IW-Konjunkturprognose 2006 - Hohe Verunsicherung
Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, erwartet nach 0,7 Prozent im Jahr 2005 für das kommende Jahr ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,1 Prozent.
Staatshaushalt auf Konsolidierungskurs
Deutschland wird in diesem Jahr das Maastricht-Kriterium hinsichtlich der Neuverschuldung nicht einhalten. Der Finanzierungssaldo wird sich auf fast 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen. Allerdings besteht die berechtigte Hoffnung, dass im Jahr 2006 erstmals wieder seit dem Jahr 2001 die Neuverschuldung unter 3 Prozent liegen wird. Dieser Konsolidierungserfolg resultiert aus einer Kombination von höheren Staatseinnahmen und niedrigeren Staatsausgaben. Auf der Einnahmenseite schlägt sich die zaghafte konjunkturelle Besserung nieder, die Ausgabenseite wird von Sparmaßnahmen - beispielsweise niedrigeren Finanzhilfen des Staates - geprägt sein. Sollte es nicht gelingen, im Jahr 2006 mit der Haushaltssanierung erste Erfolge zu erzielen, dann würde diese Aufgabe nicht nur verschoben, sie würde sich potenzieren. Eine Vernachlässigung der Konsolidierung hätte gravierende gesamtwirtschaftliche Folgen:
- über eine Belastung des Stabilitätsversprechens der Europäischen Zentralbank,
- über einen immer geringer werdenden Spielraum für investive Ausgaben des Staates einschließlich der Bildungsausgaben,
- über eine Verschärfung der Zinslasten infolge von inflationsgetriebenen Zinserhöhungen.
Trendwende am Arbeitsmarkt wird vorbereitet
Angesichts des verhaltenen Aufschwungs kommt die Erholung am Arbeitsmarkt nur schleppend voran. Zwar wurden zur Jahresmitte 2005 rund 80.000 Erwerbstätige mehr als im Vorjahr gezählt. Dies lag jedoch nicht zuletzt am Erfolg der Ich-AG. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten war dagegen stark rückläufig.
Für das Jahr 2006 sind wir gleichwohl zuversichtlich, dass sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wieder erholen wird. Die erwartete Senkung der Lohnzusatzkosten infolge niedrigerer Sozialbeiträge und beschäftigungsorientierter Tarifabschlüsse geben Anlass zu vorsichtiger Hoffnung. Unterm Strich wird die Anzahl der Erwerbstätigen insgesamt im Jahr 2006 um 117.000 Personen oder 0,3 Prozent zulegen.
Getragen wird diese Entwicklung auch von einem weiteren Anstieg der von Unternehmen gemeldeten offenen Stellen. Die Anzahl der Arbeitslosen wird sich allerdings nicht in diesem Ausmaß verringern. Im Jahr 2006 wird die Arbeitslosenquote gerade einmal um 0,1 Prozentpunkte auf 10,9 Prozent sinken. Die eingeleiteten Arbeitsmarktreformen brauchen ganz einfach Zeit. Mit einer über das Jahr 2006 hinausgehenden konjunkturellen Festigung dürfte die Arbeitsmarkterholung fortschreiten.
Potenzial für mehr Schwung
Trotz einer vergleichsweise hohen Verunsicherung durch die weitere Entwicklung an den Rohölmärkten und hinsichtlich des wirtschaftspolitischen Kurses in Deutschland besteht für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland Potenzial nach oben. In der Prognose wurden hinsichtlich zweier Unsicherheitsmomente Annahmen getroffen. Zum einen ist beim Ölpreis eine Fortsetzung des Status quo unterstellt. Natürlich kann der Ölpreis weiter steigen. Genauso gut ist auch ein Rückgang möglich. Zum anderen besteht hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen Potenzial nach oben:
- Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat nach der Bundestagswahl ein Initialprogramm für eine neue Bundesregierung präsentiert. Ein Teil dieser Maßnahmen wurde in der Prognose unterstellt. Eine vollständige Übernahme unserer Vorschläge und vor allem die Einbettung in ein mittel- bis langfristiges Reformpaket würde bereits im nächsten Jahr die konjunkturelle Dynamik verstärken.
- Dies setzt freilich auch voraus, dass die allgemeine Wirtschaftspolitik Flankenschutz von der Geldpolitik und der Lohnpolitik erhält. Wir sehen für die Europäische Zentralbank erst spät im kommenden Jahr Handlungsbedarf für erste kleine Zinsschritte nach oben. Die aktuell hohen Inflationsraten bei den Konsumentenpreisen sind vor allem durch den Ölpreis und steuerliche Einmaleffekte getragen. Auch bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer steht die Notenbank nicht unter Druck. Die Kerninflationsrate signalisiert einen moderaten Preistrend, die Inflationserwartungen bestätigen die Glaubwürdigkeit des Stabilitätsversprechens der Europäischen Zentralbank.
- Zudem muss die Lohnpolitik ihren Weg beschäftigungsorientierter Abschlüsse und betrieblicher Differenzierung fortsetzen. Es wäre fatal, wenn in einem chancenreichen Umfeld bei den Arbeitskosten ein Rückschlag zu verzeichnen wäre. Es ist sicher schwierig zu vermitteln, dass die Tarifpolitik weiter moderat bleiben muss. Angesichts der Tatsache, dass die Arbeitskosten je Stunde in Deutschland im internationalen Vergleich unverändert einen Spitzenplatz einnehmen, bleibt aber keine andere Wahl.
Die neue Regierung hat jetzt die Chance, mit einem konsistenten und wachstumsorientierten Reformprogramm die wirtschaftlichen Weichen zu stellen. Positive Überraschungen wären ein Gewinn für Deutschland. So könnte dem Konjunkturpfad nach oben ein stabiles Geländer eingezogen werden.
IW-Statement
Prof. Dr. Michael Hüther
Direktor Institut der Deutschen Wirtschaft Köln
- Seite 1: Schwaches Wachstum in Deutschland
- Seite 2: Deutscher Außenhandel auf Rekordjagd
- Seite 3: Privater Konsum hängt unverändert durch
- Seite 4: Staatshaushalt auf Konsolidierungskurs