Frühjahrsgutachten 2012 der Wirtschaftsforschungsinstitute
Im Frühjahr 2012 befindet sich die deutsche Konjunktur im Aufwind, doch die europäische Schuldenkrise schwelt weiter. Die Institute erwarten, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,9 Prozent und im kommenden um 2,0 Prozent zunimmt. Die Zahl der Arbeitslosen wird in 2012 auf 2,8 Millionen zurückgehen und die Defizitquote des Staates voraussichtlich auf 0,6 Prozent sinken.
Entwicklung in Deutschland
Die Konjunktur inDeutschland nimmt im Frühjahr 2012 nach einer mehrmonatigen Schwächephase wieder Fahrt auf. Im zurückliegenden Winterhalbjahr ist die gesamtwirtschaftliche Produktion unter dem Eindruck der Zuspitzung der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum und einer zyklischen Schwäche der Weltkonjunktur praktisch nicht gestiegen. Mittlerweile hat sich allerdings das weltwirtschaftliche Umfeld aufgehellt, und die Maßnahmen, die zur Milderung der Turbulenzen im Euroraum ergriffen wurden, haben dazu beigetragen, die Lage an den Finanzmärkten zu stabilisieren und die wirtschaftliche Unsicherheit zu verringern. Dies ist unter anderem an den Stimmungsindikatoren ablesbar. So sind die Geschäftserwartungen der deutschen Unternehmen seit Dezember vergangenen Jahres aufwärts gerichtet. Das Konsumklima hat sich ebenfalls wieder verbessert. Allerdings zeigen die jüngsten Anstiege der Risikoaufschläge für spanische und italienische Staatsanleihen, dass die Schulden- und Vertrauenskrise weiter schwelt.
Für den Prognosezeitraum erwarten die Institute, dass die konjunkturellen Auftriebskräfte in Deutschland die Oberhand gewinnen. Zwar bleibt die Konjunktur im übrigen Euroraum sehr schwach. Doch wird das Zinsniveau durch die am gesamten Euroraum ausgerichtete Zinspolitik der EZB sowie durch die Attraktivität Deutschlands als sicherer Hafen gedrückt, was die Investitionen beflügelt. Zudem ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, vor allem wegen der niedrigen Bewertung des Euro an den Devisenmärkten, derzeit höher als zu irgendeinem Zeitpunkt der vergangenen 30 Jahre. Der Export ist deshalb trotz der Rezession im wichtigsten Absatzgebiet deutscher Hersteller, dem Euroraum, und des sich nur langsam verbessernden weltwirtschaftlichen Umfelds aufwärts gerichtet. Schließlich ist der Arbeitsmarkt, auch wegen der zurückliegenden Arbeitsmarktreformen in sehr guter Verfassung; der weitere Rückgang der strukturellen Arbeitslosenquote stimuliert Einkommen, Einkommenserwartungen und privaten Konsum.
Vor diesem Hintergrund wird der Produktionsanstieg ab dem Frühjahr deutlich an Schwung gewinnen; die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung dürfte im gesamten Prognosezeitraum merklich zunehmen. Die maßgeblichen Impulse werden wie in den vergangenen Jahren von der Binnennachfrage kommen, vor allem von den Investitionen und den privaten Konsumausgaben. Der Export belebt sich hingegen aufgrund der schwachen Konjunktur im übrigen Euroraum nur zögerlich; auch deshalb wird der Außenhandel in beiden Jahren keinen positiven Beitrag zum Anstieg des Bruttoinlandsprodukts liefern. Alles in allem wird das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2012 voraussichtlich um 0,9 Prozent zulegen. Das 68-Prozent-Prognoseintervall reicht von 0,2 Prozent bis 1,6 Prozent. Im Jahr 2013 dürfte das Bruttoinlandsprodukt um 2,0 Prozent zunehmen (Prognoseintervall 0,5 % bis 3,5 %).
Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte im Jahr 2012 um 470 000 und im Jahr 2013 um 325 000 zunehmen, die Arbeitslosigkeit aber nur unterproportional sinken, weil das Erwerbspersonenpotenzial, auch wegen verstärkter Zuwanderung von Arbeitskräften, steigt. Gleichwohl nimmt die Arbeitslosenquote in beiden Jahren um rund einen halben Prozentpunkt ab und wird gegen Ende des Prognosezeitraums voraussichtlich bei 6,2 Prozent liegen.
Vor dem Hintergrund der steigenden Kapazitätsauslastung und der zunehmenden Verknappung von Arbeitskräften dürfte sich der Lohn- und Preisauftrieb im Prognosezeitraum spürbar verstärken. Die Effektivlöhne werden wohl in den beiden Jahren um mehr als 3 Prozent zunehmen. Der Anstieg der Verbraucherpreise wird dieses und nächstes Jahr mit 2,3 bzw. 2,2 Prozent über der Marke von 2 Prozent liegen.
Das Budgetdefizit des Staates dürfte in diesem Jahr wegen der Konsolidierungspolitik auf 0,6 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt sinken. Für das Jahr 2013 rechnen die Institute aufgrund der günstigen Konjunktur mit einem weiteren Rückgang auf 0,2 Prozent. Strukturell dürfte die Defizitquote in diesem Jahr bei näherungsweise normal ausgelasteten Produktionskapazitäten bei 0,6 Prozent liegen; im nächsten Jahr dürfte sie auf 0,4 Prozent sinken.
Das größte Abwärtsrisiko für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland geht nach wie vor von der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum aus, die im Kern noch nicht gelöst ist. Zwar haben die außerordentlichen liquiditätspolitischen Maßnahmen der EZB den Stress im Bankensystem verringert, aber hierdurch wird letztlich nur Zeit gewonnen. Verlieren etwa weil die notwendigen finanzpolitischen Reformen nicht angegangen werden Länder des Euroraums auf den Kapitalmärkten erneut an Vertrauen, dürfte dies auch die deutsche Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Es besteht aber auch die Möglichkeit einer kräftigeren Expansion als hier prognostiziert. So sind die Zinsen in zahlreichen Ländern auf einem historisch niedrigen Niveau. Dies gilt in besonderem Maße für Deutschland, wo die monetären Rahmenbedingungen zurzeit besonders günstig sind.