlich zur Änderung zurückgegeben hätte. In meinen Ausführungen werde ich im Folgenden nur auf die markanten Auffälligkeiten eingehen:
Dein Zeugnis stammt aus dem Jahre 2001 und leidet noch an vielen Form- und Stilfehlern, dem z. B. die Autoren Edler und Wimmer mit ihrem Buch „Dienstzeugnisse der Bundeswehr“ entgegenwirken wollen. Leider ist das zivile Zeugniswesen in der Bundeswehr immer noch vielen Disziplinarvorgesetzten weitgehend verschlossen. Die Vorschriften der Bundeswehr – wie die ZDv 20/6 - geben in ihren Ausführungen leider nicht viel her und legen Wert auf eine freie Beschreibung, ähnlich der Deines Zeugnisses. Das ist dann in Ordnung, wenn ich einen zivil verwertbaren Nutzen aus dem Dienstzeugnis ziehen kann. Im Falle des Personalsachbearbeiters ist das noch recht gut möglich, schwierig wird es beim klassischen Infanteristen.
Da die Bundeswehr ihre Offiziere in diese Richtung nicht unterrichtet, kommen mitunter sehr merkwürdige, gelegentlich für das geschulte Auge sogar recht amüsante Schriftstücke heraus. Gefährlich wird es vor allem dann, wenn die Disziplinarvorgesetzten ihr laienhaftes Wissen mit ein oder zwei Büchern der Fachliteratur vermischen und, trotz bestem Wissen und Gewissen, einfach drauf los schreiben. Die Fehlermöglichkeiten sind nun einmal schier unendlich. Jeder hat schon irgendwo mal gehört, dass sich „Bemühen“ in einem Zeugnis schlecht macht, so wie auch „Geselligkeit“ irgendwas mit Alkohol zu tun haben soll. Wenn wir jedoch Nicoles Zeugnis lesen, stellen wir schnell fest, wie komplex die Materie ist. Die Zeugnissprache unterliegt ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und ist mitunter recht perfide gestaltet. Aufgrund der Wohlwollenspflicht klingen alle Zeugnisse irgendwie nett, daher wird seitens der Personaler viel verschlüsselt und mit Signalwörtern gearbeitet, um einem potenziellen neuen Arbeitgeber einen umfassenden Eindruck vom neuen Mitarbeiter zu geben. In Beurteilungen der Bundeswehr hingegen können sich die Disziplinarvorgesetzten so äußern, wie sie es denken, eine Beurteilung liest sich daher auch im Wesentlichen so, wie sie geschrieben ist. Bei Zeugnissen ist dies ganz anders und viele Chefs unterliegen daher dem gravierenden Irrtum, dass ihre guten Beurteilungen gleichzeitig in gut geschriebene Dienstzeugnisse münden.
Aber nun wieder zu Dir - typisch für die Zeit der Erstellung Deines Zeugnisses ist die einem Vordruck ähnliche Gliederung in:
- Ausbildungsgang...
- Ausgeübte Tätigkeiten
- Bewertung von Führung und Leistung.
Dieser Aufbau entspricht so keinem zivilen Zeugnis, schon gar nicht in der Optik. In der Zeitform springt der Verfasser zwischen Gegenwart und Vergangenheit, da es ein Austrittszeugnis ist, hätte es nur in der Vergangenheitsform geschrieben werden sollen. Die Erwähnung des Dienstgrades hätte einmal gereicht und zwar im Anfangssatz.
Der Eingangssatz ist typisch. Er enthält, da es sich um einen Zeitvertrag handelt, bereits die Befristung. Überraschenderweise fehlt „geboren am ... in ...“, dies ist in den meisten Zeugnissen, gerade von Amts wegen, enthalten. Von der Formulierung her ist der Satz ungünstig: „wird entlassen“ hätte man durchaus durch ein „stand von bis in unseren Diensten“ ersetzen können, da ja der Zeitvertrag lediglich auslief und keine Entlassung im Sinne „endlich ist er weg“ stattfand. Der zweite Satz – das ist eine er häufigsten Fehlerquellen militärischer Zeugnisse – enthält, wie auch im späteren Verlauf des Zeugnis, militärische Begriffe und Abkürzungen, mit denen kein Ungedienter etwas anfangen kann. Den Terminus „Stabsdienstunteroffizier-S1“ hätte man getrost weglassen können, das „war eingesetzt“ durch ein „tätig“ ersetzen können.
Im zweiten Absatz wird die Ausbildung geschildert und wie so häufig bleiben die hier beschriebenen Inhalte dem Bundeswehr-Außenstehenden verborgen: Welche Inhalte stecken hinter dem Sicherungssoldaten, was bitte schön ist ein Stabsdienstsoldat und was verbirgt sich hinter dem Unteroffizierlehrgang Teil 1 „Allgemeinmilitärischer Teil“? usw. Das klassische Problem – es wird nicht erklärt, was der Soldat erlernt hat, d. h. was ihm für sein ziviles Leben von Nutzen sein könnte. Dabei kommt es sicherlich nicht auf Inhalte wie Wehrrecht, Wehrdisziplinarordnung, Wehrbeschwerderecht oder die Vorgesetztenverordnung an. Doch wie wäre z. B. für den allgemein-militärischen Teil die folgende Erklärung gewesen:
„Im Rahmen seiner allgemeinen Ausbildung zum Vorgesetzten erwarb Herr Kichtan während eines vierteljährigen Lehrgangs insbesondere Kenntnisse im Bereich der Personalverantwortung und Teamführung sowie Grundlagen der Planung und Organisation, welche er jederzeit erfolgreich in seine Arbeit einbrachte.“
Wäre hier nicht der zivil verwertbare Nutzen erkennbarer gewesen? Dies lässt sich fortführen, doch immerhin wurde der „Unteroffizierlehrgang Teil 2 „Militärfachlicher Teil“ Ausbildungsklasse Stabsdienst“ (wow, was für ein Konstrukt :o) ) mit der Ausbildung zum Personalsachbearbeiter hinterlegt. Die wahren Schwierigkeiten bei Dienstzeugnissen der Bundeswehr kommen auch erst bei Tätigkeiten zum Tragen, die nicht 1:1 in das Zivile übersetzbar sind. Formal sind im zweiten Absatz noch die zahlreichen Passiv-Formulierungen wie „wurde ausgebildet“ „besuchte“ und „wurde ausgebildet“. Eine schlecht Wahl, dies klingt nicht nach einem dynamischen, aktiven Mitarbeiter. Humorig betrachtet scheinst Du nur die Grundausbildung erfolgreich abgeschlossen zu haben, die anderen Ausbildungsabschnitte enthalten keine Aussage darüber, wie erfolgreich Du warst. Zum Schluss: was soll der Begriff „1./Stabs- und Fernmeldebataillon“ sein, frag mal jemanden, der nicht bei der Bundeswehr war, wie man das (vor-)lesen soll...
Nun zu den Tätigkeiten: der Eingangssatz wäre auch hier mit dem Begriff des Personalsachbearbeiters ausgekommen. Formal sind hier mal Punkte, mal keine am Ende des Satzes gesetzt, Einheitlichkeit wäre wünschenswert gewesen. Inhaltlich ist das ganze vertretbar, allerdings ist der Punkt „Einstellung und Entlassung von Soldaten“ sehr missverständlich, da Du sicherlich nur den Schriftverkehr im Rahmen von Einstellungen und Entlassungen vorgenommen hast. Die „Ausbildung von Unteroffizieranwärtern....“ ist sicherlich höherwertig anzusiedeln als beispielsweise die „Verwaltung von circa 300 Reservistenakten“, warum steht die Ausbildung am Schluss und ist nicht wesentlich weiter oben angeführt. Mit der Reihenfolge bei Tätigkeiten lassen sich nämlich wunderbar Aussagen über den Mitarbeiter treffen. Steht Unwichtiges wie beispielsweise Ablage an erster Stelle (ist hier nicht der Fall), sagt das bereits eine Menge über den Mitarbeiter aus, und zwar nichts Gutes.
Ergänzend hätte ich gegebenenfalls Zuarbeiten für den Personaloffizier oder den Dienststellenleiter aufgenommen, was das Zeugnis sicherlich aufgewertet hätte. Vielleicht hätte sich auch eine beratende Tätigkeit aufnehmen lassen können? Auch stellt sich mir die Frage nach unterstelltem Personal, warst Du alleine im Geschäftszimmer (nette Formulierung, das Geschäftszimmer gleich als Abteilung darzustellen) oder hattest Du Grundwehrdienstleistende zu führen? Wie verhielt es sich mit besonderen Erfolgen oder Projekten, nichts bekommen was man eventuell hätte verwerten können? Schlussendlich tauchen auch wieder einige militärische Begriffe auf, die man besser vermieden hätte, wie „Bataillon“ – was ist das, wie groß ist das? Was sind „administrative Maßnahmen für den Publikumverkehr“? Ist Öffentlichkeitsarbeit gemeint?
Nun folgen Bewertungen, die formal in den Abschnitt „Bewertung von Führung und Leistung“ gehört hätten. Erfreulicherweise finden sich hier einige Aussagen wieder. Viele Zeugnisse enthielten im Rahmen der Bewertung nur die zwei Sätze, die Du unter der Überschrift dort wieder findest („Führung sehr zufrieden...“ und „stets zur vollen Zufriedenheit...“). Welche Inhalte dort hinterlegt sind, habe ich Dir bereits am Anfang aufgezeigt. Würde man die strengen Maßstäbe eines zivilen Zeugnisses anlegen, läse es sich wie folgt (nur Eckpunkte):
Zunächst wird gesagt, was diese Arbeiten erforderten, sprich, die Anforderungen werden festgelegt. Die Bewertung, ob Du über diese Fertigkeiten verfügst, erfolgt nur schwach und in einem späteren Abschnitt, das ist mitunter gefährlich. An dem Satz „Hierbei sind die überdurchschnittlichen...“ habe ich nichts auszusetzen, das ist von der Note und Intention des Autors eine 2.
Der nächste Absatz befasst sich mit der Arbeitsweise, hier sind Formulierungen wie „sie ermöglicht es ihm“ ungünstig, weil man dies wie folgt interpretieren würde: War dazu in der Lage, tat es aber nicht. „Seine Arbeitsweise war geprägt“ ist recht schmucklos und würde auf eine durchschnittliche bis unterdurchschnittliche Bewertung schließen lassen.
„ist kontaktwillig“ (= aber nur widerwillig) „und fähig“ (= könnte, wenn er wollte), „gibt rechtzeitig vollständige Informationen“ (= wird erwartet, Belanglosigkeit, scheinbar eher das Gegenteil war der Fall, warum sollte man es sonst erwähnen?).
„Arbeitet weitgehend selbstständig“ wäre im Zivilen eine sehr ungünstige Formulierung und würde quasi Unselbstständigkeit anzeigen. „Er ist in der Lage“ wäre wieder mit „Kann es, macht es aber nicht“ zu interpretieren. Auffällig im ganzen Beurteilungstext ist das Beurteilungsdeutsch, das hier an den Tag gelegt wird, eine sehr gefährliche Praxis. Ebenso wäre „er besitzt die Fähigkeit“ zu lesen.
Die „Bewertung von Führung und Leistung“ hält sich sehr knapp, die Teamfähigkeit und das Sozialverhalten als Ganzes kommen zu kurz, kein Wort zur häufig erwähnten Zuverlässigkeit und als Vorgesetzter wirst Du gar nicht beurteilt. Richtig liegst Du mit der Vermutung, dass die zusammenfassende Leistungsbeurteilung (stets zur vollen Zufriedenheit) eine 2 ist. Als Personalbearbeiter hätte ich auch einige Aussagen zu Deiner Persönlichkeit gewünscht, die in Verbindung mit Deiner Arbeit stehen. Da Du auf vertrauliche Daten Zugriff hast, wären Aussagen im Bereich der persönlichen Integrität, Verschwiegenheit, oder Vertrauenswürdigkeit angemessen gewesen! Denke nur mal an einen Sparkassenangestellten, der am Schalter steht. Würde man dort in einem Zeugnis nicht etwas zur Ehrlichkeit etc. erwarten?
Gut gelungen sind die letzten beiden Sätze, die man auch als einen Absatz hätte zusammenfassen können. Inhaltlich sind sie jedoch sehr gelungen und runden den guten Gesamteindruck ab, wenn man das Zeugnis, wie gesagt, außerhalb der Zeugnissprache liest. Ich denke, die positive Intention des Schreibers kommt zum Tragen, dennoch hätte ich mindestens meine vorher genannten inhaltlichen Verfeinerungen vorgenommen.
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