Volkswirt ist man erst nach dem Master. Im Bachelor lernt man ein wenig, wie ein Volkswirt grundsätzlich denkt. Man macht noch viel über Intuition und das Abstraktionsniveau hält sich noch in Grenzen. Man bekommt einfach ein Grundverständnis mit.
Im Master sieht das dann anders aus. Da werden die Modelle deutlich mathematischer und komplexer. Intuition ist gut und hilfreich, aber bei weitem nicht mehr ausreichend. Selbst wirtschaftspolitische Themenfelder kommen dann nicht mehr ohne komplexe mathematische Herleitungen aus. Auch wenn Ableitungen dann immer noch der beste Freund des Volkswirts sind, geht es da dann doch deutlich darüber hinaus. Differentialgleichungen, komplexe Matritzenrechnungen u.v.m. sind nun ein absolutes Muss. Man sollte auch gut die Besonderheiten des natürlichen Logarithmus verstehen. Wer in Ökonometrie nicht nur anwenden, sondern auch ein Verständnis möchte, der muss seitenlange Schätzverfahren verstehen und ggb. selbst herleiten. Insbesondere bei alternativen Schätzverfahren, wenn es dann auch in probabilistische Modelle geht und es irgendwelche Schwellenwerte gibt, kann das richtig eklig sein.
Ich persönlich bin der Meinung, dass es mit der Mathematik manchmal übertrieben wird. Sobald ein Thema inhaltlich und intuitiv nicht mehr viel hergibt und empirisch eigentlich schon alles überprüft wurde, wird mit abgefahrenen ökonometrischen Modellen angefangen, um ja noch was Neues machen zu können, obwohl eigentlich schon alles gesagt ist. Der tatsächliche Mehrwert ist hier meines Erachtens sehr bescheiden.
Bei makröokonomischen Modellen ist es etwas anders. Hier ist die Mathematik für ein rigoroses Vorgehen notwendig. Bei mehreren Annahmen und Gleichungen kann es dann halt mal komplizierter werden. Eine Lösung von Hand ist dann je nach Umfang sehr anstrengend oder gar nicht mehr möglich. Problematisch ist hier nur, dass man das mathematische Ergebnis in seiner Genauigkeit nicht überbewerten und vor allem nicht mit der Wahrheit verwechseln sollte, da Annahmen stets Annahmen bleiben und ein Modell immer eine Reduktion der Wirklichkeit bleibt und nie alle Einflussfaktoren beinhalten kann.
VWL ist eine sehr theoretische Sache. Man lernt das Denken. Viele sagen, dass man die Inhalte für den Beruf nicht brauchen würde. Das ist falsch. Die meisten Kollegen haben nur nicht den Horizont und das kritische Denken des Volkswirts. Als Volkswirt, der nicht in der Wissenschaft tätig ist, ist der Umgang mit solchen Kollegen und der stümperhaften und ignoranten Herangehensweisen an wirtschaftliche Themen (ich arbeite in einer Bank) manchmal mühsam. Der Horizont des Volkswirts ist einfach größer und das in logische Schlussfolgerungen (und zwar nicht nur bis zum nächsten Schritt) denkende Handeln andernorts nicht üblich.
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