Ich bin jetzt am Ende meines VWL Masters und kann den Eindruck überhaupt nicht nachvollziehen.
Im VWL Studium werden nun mal die Modelle und Methoden gelehrt die aktuell am relevantesten in der Forschung sind. Alles andere wäre auch unverantwortlich.
Dazu gibt es dann in der Regel auch immer noch eine kritische Reflektion. Dass diese häufig etwas kürzer ausfällt liegt einfach daran, dass es sich bei VWL um umfangreiche, harte, technische Materie handelt. Man braucht die Zeit um überhaupt einmal die Methoden und Modelle zu verstehen und bevor man das nötige Grundverständnis hat, macht eine Diskussion auch gar keinen Sinn.
Ich meine, wie soll man denn über etwas diskutieren was man nicht versteht? Selbst wenn man eine kritische Haltung gegenüber der Theorie hat, muss man sie doch trotzdem erstmal lernen und verstehen bevor man irgendetwas sinnvolles darüber sagen kann. Bestes Beispiel ist der Kollege hier:
WiWi Gast schrieb am 14.04.2023:
Ich damals zu meinem Prof gesagt, dass die Modelle völliger Schwachsinn sind, wenn ich jedes Modell erstmal ceteris paribus setzen muss. 90% der VWL kannst du deshalb in die Tonne kloppen, weil Sie auch nicht bessere Ergebnisse als der gewöhnliche Stammtisch liefern würden, aber alles natürlich durch irgendwelche Formel so verkompliziert, als würde man versuchen, seine Daseinsberechtigung irgendwie zu retten. Ich hab das Zeug gelernt, zwei 1,x geschrieben in VWL1+2 und damit war für mich die Sache erledigt. Kann mir nicht vorstellen, wie es den Leuten geht, die das Ganze im Vollzeitstudium studieren.
Kaum zwei VWL Module belegt, (welche ziemlich wahrscheinlich stark vereinfachte Kurse für Fachfremde sind) aber schon der vollsten Überzeugung dass alle Modelle "völliger Schwachsinn" sind und das 90% der VWL wertlos sei. Bei so viel Anmaßung kann man nur den Kopf schütteln. Solche Kommentare sind das beste Beispiel weshalb man erstmal mehr Zeit damit verbringen sollte die Methoden zu verstehen anstatt über deren Sinn und Unsinn zu philosophieren.
Dasselbe gilt übrigens auch generell für einen Großteil der üblichen VWL-Kritik die man immer wieder hört und liest. Wenn ich jemanden sehe der die Modelle oder Methoden der VWL kritisiert kann ich in 95% der Fälle mindestens eines der folgenden Probleme erkennen:
- Grobe Verständnisprobleme und Ignoranz gegenüber der Mainstream Theorie
- Politisch ideologische Motivation
In den meisten Fällen findet man beides zusammen kombiniert. Noch besser wird es dann, wenn die vermeintlichen Kritiker ihre alternativen Modelle präsentieren, die meistens noch schwächer sind als die ohnehin schon schwache Kritik. Wer mir nicht glaubt der kann sich gerne mal mit Alternativen Ansätzen der VWL beschäftigen. Ich habe mich über die Jahre mit allerlei heterodoxen Schulen und benachbarten Sozialwissenschaften (Wirtschaftssoziologie, Wirtschaftsethnologie ect.) mehr oder weniger intensiv auseinandergesetzt und habe dabei feststellen müssen, dass alle diese Ansätze zwar sehr interessant sind, aber selbst noch 10x mehr Probleme haben als die vermeintlich so problematische Mainstream VWL.
Jetzt werden manch Leute sagen: „Was, wenn man anderer Meinung ist? Warum lernt man diese alternativen Ansätze nicht auch im VWL-Studium?“. Nun, aus demselben Grund weshalb ein Medizin Student in seinem Studium nichts über Homöopathie oder Bachblütentherapie lernt. Wenn man sich mit Alternativen Ansätzen auseinandersetzten möchte, kann man dies gerne in der Freizeit tun. Habe ich auch gemacht. Eine Universität ist nicht verpflichtet Modelle und Theorien zu lehren, welche nicht dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen.
WiWi Gast schrieb am 13.04.2023:
Man befindet sich weiterhin in einem Elfenbeinturm von neoklassischen Modellen und hält sich für genauso „exakt“ wie die Naturwissenschaften, obwohl die Realität nicht ernüchternder sein könnte.
Das ist ein weiteres, hartnäckiges Missverständnis. Niemand, und ich meine wirklich niemand, hält die VWL für genauso exakt wie die Naturwissenschaften. VWL ist "Soft-Science", eine Sozialwissenschaft und dass wird im ersten und in allen folgenden Semestern immer wieder gesagt. Das Missverständnis rührt daher, dass Volkswirte ihre Modelle mathematisch formulieren und dementsprechend sehr exakte Ergebnisse bekommen. Das heißt aber nicht, dass Volkswirte diese Ergebnisse auch bis auf die 4. Nachkommastelle für 100% korrekt halten. Ich weiß gar nicht wie man auf so eine Idee kommen kann. VWL kann man mit oder ohne Mathematik machen, aber wenn man Mathematik verwendet hat man 3 große Vorteile:
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Transparenz. Die Mathematik zwingt den Wissenschaftler seine Annahmen offen und klar zu formulieren. Oft machen sich Leute über die vielen Annahmen in der VWL lustig, aber in Wahrheit gibt es in der VWL nicht sehr viel mehr Annahmen als in anderen Sozialwissenschaften. Die Volkswirte sind nur die einzigen welche ihre Annahmen klar formulieren und diskutieren.
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Konsistenz. Mathematisch formulierte Modelle sind gezwungenermaßen immer logisch konsistent. Sie können natürlich trotzdem falsch sein, wenn die Annahmen zu weit von der Realität entfernt sind, aber selbst dann wird sich ein mathematisch formuliertes Modell nie selbst widersprechen. Bei verbal formulierten Modellen ist das nicht der Fall, weswegen es bei verbal formulierten Modellen viel leichter ist, Unsinn zu erzählen.
- Präzision. Hier sind wir wieder beim Thema. Die mathematische Präzision ist nicht etwa deshalb wünschenswert, weil sie so korrekt und zuverlässig „wie in den Naturwissenschaften“ wäre. Ganz im Gegenteil, sämtliche volkswirtschaftliche Modelle sind höchstens „so ungefähr“ korrekt. Wozu brauchen wir also die Präzision? Ganz einfach, für die empirische Arbeit. Dass die Modelle immer ein Stück weit daneben liegen ist bekannt, aber mit den exakten Ergebnissen kann man auch sagen, wie weit die Modelle daneben liegen. So kann man mehrere konkurrierende Modelle miteinander vergleichen und herausfinden, welches der Realität am nächsten kommt. Bei verbal formulierten Theorien sind die Ergebnisse meistens so vage und schwammig, dass sie weder vergleichbar noch anderweitig sinnvoll zu interpretieren sind.
Ach und übrigens...
WiWi Gast schrieb am 13.04.2023:
Nach der Eurokrise wurde von mehreren Seiten auf die Probleme der VWL hingewiesen, vor allem darauf, dass sie die Krise im Gegensatz zu Finance-Leuten nicht hat kommen sehen, und generell sehr hilflos wirkte.
Immer werden Volkswirte kritisiert, sie hätten diese oder jene Krise nicht vorhergesehen. Ich weiß nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund scheinen die Leute der Meinung zu sein, ein guter Volkswirt müsste ein Hellseher sein. Komischerweise beschwert sich niemand, dass Geologen keine Erdbeben vorhersehen können, oder dass ein Arzt nicht vorhersehen kann, ob und wann ein Patient an welcher Art Krebs erkrankt. Nur Volkswirte werden an diesem merkwürdigen und unrealistischen Maßstab gemessen.
Und was die "Finance-Leute" angeht, ich kenne mich jetzt nicht so genau mit der Eurokrise aus, aber zumindest für die Weltwirtschaftskrise 2008 kann man ein starkes Argument formulieren, dass die "Finance-Leute" diese mit ihren Spekulationen und Verbriefungen überhaupt erst ausgelöst haben. Anders als die Volkswirte, waren sie allerdings hinterher nirgendwo anzutreffen, wenn es darum ging den Schaden wieder zu beseitigen.
Das ist übrigens auch eigentliche Job der Makroökonomen. Es geht nicht darum Krisen vorherzusagen, sondern zu wissen wie man mit ihnen umgeht. Im besten Fall möchte man natürlich Krisen komplett verhindern, aber da sie oft durch exogene Faktoren (Covid, Ukrainekrieg) ausgelöst werden, ist das leider oft unrealistisch. Viel wichtiger ist es daher zu wissen was zu tun ist, wenn eine Krise da ist, und da kann man den Volkswirten absolut keinen Vorwurf machen. Selbst wenn es sich um eine Krise handelt für die es null Forschung gibt, weil sie in der Form noch nie vorgekommen ist, werden die Modelle schnell angepasst und weiterentwickelt um eine vernünftige Lösung zu finden. Den Volkswirten ist es zu verdanken, dass die Weltwirtschaftskrise 2008 heute als „Great Recession“ und nicht „Great Depression II“ bekannt ist.
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