WiWi Gast schrieb am 09.09.2018:
Eine viel größere Spekulation ist es, als junger Mensch heute sein Berufsleben darauf aufzubauen, daß die Vergütungsstrukturen in der Branche, so wie sie heute existieren, die nächsten vier bis fünf Dekaden fortbestehen werden.
Hast Du Dich informiert, was Skalierbarkeit bedeutet?
Eine Gruppe von Programmierern und Steuerexperten hält ein System aktuell, was für hunderttausende Kunden Gültigkeit besitzt.
Jahresabschlußerstellung ist im wesentlichen Kontrollarbeit und Verprobungstechniken, von denen man im übrigen einen Großteil nicht anwenden müßte, wenn man sich darauf verlassen könnte, daß die zugrunde liegende Buchhaltung vollständig und 100% richtig ist.
Im Grunde verschlingt bei der Jahresabschlußerstellung von der gesamten Bearbeitungsdauer die Anwendung von Kontrollroutinen für jedes einzelne Konto die meiste Arbeitszeit, was im Grunde leicht zu automatisieren ist.
Natürlich werden auch die Plattformanbieter vergleichbar wie heute schon die Anbieter von Buchhaltungssoftware ein Expertenteam als Hotline für Fragen der Nutzer bereithalten.
Es wird sich in den meisten von Steuerberatern erstellten Jahresabschlüssen Optimierungspotential finden lassen, was zukünftig durch moderne Technik besser ausgenutzt werden kann. Wenn man Jahresabschlußerstellung als eine Art Strategiespiel begreift, dann ist es heute schon so, daß Maschinen dem Menschen in allen bekannten Strategiespielen überlegen sind.
Das schließt zudem nicht aus, daß der Plattformnutzer von einem Steuerberaterteam des Plattformanbieters in Einzel- und Zweifelsfragen und bei Betriebsprüfungen Unterstützung erhält.
Mit gedrechselten Argumenten wird verzweifelt versucht, das Kanzlei - Vergütungsmodell als weiter zukunftsfähig zu verklären, obwohl dessen Ende bereits absehbar ist.
Die berufsrechtlichen Risiken, aber auch die obligatorische Berufshaftpflichtversicherung besteht heute bei durchwegs allen Kanzleien, in denen schlecht bezahlte Fachkräfte selbständig die Jahresabschlüsse und zugehörige Steuererklärungen erstellen.
Ich bin selbst StB/WP und finde, dass diese Diskussion in wesentlichen Teilen am Thema vorbei geführt wird. Die definierte Fragestellung lautet, ob sich der harte Weg zum StB-Titel noch lohnt. Dass in absehbarer Zeit FIBU, Jahresabschluss und Steuerdeklaration automatisiert werden steht fest. Die meisten Beiträge hier streiten dies auch gar nicht ab, zumindest für die einfachen Jahresabschlüsse. WTS beispielsweise hat 5 Prototypen entwickelt, die schon viel weiter sind. Beispielsweise sind diese in der Lage sämtliche Gerichtsurteile nach Schlagwörtern zu durchsuchen, um eine Aussage zu treffen, wie ein speziell gelagerter Fall in der Vergangenheit entschieden worden ist bzw. eine Prognose darüber zu treffen. Das ist dann schon ein Schritt weiter als die Automatisierung der reinen Deklaration.
Nochmals aber bitte die Fragestellung beachten. Diese lautet nicht, ob sich in Zukunft der Weg in die bereits häufig genannte "Wald- und Wiesenkanzlei" lohnt, sondern ob er sich generell lohnt. Und hier muss klar differenziert werden. Ich würde sagen, es kommt eben darauf an.
Da wir uns hier in einem WiWi-Forum befinden, behaupte ich, dass die Steuerrechtler unter uns bzw. diejenigen, die den StB anstreben, niemals in solch eine "Wald- und Wiesen-Kanzlei" gehen würden. > 90 % gehen zu den Big 10, in die Industrie oder aber in hoch spezialisierte Einheiten bzw. renommierte Kanzleien und partizipieren folglich an den Zukunftstrends.
Die Überalterung des Berufsstandes wird dazu führen, dass eben jene altbackene Einzelkanzleien nicht mehr fortgeführt werden, da die Inhaber ohnehin in Rente gehen. Das zeichnete sich jedoch bereits schon vor 10 Jahren ab.
Die Mehrzahl der heutigen an Steuerrecht interessierten Absolventen werden als Spezialisten ausgebildet. Das heißt, es gibt eine deutliche Verschiebung der Tätigkeiten. Das wurde bereits auch in den Statistiken erfasst. Z.B. möchten immer weniger StBs (einzel-)unternehmerisch tätig sein, sondern angestellt sein oder eben als Syndikus arbeiten.
Aus meiner Sicht zielt die ganze Argumentationskette, dass der Jahresabschluss bald vollständig automatisiert wird, ebenfalls auf die Vergangenheit ab. Es trifft diejenigen, die eben in veralteten Kanzleien arbeiten und deren Umsatz wegbrechen wird.
Die Kernfrage hier, ob sich der StB noch lohnt zielt aber selbstverständlich auf die Zukunft ab. Und die Absolventen werden dann natürlich die Themen abdecken, die eben zukunftsträchtig sind. Und hier wird das Augenmerk auf den komplexen Beratungsthemen liegen, die auf absehbare Zeit noch nicht vollständig automatisiert werden können.
Aus meiner Sicht wurde hier deshalb in weiten Teilen komplett an der Kernfrage vorbei argumentiert.
Was ich allerdings absolut nicht verstehen kann ist, dass der Kollege, der irgendwann dem Berufsstand den Rücken gekehrt hat, das Rechnungswesen sowie das Controlling in Unternehmen als Zukunftsfeld sieht. Das wird genauso automatisiert werden. Die Prozesse und Berechnungen sind dafür wie gemacht. Auch Rechnungswesen wird komplett automatisiert bzw. outgesourct in osteuropäische Länder.
Folglich würde ich mit dem StB-Titel einen Wettbewerbsvorteil sehen, da der normale Controller eben Steuerrecht nicht kann.
Wer sich, wie ich auch für Revision und WP interessiert, dem würde ich empfehlen sich IT-Skills im Bereich Revision anzueignen. Im WP-Bereich ist man zunächst save, da wir hier, im Gegensatz zur Steuerberatung, einer hoheitlichen Aufgabe nachgehen.
Auch die ganzen IT-Systeme müssen am Ende aller Tage geprüft werden. Wir werden also viel stärker eine prozessgetriebene Prüfung haben. Aber um WP geht es hier ja nicht.
Off-topic:
Als Wirtschaftswissenschaftler, StB und WP finde ich es teils erschreckend, welch einen Einfluss die Digitalisierung auf den hochqualifizierten Arbeitsmarkt haben wird. Aus meiner Sicht ist der gesamte BWL-Bereich in wesentlichen Teilen davon bedroht.
Da wir es hier fast immer mit großen Datenmengen und Analysen zu tun haben, ist dieser Bereich eben auch relativ einfach zu automatisieren.
Was ich interessant finde ist, dass die vermeintlich "einfachen" Berufe, bei denen es auf das Handwerkliche ankommt, unmöglich automatisiert werden können. Z.B. Dachdecker, Sanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten, Therapeuten, Pfleger etc. etc.
Denkt man darüber länger nach, dann sind das aber auch diejenigen Berufe, die für die Gesellschaft besonders wichtig sind und die auch eine hohe Sinnstiftung haben.
Ich stelle mir oft die Frage, dass ich im Grunde genommen mit meiner vermeintlich hohen Qualifikation nicht wirklich etwas erschaffe, wie z.B. ein Handwerker oder einer besonders sinnstiftenden Tätigkeit nachgehe. Berufe, wie z.B. Analysten, Juristen oder Berater existieren im Grunde auch nur, da das System sie ernährt. Wäre das Rechtssystem nicht derart komplex, bräuchten wir vielleicht gar keine Anwälte, Steuerberater, WPs etc.
Auf der anderen Seiten kann jetzt auch nicht jeder Informatiker werden (Stichwort: Schweinezyklus). Irgendwann gibt es auch zuviele von dieser Spezies.
Ich habe mich dahingehend abgesichert, dass ich meine Einkommensströme aus verschiedenen Quellen beziehe. Dozententätigkeit, Beteiligungen an Unternehmen, Umsätze als StB/WP sowie Immobilien. Damit verhindern man, dass die Abhängigkeit von der Erwerbstätigkeit zu groß wird.
Keiner kann von uns wissen, wie die Zukunft eben aussieht.
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